Bonkei und der Einfluß des Westens - Schöne Landschaften Japans

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gunter

Bonkei und der Einfluß des Westens - Schöne Landschaften Japans

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von Gunter Lind

Die soziale Situation im Japan der Edo-Zeit war einigermaßen paradox: politische und wirtschaftliche Macht klafften zunehmend auseinander. Große Teile der traditionellen Oberschicht verarmten nach und nach. Die Samurai waren Lehnsleute und ihr Lehen bestand aus landwirtschaftlich genutzten Flächen, deren Ertrag in einer agrarisch strukturierten Gesellschaft für einen standesgemäßen Lebensstil ausgereicht hatte. Als die wirtschaftliche Grundlage der Gesellschaft sich mehr und mehr von der Landwirtschaft auf Handel und Gewerbe verlagerte, hatten sie keine Möglichkeit, an dieser Entwicklung teilzunehmen. Ihnen fehlte das Kapital und derartige Betätigungen waren auch mit ihrem Standesbewußtsein unvereinbar.

Den andern Pol der Gesellschaft bildete das städtische Bürgertum, insbesondere die Kaufleute. In der traditionellen Sozialhierarchie standen sie ganz unten. Sie hatten keinerlei politischen Einfluß und ihre Entfaltungsmöglichkeiten waren durch Adelsprivilegien und Standes-Verhaltensregeln stark eingeschränkt. Aber viele von ihnen waren recht wohlhabend. Und sie waren natürlich mit den herrschenden Verhältnissen unzufrieden.

Dieser gesellschaftliche Antagonismus machte sich auch auf kulturellem Gebiet bemerkbar. Viele Samurai waren der Lebensart des Zen verbunden und pflegten die davon beeinflußten Kunstformen. Dies war eine strenge, schlichte, allen Äußerlichkeiten abholde, auf die Vergangenheit bezogene Kunst. Das städtische Bürgertum liebte hingegen die Vergnügungsviertel der Städte. Seine Kunst war bunt, laut, lebendig und aktuell. Besonders beliebt waren das Kabuki-Theater und der Farbholzschnitt. Für die Traditionalisten war das gar keine Kunst. Noch im 20. Jh. erschien eine groß angelegte Geschichte der japanischen Kunst, in der der Farbholzschnitt mit keinem Wort erwähnt ist und das Nationalmuseum in Kyoto besitzt bis heute keine Farbholzschnittsammlung.

Natürlich ist diese Gegenüberstellung plakativ. In den Vergnügungsvierteln verkehrten auch Samurai, wenn sie es sich leisten konnten und manche Bürger versuchten, ihr mangelndes soziales Ansehen dadurch zu verbessern, dass sie die Sitten der Samurai kopierten, soweit ihnen das erlaubt war.

Diese Aufspaltung in zwei Kulturen zeigt sich auch bei der Reaktion auf externe Einflüsse. Das Shogunat versuchte, Japan nach außen abzuschotten und ausländische Einflüsse, seien es chinesische oder europäische, auf ein Minimum zu beschränken. Für die Bewahrung der traditionellen gesellschaftlichen Strukturen schien dies der einfachste Weg zu sein. Das Bürgertum hingegen war allen ausländischen Einflüssen gegenüber ausgesprochen aufgeschlossen. Die wenigen Beispiele europäischer Kunst, die zunächst über die portugiesische und dann über die holländische Niederlassung in Nagasaki ins Land drangen, wurden begierig aufgegriffen und ihre Wirkungen lassen sich in der bürgerlichen Kunst leicht nachweisen. Im Kabuki-Theater finden sich Elemente des Barocktheaters wieder. Der Farbholzschnitt hat die wissenschaftliche Genauigkeit der europäischen botanischen Kupferstiche oder die perspektivische Darstellung der Landschaft aufgenommen und an das traditionelle Formenrepertoire adaptiert. In der traditionsbewußten Tuschmalerei sind diese Dinge kaum nachweisbar.

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Miniaturlandschaft, Holzschnitt von 1808

Zwischen den Miniaturlandschaften und der Landschaftsmalerei gab es immer eine Verbindung. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass sich die neue Sicht der Landschaft, die sich im Farbholzschnitt zeigte, und damit auch der europäische Einfluß, auch bei den Miniaturlandschaften auszuwirken begann. Um das Jahr 1800 herum werden die Miniaturlandschaften realistischer und es sind nicht mehr mythologische Landschaften, nicht mehr die kleinen Visionen vom Paradies, sondern es sind die schönen Landschaften Japans, die bevorzugt dargestellt werden. Die Gestaltung ist nicht mehr von Abstraktion und Reduktion auf das Wesentliche geprägt, sondern wird detailverliebt. Jetzt werden auch die verschiedensten Accessoires aufgenommen, Pagoden, Häuser, Brücken, Menschen, Tiere.

