Beschreibung des Wachstums beim Wacholder (Übersetzung)

Hier wird der Bau eines Baumes dargelegt. Allgemein und für Bonsai wichtige Details
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Thierry
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Beschreibung des Wachstums beim Wacholder (Übersetzung)

Beitrag von Thierry »

Übersetzung (Originaltitel : "Modélisation de la croissance d'un genévrier de Phénicie")

Modellierung des Wachstums beim phönizischen Wacholder (Juniperus phoenicea)

Autoren: Jean-Paul Mandin und David Busti; Herausgeber: David Busti
29. April 2010

Teil 1

Unter den phönizischen Wacholder (Juniperus phoenicea) in den Felswände der Schluchten der Ardèche (F), gibt es immer noch sehr alte Bäume mit vielen toten Ästen und verdrehte Stämme. Die Beobachtung von Querschnitten vieler toten Stämme hat außerdem gezeigt, dass der Stamm in Sektoren unterteilt ist, weil sie immer durch Krisenphasen überlebt haben, in denen nur ein sehr kleiner Teil des Kambium funktioniert hat. Wir hatten schnell den Verdacht, dass diese kambiale Todesfälle im Zusammenhang lagen mit dem sektorenbezogenen/aufgeteilten Fluss der SAP, wie bei den Thuja occidentalis auf den Klippen des Niagara (Larson, 1993). Um dies zu überprüfen, haben wir ein Experiment gemacht, um die Kanäle vom Roh-Saft zu färben.

Untersuchung vom SAP-Fluss

In einem ehemaligen Steinbruch in der Nähe des Naturschutzgebietes von den Schluchten der Ardèche, waren viele junge phönizischen Wacholder im Alter von 10 bis 15 Jahren. Ein Loch wurde an den Füßen der jungen Bäume gegraben und ein Teil ihres Wurzelsystems freigelegt. Eine oder zwei Wurzeln wurden in Kunststoffflaschen getaucht, die ein Farbstoff enthalten. Das Loch wurde mit Erde gefüllt bis unterhalb vom Flaschenhalz. Die verwendeten Farbstoffe sind Safranin (rot) und Kristallviolett (blau). Der Farbstoff wurde alle zwei bis drei Tage in die Fläschchen nachgefüllt. Kontrollexperimente wurden auf benachbarte Zedern-Wacholder (Juniperus oxycedrus) durchgeführt.

Bild Nr.1: Die Umsetzung der Färbungen an einem jungen phönizischen Wacholder
mise-en-place-des-colorations.jpg
Vier Arten von Experimenten wurden zwischen dem 19. Mai und dem 5. Juni 2004 durchgeführt. Die Schwierigkeit, genug junge Bäume im untersuchten Gebiet zu finden, führte zu einer begrenzten Anzahl von Wiederholungen:
1. Einfache Färbungen: Eine einzige Wurzel der Pflanze wird in ein Farbstoff (Safranin oder Kristallviolett) für eine Woche gestellt. Wir führten einfache Färbungen mit dem einen oder anderen Farbstoff an zwei phönizische Wacholder und an zwei Kontrollpflanzen (Zedern-Wacholder).
2. Doppel-Färbungen: eine Wurzel wird in Safranin und eine andere Wurzel in Kristallviolett für eine Woche gelegt. Die Doppel-Färbungen wurden an sechs Wacholder und drei Kontrollpflanzen durchgeführt.
3. Einfache Färbungen mit Verletzung: eine Wurzel wird in einem Farbstoff (Safranin oder Kristallviolett) für eine Woche gestellt. Dann wird ein Einschnitt in den Stamm gemacht, um den Fluss vom SAP, der von der Wurzel kommt, die in Farbstoff eingetaucht ist, zu unterbrechen. Der Farbstoff bleibt eine Woche länger. Zwei phönizischen Wacholder wurden für jeden Farbstoff getestet.
4. Doppelfärbungen mit Verletzung: dieses Experiment ist identisch mit dem vorherigen, aber nach dem Einschnitt in den Stamm ändern wir den Farbstoff und lassen es eine Woche länger wirken.

Am Ende der Experimente, werden die betroffen Wacholder ausgegraben und die Rinde entfernt. Die Pflanzen sind fotografiert. Dann wird eine Linie in Längsrichtung auf dem Stamm gezeichnet um die Position der Querschnitte (alle 5 bis 10 cm, je nach Größe der Probe) zu markieren. Fotografien und Zeichnungen der farbigen Markierungen werden gemacht. Von den 31 Experimente, haben nur 20 funktioniert mit einem gut sichtbaren Fluss der Farbstoffe. Dieses Phänomen wurde bereits von Larson (1994) festgestellt, aber es ist hier sogar noch ausgeprägter in unseren Experimenten wegen der Schwierigkeit, die Wurzeln in situ ohne Schädigung richtig zu identifizieren.

