Die Literaten (Wen-ren, Bunjin) - Die kulturtragende Schicht

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Die Literaten (Wen-ren, Bunjin) - Die kulturtragende Schicht

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von Gunter Lind

Der Literatenstil ist nach den chinesischen Literaten-Beamten benannt. Die wörtliche Übersetzung des chinesischen Wen-ren, das als Bunjin ins Japanische übernommen wurde, ist ´Mensch der Schriftzeichen´. Die Übersetzung ´Literat´ ist unglücklich, denn im Deutschen versteht man darunter eher einen Berufsschriftsteller, der Romane etc. verfaßt. Die chinesischen Literaten-Beamten haben zwar alles Mögliche geschrieben, aber keine Unterhaltungsliteratur und schon gar nicht berufsmäßig. ´Wen´ meint vielmehr im übertragenen Sinn die Quintessenz der Gelehrsamkeit, insbesondere Kalligraphie, Poesie und Malerei. Besser wäre also die Übersetzung ´Gelehrter´ oder ´Gebildeter´.

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Chinesische Literaten-Beamten (´mandarins de lettres´), französische Illustration des 18. Jhs.

Die chinesische bildende Kunst ist zu einem beträchtlichen Teil eine Kunst der Literaten-Beamten gewesen ( Literatenmalerei ). Diese dünne Oberschicht war Träger der staatlichen Macht und der kulturellen Überlieferung zugleich. Diese enge Verbindung von Macht und Gelehrsamkeit entsprach der Forderung des Konfuzius.

Ihre Ausbildung erhielten die Literaten in den konfuzianischen Kloster-Akademien ( oder durch Privatlehrer ), wo auch die Staatsexamina für die unterschiedlichen Positionen in der Beamtenhierarchie abgehalten wurden. Dort wurde keine Spezialbildung für den künftigen Beruf vermittelt, sondern eine Allgemeinbildung. Im Mittelpunkt standen die Beherrschung der fünf gebräuchlichen Schriften, einschließlich der Kalligraphie und die Auseinandersetzung mit den klassischen philosophischen, historischen und politischen Texten.

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Die konfuzianische Akademie Oksan-seowon in Korea. Die Gebäude stammen von 1572. Es war eine kleine, unbedeutende Akademie, wohl deshalb hat sie sich in der ursprünglichen Form erhalten. Man blickt aus der Mensa, die zugleich Aufenthaltsraum der Studenten war, auf das Lehr-und Prüfungsgebäude. Rechts und links liegen die Unterkunftshäuser. Hinter dem Lehrgebäude stehen noch der Tempel und die Bibliothek. Die zugehörigen Ökonomiegebäude liegen separat.

Jeder freie Chinese konnte sich zu den Prüfungen melden. Für das Volk war dies eine hervorragende Möglichkeit des sozialen Aufstiegs in höchste Positionen und an die Spitze des gesellschaftlichen Ansehens. Für den Kaiser war es eine hervorragende Möglichkeit, die Macht des Adels einzudämmen. Die meisten Literaten stammten aus dem landbesitzenden Bauernstand oder aus Literaten-Familien.

Es konnte nicht ausbleiben, dass mehr Männer diesen attraktiven Berufsweg einschlugen als kaiserliche Beamte benötigt wurden. So entstand der ´Gelehrte ohne Amt´: Männer, die das jahrelange Pauken nicht durchhielten, oder die Prüfung nicht bestanden, aber auch solche, die aus politischen Gründen oder mangels einer attraktiven Stelle nicht in den Staatsdienst eintraten, oder die den Dienst quittierten. Sie betätigten sich als Kalligraphen, Lehrer, Ärzte oder Astrologen, oder sie widmeten sich ganz der Kunst, die für den Literaten-Beamten nur eine Feierabend- oder Ruhestandsbeschäftigung war.

Die Literaten betrachteten sich als kulturelle Elite, sie strebten nach Eleganz und geschliffenem Benehmen und kultivierten einen auserlesenen Geschmack. Zu diesem Selbstbewußtsein gehörte auch das Ideal geistiger Freiheit und intellektueller Unabhängigkeit, was mit der Realität des Beamtenstandes nicht immer leicht vereinbar war. Der hier angedeutete Rollenkonflikt wurde oft durch eine Trennung zwischen dem bürgerlichen und dem privaten Leben gelöst. Das erstere wurde durch Pflichterfüllung und die konfuzianischen Wertvorstellungen bestimmt, das letztere eher durch freie geistige und künstlerische Tätigkeit und durch daoistisches Gedankengut. Das Eremitenleben wurde idealisiert, der Rückzug aus der Welt in die unverfälschte Natur wenigstens im eigenen Garten simuliert.

