Werdegang eines Juniperus chinensis - Jan Schwope

Vom Ausgangsmaterial zum reifen Bonsai
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Jan Schwope
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Werdegang eines Juniperus chinensis - Jan Schwope

Beitrag von Jan Schwope »

Hallo zusammen,

das erste Bild zeigt den Baum im Urzustand (leider gibt es hier keine Bilder von den anderen Seiten).
Der Wacholder ist ca. 1,4m hoch.
Es handelt sich um Baumschulmaterial und wurde offensichtlich nicht für eine Gestaltung vorbereitet worden.
Der Gesundheitszustand war sehr gut.
Wie sehr häufig bei solchem Material sind die vorhandenen Äste sehr dick und können nicht in die Gestaltung einbezogen werden.
Die dünneren Äste zeigen dagegen ein deutlich schwächeres Wachstum.

Was ist zu tun?
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Bild_01_2002.jpg
Bild_01_2002.jpg (51.44 KiB) 7910 mal betrachtet
Bonsai ist niemals eine Frage der Größe, sondern immer eine Frage des Geschmacks.
Jan Schwope
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Re: Kann aus diesem Material ein Bonsai werden ?

Beitrag von Jan Schwope »

Das.

Kommentare, Meinungen und Fragen sind ausdrücklich erwünscht.

Viele Grüße
Jan
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Juniperus Chinensis.jpg
Bonsai ist niemals eine Frage der Größe, sondern immer eine Frage des Geschmacks.
Jan Schwope
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Re: Kann aus diesem Material ein Bonsai werden ?

Beitrag von Jan Schwope »

Hallo zusammen,

vielen Dank für das reichliche Lob.
Ich werde versuchen alle Fragen zu beantworten, Bilder nachzureichen (auch die peinlichen :oops: ), einige Gedankengänge zur Gestaltung wiedergeben, Hinweise geben wie ich mit Wacholdern umgehe und letztendlich eine Analyse was meiner Meinung nach an dem Baum verbesserungsfähig ist geben (schonungslos den Baum verreißen :) ).
Das wird aber etwas dauern und daher werde ich es nur in mehreren Etappen schaffen.

Zunächst muss ich mich bei euch entschuldigen, da ich mich leicht bei der Zeit der Erstgestaltung vertan habe. Die Erstgestaltung war genau am 10.März 2002 (die Zeit vergeht...). Der Anlass war der jährliche Tealentwettbewerb (ja mit solchem Material mussten wir uns rumschlagen :) ). Damit ist auch schon die erste Frage beantwortet, warum ich mir einen solchen Baum aussuche. Ausgesucht habe ich ihn mir nicht. Im Gegenteil, ich habe gebetet, genau diesen Baum nicht zu bekommen. Irgendwie wollte er aber wohl zu mir (nichts im Leben ist zufällig).

Wie bei jeder Erstgestaltung mussten zunächst ein paar Entscheidungen getroffen werden.
Hier ging es aber nicht darum Äste zu selektieren die schön begrünt in die Gestalung eingehen werden sondern es ging darum entweder einen sehr radikalen Schnitt zu machen und den Baum aufzubauen oder etwas mit dem vorhandenen, meiner Meinung nach unbrauchbaren Ästen "hinzufummeln".
Die erste Variante führt zu sofortigen Tränen die schnell trocknen, die zweite Variante zu andauernden Tränen bis dann letztendlich doch die Variante 1 folgt (meist aber erst Jahre später).
Die Entscheidung fiel mir leicht. Das es sich hier um einen Wettbewerb handelte war zu diesem Zeitpunkt schon egal. Es galt den richtigen Schritt zu machen auf dem alle anderen Schritte aufbauen können. Gewinnen oder verlieren - diese Frage stellte sich schon nicht mehr.

Variante 1 ist die richtige und das Ergebnis ist im ersten Bild zu sehen. Ich sehe die entsetzten Gesichter beim Anblick dieses Fotos, mir klingen auch noch die Aufschreie in den Foren in den Ohren. Aber wie gesagt, Tränen die schnell trocknen.
Viel wichtiger für mich war es damals einen Plan zu haben den ich verfolgen konnte. Wie sieht der Baum in 2, 5 oder 10 Jahren aus? Diesen Plan hatte ich.
Ich habe damals für mich ein Virtual erstellt (Bild 2) an dem ich mich orientieren konnte. Martin S. kann sich evtl. noch daran erinnern.

Ende Teil 1
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Bild 1.jpg
Bild 2.jpg
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Jan Schwope
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Re: Kann aus diesem Material ein Bonsai werden ?