Resultat: eine Sektorisierung der Kanäle vom SAP beim phönizischen Wacholder

Beim phönizischen Wacholder zeigen die Färbungsexperimente (Einzel oder Doppelt) ohne Verletzung, dass der Saftfluss einen spiralförmigen rechtsdrehenden Weg im Stamm folgt und dass der Saftfluss in streng unterteilten Sektoren bleibt (siehe Abbildung unten). Mit anderen Worten, es gibt keinen lateralen Fluss vom rohen Saft. Hingegen, bei den Zedern-Wacholder (Zeugepflanzen) dringt der Farbstoff in den ganzen Holzring ab ca. 30 cm über dem Wurzelhals (siehe Abbildung unten).

:arrow: Die Ergebnisse der Experimente (Bilder mit Erklärungen):

- Bilder Nr. 2 bis 4: Doppelte Färbung bei einem phönizischen Wacholder
double-coloration-genevrier-de-phenicie1.jpg
double-coloration-genevrier-de-phenicie2.jpg
double-coloration-genevrier-de-phenicie3.jpg
- Bild Nr.5: Einzelne Färbung bei einem Zedern-Wacholder (Kontrollpflanze)
simple-coloration-genevrier-oxycedre.jpg
Beim phönizischen Wacholder zeigen die Färbungsexperimente (Einzel oder Doppelt) mit Verletzungen, dass der Saftfluss oberhalb der Verletzungsstelle nicht von seinem Kurs abweicht (siehe Abbildung unten). Es gibt kein seitlicher (lateraler) Saftfluss, die es dem SAP erlauben würde, die Verletzungsstelle zu umgehen. Bei den Zedern-Wacholder (Kontrollpflanzen) ist die Situation völlig anders. Nach der Verletzung, fängt die Zirkulation vom SAP an, die verletzte Stelle zu umgehen und nimmt dann ganz andere Wege als die Wege die sie früher nahm (siehe Abbildung unten).

:arrow: Ergebnisse der Experimente der Doppelfärbungen mit Verletzungen:

(Die violetten Bereiche entsprechen der Überlagerung der zwei Farben.)

- Bilder Nr. 6 und 7: Teilweise Doppelfärbung bei einem phönizischen Wacholder.
double-coloration-avec-blessure-genevrier-de-phenicie1.jpg
double-coloration-avec-blessure-genevrier-de-phenicie2.jpg
- Bild Nr.8: Doppelfärbung bei einem Zedern-Wacholder (Kontrollpflanze).
double-coloration-avec-blessure-genevrier-oxycedre.jpg
Diese Sektorisierung vom SAP-Fluss beim phönizischen Wacholder ist erstaunlich. In der Tat, eine Überprüfung der Struktur der gefärbten Kanäle im Holz (siehe Bild Nr.9) zeigt zahlreiche Zeichensetzungen/Interpunktionen. Es gibt also keine anatomische Unmöglichkeit für einen lateralen Fluss vom SAP. Und trotzdem zeigten unsere Experimente, dass der Saftfluss einen spiralförmigen Weg im Stamm folgt, und v.a. dass dieser Saftfluss in Sektoren streng unterteilt bleibt, und dass es keinen lateralen SAP-Fluss gibt.

- Gefäße vom phoenizischen Wacholder

- Bild Nr.9: Zeichensetzungen/Interpunktionen der Kanäle, Frontansicht.
vaisseaux-ponctues1.jpg
- Bild Nr.10: Zeichensetzungen/Interpunktionen, Längsschnitt-Ansichten.
vaisseaux-ponctues2.jpg
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Thierry
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Re: Beschreibung des Wachstums beim Wacholder (Übersetzung)

Beitrag von Thierry »

Teil 2


Kontrolle des Wachstums von Juniperus phoenicea durch interne und externe Faktoren

Die phönizische Wacholder ist ein Baum, dessen Saftfluss streng polarisiert zu sein scheint. Jede Wurzel liefert einen Teil vom Stamm und von den Ästen die darüberliegen. Es gibt keinen lateralen SAP-Fluss. Sobald ein Teil des Wurzelsystems stirbt, sterben das versorgte Kambium und die versorgten Äste, aber der Rest des Baumes bleibt lebendig. Jeder einzelne Baum verhält sich nicht wie eine Einheit, sondern wie eine Reihe von unabhängigen Elementen die miteinander verschweißt sind. Der Baum hat eine sogenannte "coloniaire" Funktion (Halle, 1999) oder "sektorisierte Funktion" (Larson u. al., 1993), das heißt, es ist eine Gesamtheit der Elemente "Wurzeln-Stammteil-Äste", nebeneinander und völlig unabhängig voneinander. D.h., wenn ein Element unterernährt ist (z.B. eine Wurzel in einem trockeneren Umfeld) oder wenn die Wurzeln sterben (z.B. Düre oder exponierte Wurzeln in den Felsen) oder wenn Äste sterben (z.B. Verletzung), dann wächst das betroffene Element "Wurzeln-Stammteil-Äste" langsamer als der Rest oder entwickelt sich sogar überhaupt nicht mehr. Daher diese Unregelmäßigkeit vom Wachstum im Durchmesser.

