Dünger

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Andreas Ludwig
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Beitrag von Andreas Ludwig »

Und genau darum lasse ich nicht locker, Micha, denn es gibt nicht soviel zu verstehen, wie du befürchtest.

Wir haben fein geblödelt hier, aber daraus werden keine Bonsai, also gehe ich gerne kurz auf dieses sehr wichtige Thema ein. Regeln - denken wir uns eine kleine Geschichte: Du gehst ganz alleine irgendwo durch die Welt und siehst einen Mann, der ein Kind schlägt. Du gehst hin und sagst: «Entschuldigen Sie - was tun Sie hier? Muss das sein?».

Was ist passiert? Du hast dich an Regeln gehalten. Die erste lautet: Gewalt soll nicht sein, sie ist zu unterbinden. Die zweite lautet: Es ist nicht richtig, wenn der Stärkere sich gegen den Schwächeren wendet. Die dritte lautet: Man lädt eine Schuld auf sich, wenn man Gewalt sieht und nicht eingreift. Die vierte lautet: Höre dir an, worum es geht, bevor du mit Blitz und Schwert reinfährst, du könntest dich irren. Die fünfte lautet: Sei anständig und Vorbild.

Fünf Regeln hast du in einer Sekunde eingehalten - aber hast du bewusst daran gedacht? Nö - so wenig, wie wenn du auf die Bremse trittst, wenn eine Katze über die Strasse rennt, so wenig, wie du dir bewusst bist, dass du das Gleichgewicht ausbalancierst, wenn du gehst, so wenig wie du «Einatmen, Ausatmen» denkst, sondern es tust. Die Regeln sind «in dich hinabgesunken», du hast sie im Lauf der Zeit verinnerlicht und wendest sie jetzt ganz selbstverständlich an.

Aber Bäume pflegen ist doch nicht dasselbe wie Atmen! Doch, irgendwann dann schon. Irgendwann schaust du nicht mehr nach, welcher Draht der richtige ist, brauchst keinen Kalender, um die Feuchtigkeit zu prüfen und - das ist das Wichtigste am Ganzen - du denkst auch nicht mehr bewusst daran. Du tust es einfach. Das ist das Ziel, das wir anstreben: Dass du frei handeln kannst, ohne dass dir der Kopf brummt, weil das richtige Tun einfach so aus dir heraus kommt wie beim Fahrradfahren. Müsstest du dabei jedesmal denken, würdest du keine hundert Meter schaffen und es wäre auch ein Saustress.

Der Weg dazu ist sehr unterschiedlich und hängt von der Person ab. Ich bin eher ein Intellektueller, aber nicht, weil ich das ums Verrecken sein will. Ich kann nicht anders, es ist meine Veranlagung und das Milieu, in dem ich aufwuchs, hat mich zusätzlich versaut. Man darf mir das aber nicht vorwerfen und sollte es auch nicht bewundern. Es ist weder besser noch schlechter als eine andere Art, es ist einfach meine. Ich muss alles immer erst verstehen, bevor ich es machen kann. Aber glaub mir, es gibt Bonsaigestalter, die «verstehen» nichts und sind bei weitem besser als ich, weil sie zum Beispiel viel weniger eingebildete Ängste haben als ich. Sie tun Dinge ganz locker und zügig, wenn man sie aber fragt, was und warum sie das tun, stottern sie verlegen herum. Sie wissen es eben im Bauch, nicht im Kopf.

Bonsai, lieber Micha, ist Leben, keine Wissenschaft. Wer wissenschaftlich vorgeht, tut das, weil er es nur auf diesem Weg angehen kann. Wer eine gute Intuition hat, geht es intuitiv an, weil er es auf diesem Weg angehen muss. Das kann man nicht abwägen und werten, beides zählt. Hör nie auf die, die dir eine Art aufzwingen wollen, die dir «irgendwie» fremd ist. Geh es so an, wie es zu dir passt, sonst wirst du nie glücklich sein damit.

«Wissen» ist anwendbare Erkenntnis. Es kann in einem Buch stehen, kann aber auch Erlebtes sein, dem man nie einen Namen gegeben hat. Irgendwann als Kind hast du gelernt, dass es Tränen gibt, wenn du dem Sandkastenpartner eine knallst und dass es weh tut, wenn er es bei dir macht. Also habt ihr es gelassen und damit habt ihr «Wissen» erarbeitet und verinnerlicht. Ob ein Jurist dem «leichte Körperverletzung im Affekt» sagt, ist dabei egal und man lernt es im Sandkasten, nicht im Gericht.

Es werden dir im Lauf der Zeit ein paar Bäume eingehen und manchmal wirst du nicht verstehen, warum das geschah (und ich werde es dir auchnicht sagen können). Darum wirst du unterscheiden, mit weniger wichtigen Pflanzen üben und dann den mordsmässigen Hammerbonsai erwerben oder machen. Mit der Zeit wirst du «wissen», ohne das erklären zu können oder zu müssen. Du wirst es einfach tun und nicht mehr darüber nachdenken. Dann hast du dein Ziel erreicht. Wenn du Angst hast, dass das geschieht, kannst du es nicht erreichen. Meine Aufgabe ist es, dir Stützrädchen zu geben, solang es hilft. Deine ist es, zu fahren.

Die Stützrädchen im Aufsatz ganz oben sind: Nicht komplizierter machen, als es ist, Dünger ist Dünger. Bollen richten weniger Schaden an als mineralische Lösungen. Lieber mal zuwenig als immer zuviel. Fahr los, probiers aus! Lerne deine Bäume kennen!
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BatzeMicha
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Beitrag von BatzeMicha »

Alles klar :D Danke Andi

Dann werd ich jetzt auch nicht fragen wie viele Bollen ich draufschmeißen soll^^
MfG Micha
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Andreas Ludwig
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Beitrag von Andreas Ludwig »

Och... so etwa alle Handbreit einen...
Aber wehe du fragst mich, wie breit meine Hände sind!
:wink:
It is not enough to be busy. So are the ants. The question is: What are we busy about?
(Thoreau)
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BatzeMicha
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Beitrag von BatzeMicha »

Andreas Ludwig hat geschrieben:Och... so etwa alle Handbreit einen...
Aber wehe du fragst mich, wie breit meine Hände sind!
:wink:
:mrgreen: Nein, keine Angst.
MfG Micha
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