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Kue-hsing, der Gott von Literatur, Kunst und Kultur und Schirmherr der Beamtenexamina, Steinabrieb nach einer Zeichnung von Ma Dezhao (19. Jh.). Der Maler war ein hoher kaiserlicher Offizier, gehörte also selbst zu den Literaten.
Das ganze Bild ist aus Schriftzeichen zusammengesetzt. Der Körper beschreibt die Forderung des Konfuzius an den Beamten: ´Alles korrekt und unparteiisch.´ In den Händen hält die Figur die Schriftzeichen für ´Wissen´ und ´Macht´, letzteres in der Form des Beamtensiegels. Auf der Ferse balanciert Kue-hsing das Sternbild des Großen Wagens. Dort sollte sich sein Palast befinden. Das Schriftzeichen ist lautgleich dem Zeichen für ´siegreichen Kampf´, vielleicht eine Anspielung auf den Beruf des Malers. Die Figur steht auf der mythischen Urschildkröte, die den Geist der Langlebigkeit und Lebensstärke symbolisiert. Das Ganze ist eine Eloge auf den Beamtenstand!
Ein Bild des Kue-hsing hing in jeder konfuzianischen Akademie. Er galt als gütig und half besonders den wackligen Examenskandidaten.


Weil sie sich als kulturtragende Schicht fühlten, haben die Literaten-Beamten natürlich auch selbst in vielfältiger Weise zur Förderung und Erweiterung dieser Kultur beigetragen. Besonders hervorzuheben sind Malerei und Kalligraphie. Aber auch als Sammler haben sie sich hervorgetan. Das folgende Bild gibt einen Blick in ein Literatenstudio, das eine Sammlung von Büchern und Bildrollen beherbergt.

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Xu Mei (1722): Wang Shan beim Lüften seiner Kunstsammlung (Ausschnitt). Wang Shan war ein bedeutender Beamter, der unter anderem viermal einen Ministerposten bekleidete. Als seine Sammlung im Sommer 1721 gelüftet wurde, um Schimmel- und Insektenbefall zu verhindern, war er 76 Jahre alt. Zum Literatenstudio gehörte auch der Penjing. Hier sind es ein Bambus und zwei Laubbäume in Keramiktöpfen auf Ständern. Interessant sind die Stäbe, die in einen der Töpfe gesteckt sind, wohl als Hilfsmittel zur Formung der Zweige.

Eine den Literaten-Beamten vergleichbare Schicht hat es in Japan nicht gegeben. Die politische Macht lag beim erblichen Schwertadel, in Wissenschaft und Kultur spielten vor allem Zen-Priester eine große Rolle, beides Gruppen, die sich durch eine eher anti-intellektuelle Einstellung von den chinesischen Literaten unterschieden.

Die japanischen Bunjin, so bezeichnet nach der japanischen Lesart der chinesischen Schriftzeichen Wen-ren, waren eine Gruppe chinabegeisterter, freischaffender Künstler und anderer Intellektueller, die im 18. Jh. entstand. Da sie keine öffentlichen Ämter erreichen konnten, war ihnen auch die konfuzianische Einstellung der chinesischen Literaten fremd. Sie waren eine Art Boheme, dem Hedonismus des japanischen Bürgertums zugetan. Schon durch ihre Orientierung nach China waren sie politisch eher suspekt, da Kontakte ja verboten waren. Sie saßen wohl etwas zwischen den Stühlen. Die Herrschenden mochten ihre Beziehungen zu China nicht und das aufstrebende Bürgertum mochte ihre Kunst nicht. Es war die Zeit, in der der Einfluß Europas sich in der bürgerlichen japanischen Kunst bemerkbar zu machen begann. Die Bunjin verstanden sich als Gegenbewegung hierzu und damit arbeiteten sie gegen den Zeitgeist. In einer Literaturgeschichte habe ich die Kennzeichnung gefunden, sie seien eine Kleingruppe am Rande der Gesellschaft gewesen. Ihr Einfluß auf die Bonsaigestaltung fällt in eine Zeit, als die Gruppe schon längst nicht mehr existierte.

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Bildquellen

1. Guadalupi, Gianni: China, eine Entdeckungsreise vom Altertum bis ins 20. Jahrhundert. München (Frederking & Thaler) 2003
2. eigenes Photo
3. Pommeranz-Liedtke, Gerhard: Die Weisheit der Kunst, Chinesische Steinabreibungen. Leipzig (Insel) 1963
4. Ledderose, Lothar (Hrsg.): Im Schatten hoher Bäume; Malerei der Ming- und Qing-Dynastien aus der Volksrepublik China. Ausstellungskatalog Baden-Baden 1985
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