- Einige Unfälle die das unregelmäßige Wachstum der phönizische Wacholder erklären :

- Bild Nr. 11: Nackte Wurzeln nach einem Erdrutsch.
mise-a-nue-des-racines.jpg
- Bild Nr. 12: Baum von einem Felssturz durchbrochen.
chute-de-pierre.jpg
Vom morphologischen Standpunkt aus, erklärt dieses Verhalten die unregelmäßige Form der verdrehten Bäume. Die Wurzel-Sterblichkeit verursacht ein lokalisiertes Sterben vom Kambium, welches ein unregelmäßiges Wachstum des Stammes hervorruft. Die Holzscheiben sind oft mit spinaler exzentrischer, unvollständiger Ringe und in Halbmond gelappt. Da der Fluss von SAP spiralförmig geschieht, entsteht so ein verdrehter Stamm.

Diese verdrehte Morphologie resultiert also aus der Kombination von immanente (interne) Faktoren der Spezies (unterteilter und spiralförmiger Saftfluss) und von externen Faktoren:
1. Freilegen und Tod der Wurzeln durch Erosion des Gesteins (Erdrutsch). Dies ist sicherlich die Hauptursache;
2. Verletzungen des vegetativen Apparates durch Felsenstürze. Der Steinfall hat zur Folge, die Äste absterben zu lassen, die sich über der Wunde befinden;
3. Verletzungen des vegetativen Apparates durch Blitzschlag. Diese Ursache ist selten;
4. Füllen mit mineralischem Kalkspat in den Rissen wo sich die Wurzeln entwickeln.

- Modellierung des Wachstums eines Baumes

Die Datierung der kambialen Sterblichkeit erlaubt es die Todesgeschichte der Baumwurzeln zu rekonstruieren. Jeder Baum hat seine eigene Geschichte, die kambiale Sterblichkeit sind charakteristisch des Individuums und geben ihm eine einzigartige Form (siehe Abbildungen unten).

Die Modellierung des Wachstum eines Baumes: 1. In der Anfangsphase :

Bild Nr. 13: Alle Wurzeln sind funktionsfähig. Das gesamte Kambium funktioniert.
modelisation1.jpg
Bild Nr. 14: Das gesamte Kambium funktioniert noch. Drei Wurzeln sterben (*).
modelisation2.jpg
Die Modellierung des Wachstum eines Baumes : 2. Während der Wächstumsphase :

Bild Nr. 15: Nur drei Abschnitte des Kambiums funktionieren. Eine neue Wurzel stirbt (*).
modelisation3.jpg
Bild Nr. 16: Zwei Abschnitte des Kambiums funktionieren. Eine neue Wurzel stirbt (*).
modelisation4.jpg
Bild Nr. 17: Das Kambium zersplittert sich weiterhin. Zwei Wurzeln sterben (*).
modelisation5.jpg
Die Modellierung des Wachstum eines Baumes : 3. Am Ende der Wachstumsphase :

Bild Nr. 18: Zwei Abschnitte des Kambium stellen ihre Aktivität ein. Zwei neue Wurzeln sterben (*).
modelisation6.jpg
Bild Nr. 19: Nur zwei Abschnitte des Kambium bleiben aktiv.
modelisation7.jpg
Bild Nr. 20: Der Baum ist 650 Jahre alt.
modelisation8.jpg
Die Rekonstruktion der Geschichte der alten verdrehten phönizischen Wacholder könnte ein guter Weg sein, um die Rate der Felsenerosion zu schätzen, wie es beim Grannen-Kiefer (Pinus aristata, Rocky Mountain Bristlecone Pine) in den Vereinigten Staaten getan wurde (Valmore & Lamarche, 1968).

Von einer adaptiven Sicht ist dieses sektorisierte Verhalten sehr vorteilhaft in einem so schwierigen Umfeld wie eine Klippe oder eine Felsenwand. Der Baum kann am Leben bleiben, selbst wenn seine Versorgung an Wasser und Mineralien nur noch von einem Bruchteil seines Wurzelsystems gewährleistet wird. Wir können sehr dicke Bäume sehen, die nur noch einen einzigen kleinen lebenden Ast besitzen, und das wahrscheinlich schon seit einer sehr langen Zeit.

29. April 2010
Jean-Paul Mandin
Société Botanique de l'Ardèche - Conseil Scientifique de la Réserve naturelle nationale des gorges de l'Ardèche
Viele Grüße,
Thierry

"A juniper without jin is like a dog without fleas : not natural..." - John Naka
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