Der Realismus geht so weit, dass gern auch ganz bestimmte Landschaften dargestellt werden. Ein Beispiel ist das Blatt von Yoshishige, das eine der Raststationen am Tokaido zeigt. Der Tokaido, die Straße von Tokyo nach Kyoto, war eine beliebte Reiseroute am Anfang des 19. Jahrhunderts. Nachdem das Verbot von Vergnügungsreisen nicht mehr streng kontrolliert wurde, gab es einen Reiseboom. Die 53 Rasthäuser an der Straße waren begehrte Holzschnittmotive, als Souvenir für die Reisenden. Solche Farbholzschnitte mit schönen japanischen Landschaften sind gut vergleichbar mit den Stahlstichen mit Rheinansichten etc., die beim europäischen Bürgertum jener Zeit beliebt waren. Das Bild macht einen naturalistischen Eindruck, aber das täuscht. Es ist ziemlich stark idealisiert. Die schmale Schlucht, in der sich die Häuser an den Berg schmiegen, ist in der Natur ein viel breiteres Tal. Der Künstler hat die Landschaft dramatisiert, wie das ja bei den Rheinansichten auch gern gemacht wurde. Diese Dramatisierung kann man durchaus als eine bonsaigerechte Umsetzung sehen. Es geht dem Künstler darum, beim Betrachter die Stimmung zu erzeugen, die er vielleicht auf der Reise an diesem Ort hatte. Dazu ist die realistische Abbildung weniger geeignet, als eine Darstellung, die die charakteristischen Elemente dieser Landschaft stärker hervorhebt. Und da dies in der fernöstlichen Kunst ein gängiges Mittel ist, konnte Yoshishige es extensiver einsetzen als seine europäischen Kollegen, ohne befürchten zu müssen, man werde die Darstellung übertrieben oder unnatürlich finden. Man wird nicht davon ausgehen dürfen, alle 36 Topflandschaften Yoshishiges hätten tatsächlich so existiert. Aber sie zeigen eine in jener Zeit gängige Form der Landschaftsgestaltung.

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Yoshishige (1848): Die Station Kanagawa am Tokaido

Die Gestaltung besonders berühmter Landschaften Japans und Chinas war in der japanischen Gartengestaltung seit langem bekannt. Schon das Sakuteiki erwähnt sie und in der Edo-Zeit wurde eine regelrechte Mode daraus. Es gab große Parks der Daimyo, in denen man den Weg durch den Park als Besuch von bekannten, schönen Landschaften gestalten konnte. Aber der Unterschied zu den Topflandschaften ist gewaltig und demonstriert noch einmal den Unterschied zwischen den zwei Kulturen. Die Landschaften in den Gärten sind hochabstrakt, wobei ein recht originelles Abstraktionsprinzip angewandt wird, das man mit "pars pro toto" bezeichnen könnte. Ein charakteristisches Element der darzustellenden Landschaft, ein Element, das jeder mit dieser Landschaft assoziiert, wird herausgegriffen und soll die gesamte Landschaft vertreten. Der Fujiyama wird dann zu einem kegelförmigen Rasenhügel, der Kiefernwald auf Ama-no-hashidate wird durch eine einzige Kiefer vertreten und die berühmte Brücke im Damm des Westsees in China wird zu einem Trittstein. Diese Praxis wird in den Miniaturlandschaften des 19. Jhs. nicht aufgegriffen. Man versucht hingegen, realistisch zu gestalten, wie man es von den Europäern gelernt hatte. Und man macht dabei auch ganz ähnliche Abstriche am Realismus wie diese. Es wird etwas übertrieben und dramatisiert, so dass die Darstellung "echter" wirkt als das Original.

Gegen Ende des 19. Jhs. trat für die Topflandschaften genau wie für Bonsai eine gewisse Kommerzialisierung ein. Jetzt wurde auch der Begriff Bonkei üblich. Es entstanden eine Reihe von Bonkeischulen, die Unterricht in der Gestaltung von Bonkei boten und dabei zum Teil auch unterschiedliche Gestaltungsformen propagierten. Alle lagen sie jedoch in der Tradition des realistischen, europäisch beeinflußten Bonkeityps. Rückbesinnungen auf strengere, vom Zen beeinflußte Topflandschaften scheint es nicht gegeben zu haben. Im Gegenteil: der Naturalismus wurde noch stärker betont und die Brücken zu genuin japanischen Traditionen in der Kunst gekappt. Das wichtigste Datum in dieser Entwicklung ist die Einführung der Landschaftsmodellierung mit Hilfe von Keto im Jahre 1891. Später wurde Keto zum Teil auch durch Pappmaché ersetzt. Charakteristisch ist auch der Gebrauch von Farbpigmenten und die Ersetzung der natürlichen Pflanzen durch künstliche Blumen und Bäumchen. Manche dieser Kreationen haben tatsächlich eine deutliche Ähnlichkeit mit den Landschaften zur Modelleisenbahn. In Bonsaikreisen herrscht oft die Meinung, solche Gestaltungen seien "typisch chinesisch". Tatsächlich aber sind sie typisch japanisch. In China hat man sich nie so weit von der Tradition entfernt.

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Die Karahashi-Brücke in Seta

Diese Art der Topflandschaften war bis in die 60er Jahre des 20.Jhs. beliebt. Es war allerdings offensichtlich, dass sie der enormen qualitativen Entwicklung, die Bonsai in dieser Zeit durchlief, nichts zur Seite zu stellen hatte. So war es konsequent, dass man sie als Fehlentwicklung betrachtete und an die alten Traditionen vor der "realistischen Wende" anzuknüpfen suchte. Diese Erneuerungsbewegung ist mit dem Namen Toshio Kawamotos verknüpft. Er wählte ein neues Wort, wohl um sich von der peinlichen Tradition von Bonkei abzusetzen: Seikei. Ihre einstige Beliebtheit haben die Topflandschaften allerdings nicht wiedererlangt.

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Bildquellen

1. Rolf A. Stein: The World in Miniature; Container Gardens and Dwellings in far Eastern Religious Thought, übers. von Phyllis Brooks, Stanford (Univ. Press) 1990
2.www.ukiyoe-gallery.com/gallery7.htm
3. Soen Yanagisawa: Tray Landscapes (Bonkei and Bonseki), Tokyo (Japan Travel Bureau) 1962 (3. Aufl.)
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