Porzellanmalerei: Qualität, Alter, Fälschungen

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Tomsai 92
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Re: Porzellanmalerei: Qualität, Alter, Fälschungen

Beitrag von Tomsai 92 »

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Tomsai 92
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Re: Porzellanmalerei: Qualität, Alter, Fälschungen

Beitrag von Tomsai 92 »

Uuund weiter geht’s. Habt bitte Geduld mit meiner Schreibfaulheit. Ich sagte ja es würde ein Langzeitprojekt ;)

Beispiel 5 könnte japanischer kaum sein. Die Bemalung erstreckt sich wie ein Rollbild rund um den Korpus der Balustervase. Ingwertopf wurden jene Gefäße auch benannt und wurden tatsächlich im Gegenzug zu Altarvasen (zeremonielle Objekte) häufig alltäglich benutzt. Mehr zum speziellen Hintergrund des Motivs später.

Beispiel 6 ist eine vietnamesische Schöpfung.


Wer Lust hat möge bitte versuchen diese beiden Beispiele mit dem bisher Gezeigten zu vergleichen bzw. im Hinblick auf die Qualität zu analysieren. Ich fürchte sonst vor lauter Betriebsblindheit bald nicht mehr zu wissen welche Aspekte sich zu erläutern lohnen.
Was haben z.B. Nr. 5 + 6 im Gegensatz zu allen vorigen nicht?


Schöne Grüße
Tom
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zopf
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Re: Porzellanmalerei: Qualität, Alter, Fälschungen

Beitrag von zopf »

Hallo
Vorab möchte ich erwähnen,
das mich weder Alter, noch Herkunft, noch Künstler interessiert.
Für mich zählt nur die jeweilige Qualität des Objekts.
Vase.jpg
Das linke Bild ist gut komponiert,
die Leere nur mit 2 Vögeln zu füllen zeugt von großem Raumgefühl
und die beiden Vögel haben Blickkontakt, sie haben Bezug zueinander.
Das rechte Bild zeigt nur einen gefüllten Raum, auf den ersten Blick wahllos gefüllt.
Die Pinselführung ist bis auf einige Ausnahmen auch nicht dazu geeignet
mehr als einen ersten Blick zu riskieren.
Auf dem linken Bild sind die Vögel schwungvoll konturiert,
auf dem rechten einfach nur gefüllt.
Sollte ich dem "Künstler" der rechten Vase Unrecht getan haben....
mfG Dieter
grüsse an die bewohner von melmac
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Tomsai 92
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Re: Porzellanmalerei: Qualität, Alter, Fälschungen

Beitrag von Tomsai 92 »

Super Dieter, Deine Analyse hilft mir sehr, danke!

Betrachtet man die von Dir genommenen Bildausschnitte isoliert, sachlich und ohne Bezug zum kulturellen symbolischen Tralala (und genau darum sollte es ja vorerst hier gehen) hast du natürlich mit Deiner Aussage vollkommen Recht. Um es mit der Bonsaianalyse zu vergleichen wäre dies jedoch z.B. die Betrachtungsebene eines Botanikers der ohne Vorkenntnisse auf dem Gebiet die Qualität eines Bonsai lediglich anhand des Realismus der Einzelelemente festmachen würde ohne auf die Gesamtform und die Komposition mit der Schale einzugehen.

Um also der Anschaulichkeit halber einen direkten Vergleich zu erfinden (bitte im Detail nicht zu ernst nehmen) setzte ich im Folgenden die Einzelelemente eines bemalten asiatischen Porzellanobjektes mit denen eines Bonsai gleich.
Grob gesagt unterteilen sich Porzellanobjekt / Bonsai in folgende Elemente:




1. die Form des Porzellankörpers / der Stamm und Wurzelansatz des Bonsai → bestimmt am wesentlichsten den Charakter
2. die handwerkliche Qualität der Bemalung (Präzision, bildliche Ästhetik, Umfang) / die Qualität der Astgestaltung (Verjüngung, Bewegung und resultierende Wirkung der Äste, Menge der Äste) → besonders wichtig im Zusammenspiel mit Punkt 1
3. kulturelle Hintergründe → z.B. Symbolismus bestimmter Motive / kulturelle Bekanntheit und empfundene Bedeutsamkeit bestimmter Pflanzen- und Tierarten (Eiche und Linde haben z.B. automatisch eine viel tiefere Bedeutung in der westlichen Kunst- und Gartenkultur als Feldahorn, Faulbaum und asiatische Exoten)
4. die Farben → je bunter und stärker die Kontraste desto lebhafter (idR.); auch wichtig die Wirkung von hell / dunkel (Vergleich Kerbbuche in hellgelber Schale / Schwarzkiefer in dunkelgraubrauner unglasierer Schale)
5. die Größe → Wirkungsvergleich Mame / 90cm Bonsai
6. die Qualität der Oberfläche (keine Glasurfehler, Patina) / Qualität der Feinverzweigung (feine Triebe, Leerräume, Dichte)




Ich denke durch diesen erstaunlich einfach fallenden Vergleich wird klar, dass ein Element ohne das andere keine sinnvolle Gesamtbeurteilung zulässt. Alle 6 Elemente mit Absicht auf eine starke suggestive Wirkung aufeinander abzustimmen verstehen Bonsaianer meist als „Kunst der Gestaltung“. Eine ästhetisch ausdrucksvolle Komposition in der Bonsaigestaltung wird also oft als Kunst betrachtet. Das diese Definition in der westlichen Kultur nur noch sehr wenig mit der aktuellen Kunstdefinition zu tun hat, sollte spätestens seit dem signierten Pissoir von Marcel Duchamp klar sein.
Doch das alles wäre eine ganz andere Diskussion die an dieser Stelle lediglich der Vollständigkeit halber erwähnt werden sollte.

Die Reihenfolge habe ich übrigens nicht zufällig gewählt.
Während Punkt 1 und 2 aus meiner Sicht im Zusammenspiel die fundamentalen Quellen der Ausdrucksstärke und des Charakters sind, ist Punkt 6 für mich „nur“ eine abschließende, wenn auch unerlässliche, Variable der fertigen Gestaltung, die die Gesamtwirkung aufhübscht aber am wenigsten den Charakter der Komposition bestimmt (die klassische Besenform ist eine Ausnahme!). Z.B. wird die Wirkung eines fränkischen Apfelbaums knapp neben Berlin niemals von Natürlichkeit und Reife zeugen, wenn sämtliche Äste vom ungeduldigen pseudoprofessionellen Gärtner in ihrer gesamten Länge aus unverjüngten Wasserreisern aufgebaut wurden und nur an deren Spitze eine Verzweigung baumelt; ein norddeutscher Berufsgärtner würde derweil allein schon deshalb darüber lachen, weil nur ein einziger kräftiger norddeutscher Sturm genügte um sämtliche Absichten der Astgestaltung am Ansatz zu brechen! (diesen Satz muss nicht jeder verstehen)



Um nun anhand der beiden von Dieter gewählten Vasen beispielhaft zu zeigen, warum eine Vase auch ohne augenscheinlich hochwertigste Malerei kompositionistisch kostbar sein kann, wende ich hier das soeben erdachte Raster an:

Beispiel 1
1. die Form des Porzellankörpers: schlicht balusterförmig mit tiefer Schulter, die wohl weiblichste Vasenform,
2. die handwerkliche Qualität der Bemalung: kraftvoll kalligraphisch und präzise gemalt, simpel ohne übermäßig viele Details, ausgewogene räumliche Komposition der Einzelelemente mit gezielten Leerräumen, keine klare Bewegungsrichtung
3. kulturelle Hintergründe: vorderseitig eine naturverehrende lebhafte Szene mit vielen Blüten, Vogel und Schmetterling, sämtliche Einzelelemente mit starker symbolischer Bedeutung, jedoch kein Fokus auf einem bestimmten Objekt
4. die Farben: gedämpftes Kobaltblau / Schmutzigweiß, durch die monochrome Malerei ist die Farbwirkung abhängig vom Motiv → durch die vielen verschiedenen Blüten, Pflanzen und Tiere erscheint das Motiv intuitiv tatsächlich bunter als es ist (vergleiche mit Bsp. 4)
5. die Größe: relativ klein und dünnwandig, 1kg schwer
6. die Qualität der Oberfläche: gleichmäßig verunreinigtes Porzellan, seidenmatter Glanz, deutliche unverkennbare Altersmerkmale am Standfuß

Fazit: Eine schlichte, kleine weibliche Vase deren lebensfrohes Motiv kombiniert mit handwerklicher Souveränität einen schönen Fokus auf den suggestiven Inhalt der Malerei zulässt. Diese Vase ist ein sehr bezeichnendes Beispiel für die chinesische Blau-Weiß-Malerei.



Beispiel 5
1. die Form des Porzellankörpers: sehr schlicht balusterförmig mit hoher Schulter, eine sehr männliche strenge Gebrauchsform, die optisch in sich geschlossen ist anstatt sich nach oben zu öffnen
2. die handwerkliche Qualität der Bemalung: hier muss unbedingt unterschieden werden zwischen dem Hauptmotiv Adler, der sehr präzise, detailliert und fein schattiert gemalt wurde, der Kiefer, deren Stamm und Äste noch relativ detailliert dargestellt wurden sowie sämtlichen anderen Elementen der Darstellung, die vergleichsweise grob, vereinfacht und schnell gemalt wurden
3. kulturelle Hintergründe: Der optisch durch die Genauigkeit und die Größe in den Vordergrund gerückte Adler ist ein personifizierendes Symbol für die Gesellschaftsschicht der Samurai. Entrückt vom profanen weltlichen Geschehen (Entenpaar als Beziehungssymbol) distanziert er sich auf einer majestätischen Kiefer thronend durch seinen Blick nach oben von der aus seiner Sicht schmucklosen Umgebung, die man, bedingt durch die starke Fließrichtung nach Links (japanische Schreibrichtung), wie eine Querbildrolle betrachtet. Die „bescheidene“ Malqualität scheint hier tatsächlich ein Mittel zu sein bestimmte Elemente ästhetisch in den Hintergrund zu rücken und dadurch andere positiv zu betonen.
4. die Farben: Das Kobaltblau und das Weiß sind deutlich strahlender als bei Bsp. 1, wirken jedoch durch nicht vorhandene Blüten oder andere intuitiv als bunt empfundene Objekte vergleichsweise eintönig
5. die Größe: mittelgroß, dickwandig und mit 5kg Gewicht relativ schwer
6. die Qualität der Oberfläche: sehr reines edles Porzellan, dass lediglich durch vereinzelte kleine Brennfehler noch zu erkennen gibt in aufwändiger Handarbeit entstanden zu sein

Fazit: Eine wuchtige relativ große Gebrauchsvase, deren herber männlicher Charakter in Form und Motiv eine ganz andere Wirkung erzielt als die blumenbeladenen chinesischen Darstellungen. Insbesondere mit dem Hintergrundwissen über die Symbolik des Motivs, über die Seltenheit einer solchen Vase und über den Fakt, dass dieses Exemplar höchstwahrscheinlich im direkten Kontakt zu den Samurai stand, wird man es mit anderen Augen betrachten.




Ich hoffe dieses Zergliedern macht einmal mehr deutlich, dass der spontane Eindruck nicht nur bei Bonsai deutlich davon abhängt wie sehr man kulturell, bzw. handwerklich in die jeweilige Materie vertieft ist.

Hemmungslose konstruktive Kritik und Ideenimpulse sind wie immer gerne gesehen!


Schöne Grüße
Tom
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