Chikanobu (1838-1912) - Bonsaibilder

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Chikanobu (1838-1912) - Bonsaibilder

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von Gunter Lind

Chikanobu Toyohara ist einer der wichtigsten Farbholzschnittkünstler der Meiji-Zeit. Er hatte zunächst die Malerei der Kano-Schule gelernt und war dann Schüler von Kunichika Toyohara. Letzteres kann man schon an seinem Namen ablesen, denn alter Tradition folgend nahm er den Nachnamen seines Meisters an und machte den zweiten Teil von dessen Künstlernamen zum ersten Teil seines eigenen. Chikanobus Oeuvre ist sehr breit und manches davon, besonders seine Kabuki-Bilder, ist in dem bunten und extravertierten Stil Kunichikas gemalt. Auffällig an seinem Werk ist die ungewöhnlich große Zahl von Genreszenen mit Frauen und Kindern, sowie historischen und mythologischen Themen. Die Sitten und Gebräuche der traditionellen japanischen Gesellschaft und des Hofadels sind sein Lieblingsthema. In einer Zeit, in der die westliche Zivilisation in Japan sehr viel galt und die traditionellen Lebensformen von vielen als überholt angesehen wurden, war dies zweifellos nicht nur eine künstlerische Vorliebe, sondern ein pädagogisches Programm. Chikanobu war ein Traditionalist. Aber er war dies nur in seinen Themen. In seiner Malweise hat er Anregungen der westlichen Kunst gern aufgegriffen. Gerade in den Genreszenen hat er einen persönlichen Stil entwickelt, der eine realistische Darstellung mit eleganter, zurückhaltender Linienführung und subtiler Farbgebung verbindet.

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Die ersten drei Bilder stammen aus der gleichen Serie von 25 Farbholzschnitten, auf denen Bräuche dargestellt sind, die zu Beginn des Jahres Glück und Wohlstand bringen sollen. Interessanterweise sind die Bräuche nicht nur in japanischer Schrift angegeben, sondern die beiden wichtigsten Worte auch in lateinischen Buchstaben. In der heute üblichen Transkription lauten sie:

Bild 2 der Serie: fuku warai, glückliches Lachen. Dargestellt ist eine Art Blinde-Kuh-Spiel, bei dem Gegenstände zu ertasten sind, wobei es sicher viel zu lachen gab.
Bild 4 der Serie: fukuju-soo, das Glückskraut, das Amur-Adonisröschen, dessen Name im übertragenen Sinn auch das Neujahrsfest kennzeichnet. Dargestellt ist der Einkauf von eingetopften, blühenden Adonisröschen in einer Gärtnerei.
Bild 23 der Serie: fuku doku, Schaden wegwischen. Dargestellt ist ein Kind, das in einem in Kursivschrift geschriebenen Buch mit dem Pinsel schreiben will. Vielleicht sollen darin gewisse "Schadenswörter" getilgt werden. Genauer beschrieben sind die Sitten auf den Blättern nicht.

Auf den ersten beiden Blättern sind blühende Ume-Bonsai dargestellt, in beiden Fällen mit einer gefüllten Form der gelben Adonisröschen unterpflanzt, offenbar der typische Neujahrsbonsai. In der Baumschule sieht man im Hintergrund ein ganzes Feld, auf dem Ume-Bonsai vorgezogen werden. Auf dem dritten Blatt sieht man einen Kiefernbonsai, mit einem Gras (?) als Unterpflanzung in einer rechteckigen, tiefen Schale. Die Kiefer hat keinerlei Ähnlichkeit mit der typisch japanischen Bonsai-Kiefer. Es handelt sich um einen schlanken Doppelstamm in einer eher naturalistischen Form, die noch heute in der "Nördlichen Schule" in China beliebt ist. Auch sonst entspricht die Bonsaigestaltung in der Meiji-Zeit weitgehend chinesischen Vorbildern.

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Auch das vierte Bild ist ein Neujahrsbild und der dargestellte Bonsai ist wieder eine mit Adonisröschen unterpflanzte Ume. Es handelt sich um das mittlere Blatt eines Triptychons aus einer Serie mit Jahreszeitenbräuchen in Edo. Eine Gruppe von Tänzern und Schauspielern zieht zu Neujahr von Haus zu Haus, um mit ihrer Kunst zu gratulieren (und natürlich die Sammelbüchse aufzuhalten). Auf dem Blatt ist vorn ein Trommler dargestellt, der singt und skurrile Tanzbewegungen ausführt. Die zuschauenden Kinder amüsieren sich offenbar köstlich. Auf dem linken Teil des Triptychons sind zuschauende Frauen und Kinder dargestellt, während die Männer im Nebenraum sich von dem Mummenschanz nicht stören lassen. Auf dem rechten Teil des Triptychons sieht man weitere Mitglieder der Truppe.

Die Ume ist wohl der auf Farbholzschnitten am häufigsten dargestellte Bonsai, so dass man sich recht genaue Vorstellungen über ihre Gestaltung machen kann. Das Wichtigste war offenbar der Stamm: Er mußte eine interessante Linie mit abrupten Richtungswechseln besitzen; offenbar war ein relativ dicker Stamm begehrt und auf eine alte, borkige Rinde wurde viel Wert gelegt. Demgegenüber war die Gestaltung der Äste und Zweige anscheinend zweitrangig. Oft gibt es überhaupt keine stärkeren Äste und die Zweige wurden offenbar nicht unter formalen Gesichtspunkten, sondern im Hinblick auf die Blüte gestaltet. Fast immer ist der Kronenaufbau sehr locker, so dass jede einzelne Blüte zu sehen ist.

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Das fünfte Bild zeigt noch einmal eine Ume. Es stammt aus der Serie "Spiegel der Zeiten" aus dem Jahr 1879. Auf den Blättern sind Frauenköpfe abgebildet, die das Schönheitsideal der einzelnen Zeiten darstellen, also die modische Frisur und das Make-up. Dieses Blatt stellt eine Dame der Enpoh-Zeit dar (1673-1681). Über dem Frauenkopf ist jeweils eine Szene aus der betreffenden Zeit dargestellt. Das Bild zeigt nur diesen Ausschnitt. Der Ume-Bonsai hat eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der berühmten Tobi-Ume, der fliegenden Ume, einem Baum, der im 9.Jh. seinem Besitzer, einem berühmten Gelehrten, in die Verbannung hinterhergeflogen sein soll. John Naka (Bonsai Techniques II, Abb. 609 ) gibt eine Skizze dieses Baumes. Charakteristisch sind der abgeknickte Stamm und der ihn kreuzende Hauptast.

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Chikanobu hat gern Triptychen gemalt und die beiden nächsten Bilder zeigen Einzelblätter aus solchen. Die Schrift auf dem ersten, rechten Triptychon-Blatt gibt dessen Thema an: Malerei und Kalligraphie als Beschäftigungen von Damen mit guten Umgangsformen. Auf dem Blatt soll ein Fächer bemalt werden. Im Hintergrund steht ein Landschaftsbonsai in einem hellblauen Topf mit dunkelblauem Blütenmuster. Die chinesische Sitte, Einzelbäume in Töpfe und Landschaften in Schalen zu pflanzen, wird zwar auch in Japan meist befolgt, aber nicht durchgängig und hier haben wir eine der Ausnahmen. Die Landschaft besteht, dem gängigen chinesischen Typ folgend, aus einem Stein und einem Baum. Während in China jedoch Stein und Baum kontrastierend gegeneinander gesetzt werden (siehe das Gothaer Penjing-Album), werden sie in Japan oft als eine Einheit betrachtet. Die Kiefer umspielt den Stein. Die Komposition hat eine oberflächliche Ähnlichkeit mit einer Felspflanzung.

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Die Integration von Stein und Pflanze gilt auch für die beiden Landschaften auf diesem Blatt. Beide stehen in Schalen, einer runden und einer quadratischen. Beide bestehen aus einem Stein und einer Pflanze (Baum bzw. Gras), die als kompositorische Einheit betrachtet werden. Die Steine sind interessant geformt, mit Höhlungen, höher als breit und ?kopflastig?, ganz dem chinesischen Geschmack entsprechend. Auch Suiseki scheinen damals noch meist so ausgesehen zu haben. Die Komposition aus Stein und Gras (?) in der quadratischen Schale ist sehr einfach gestaltet. Bei dem zarten, fruchttragenden Bonsai in der runden Schale könnte es sich um einen Granatapfelbaum handeln. Auch hier ist der Kronenaufbau sehr locker und duftig. Jede Frucht ist zu sehen.- Das Thema dieses Triptychons ist "Schöne Frauen beim Musizieren". Das Instrument auf dem abgebildeten Blatt ist eine chinesische Erhu, eine Röhrengeige oder Röhrenspießlaute, die aus Zentralasien stammt.

Die der traditionellen chinesischen Landschaftsgestaltung nahestehenden Landschaftsbonsai, die Chikanobu hier darstellt, waren im bürgerlichen Japan längst durch illusionistische, westlich beeinflusste Bonkei abgelöst worden. Anscheinend war das in der traditionellen Oberschicht, in der viele von Chikanobus Genreszenen spielen, noch anders. Dort wurde gerade in der Meiji-Zeit die traditionelle Kultur hochgehalten und das hieß: die alte chinesische Tradition, nicht die national-japanische Tradition, die mit dem abgesetzten Shogunat assoziiert wurde. Die Ästhetik von Bonkei dürfte dieser Oberschicht kaum entsprochen haben. Für sie war das Kitsch.

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Es gibt auch eine Darstellung einer Bonkei-Landschaft von Chikanobu. Auch sie stammt aus einer Serie, in der Sitten und Gebräuche dargestellt sind, jedoch handelt es sich hier um Alltagsgebräuche aus dem bürgerlichen Leben, wie Kartenspiel, ein Spaziergang, die Betrachtung des Mondes oder der Chrysanthemenblüte. Das betreffende Blatt zeigt eine Dame vorm Spiegel beim Auflegen des Make-ups. Es ist hier nur ein Ausschnitt wiedergegeben, weil die Bonkei-Landschaft sonst zu klein geworden wäre. Es ist ein sehr delikat gemaltes, stimmungsvolles Blatt. Der Landschaftsbonsai steht auf der Terrasse des hoch über dem Meer gelegenen Hauses mit herrlichem Blick auf Klippen und den im Dunst verschwimmenden Horizont. Der Landschaftsbonsai ist perspektivisch aufgebaut: im Vordergrund ein ländliches Haus mit einer Kiefer und Büschen daneben, im Mittelgrund, deutlich kleiner, ein Flusslauf mit zwei Segelbooten, im Hintergrund der Fuji.


Bildquellen

Alle Bilder stammen aus d em Bestand der National Diet Library in Tokyo (Rare Books Image Database, in Japanisch)
http: //rarebook.ndl.go.jp
Unter dem Namen Chikanobu sind es dort die Nummern 43, 45, 64, 257, 80, 252, 258 und 6 (in der Reihenfolge dieses Beitrages).

http://www.bonsai-fachforum.de/viewtopic?f=68&t=20066
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