Beitrag von Jan Schwope »

Teil 2

Bei so einem drastischem Rückschnitt habe ich bewußt darauf vezichtet, zu diesem Zeitpunkt bereits Totholzbereiche anzulegen. Die dünnen Äste sind nicht genug etabliert und eine genaue Lokalisierung der Saftbahnen ist sehr schwer möglich weil diese sehr dünn sind. Wird dann das Totholz etwas zu breit angelegt durchtrenne ich die Saftbahnen und die Äste mit denen ich den Baum aufbauen möchte sterben.
Das Ziel war es zunächst Äste und Grünmasse aufzubauen.
Um das zu erreichen muss der Wacholder LANGTRIEBE bilden. Langtriebe bildet er wenn er ordentlich Futter bekommt, in groben durchlässigen Substrat steht und reichlich gegossen wird (eine Substratempfehlung möchte ich an dieser Stelle nicht geben da dieses Thema schon reichlich diskutiert wurde). Ich halte nichts davon Wacholder nur zu übersprühen und wenig zu gießen (aber auch das ist nur meine Meinung).

Nachdem der Wacholder 1 Jahr gewachsen ist sah er wie auf den folgenden Bildern aus. In dieser Zeit wurde er weder geschnitten noch pinziert.

An dieser Stelle ist anzumerken, dass der Baum keinerlei Stresslaub gebildet hat. Meiner Erfahrung nach reagieren diese Wacholder auf einen starken Rückschnitt sehr gut, weniger gut allerdings auf einen stärkeren Wurzelschnitt (dann mit Stresslaub).
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Bild 03 Vorderseite 2003_1.jpg
Bild 04 Rückseite 2003_1.jpg
Bild 05 rechte Seite 2003_1.jpg
Bild 06 linke Seite 2003_1.jpg
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Jan Schwope
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Re: Kann aus diesem Material ein Bonsai werden ?

Beitrag von Jan Schwope »

Teil 3

2004 wurde der Wacholder das erste mal in eine Schale gepflanzt.
Weiterhin war das primäre Ziel Grünmasse aufzubauen. Daher wurde die Substratmischung nicht geändert.

Bis 2006 wurden die Äste des Wacholders wachsen gelassen und dann die Langtriebe zurückgeschnitten (aber nicht völlig entfernt). Pinziert wurde witerhin nicht.
Die Folge ist, daß sich sich die primäre und sekundäre Verzweigung ausbildet und etablieren kann.

Leider existieren in dem Zeitraum 2004/2005 keine Fotos.

2006 waren alle Äste etabliert, die Verzweigung und damit auch die Grünmasse hat deutlich zugenommen. Jetzt konnte ich daran denken den Totholzbereich anzulegen. Der Baum hat sehr deutlich gezeigt wo der Shari angelegt werden kann. Der Rindenbereich ist etwas eingefallen. Weiterhin ist aber Vorsicht geboten um nicht doch noch den einen oder anderen Ast zu gefährden.

2006 war auch das Jahr in dem sich die Pflege- und Gestaltungsmaßnahmen geändert haben. Da die primäre und sekundäre Verzwigung ausgebildet war galt es jetzt die feinere Verzweigung anzugehen. Ich arbeite auch an Wacholdern hauptsächlich mit Schnittmaßnahmen und weniger mit pinzieren.
Wenn die starken Triebe gezupft werden soll das Wachstum an dieser Stelle gehemmt werden und so die Wuchskraft in Seitentriebe gelenkt werden. Das gelingt auch - zumindest teilweise. Häufig ist aber zu beobachten, dass dieser starke (gezupfte) Trieb wieder beginnt zu treiben und die Seitentriebe nicht. Das ist meiner Meinung nach nicht verwunderlich denn es ist ja weiterhin der wüchigste Teil. Einen wirklichen Erfolg erziele ich dadurch nicht. Ich entferne diesen stark wüchsigen Bereich komplett durch schnitt und zwinge so die Wuchskraft in die Seitentriebe (schlecht zu beschreiben, werde bei Gelegenheit mal ein Foto einstellen).

2006 sah der Baum dann so aus.

Teil 4 folgt hoffentlich morgen.
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Bild 07 Vorderseite 2006.jpg
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Jan Schwope
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Re: Kann aus diesem Material ein Bonsai werden ?

Beitrag von Jan Schwope »

Teil 4

2007 war es an der Zeit, einige Dinge zu überprüfen.
Bin ich noch auf dem Weg den ich 2002 eingeschlagen habe? Gefallen mir die einzelnen Bereiche die ich entwickelt habe? Gibt es Möglichkeiten das Potential besser zu nutzen?

Wenn ich das Virtual mit dem jetzigen Zustand vergleiche kann ich den ersten Punkt eindeutig mit ja beantworten.

Am Baum fallen aber einige Bereiche auf die optimiert werden müssen.

1. Die zwei kleinen Stämme weisen zu wenig Bewegung auf.
2. Der markierte Grünbereich verhindert, dass man in den Baum reinsehen kann.
3. Der 2. Stamm von links weist wenig Bewegung auf

Problem 1 ist leicht zu lösen.
Problem 2 ist auch leicht zu lösen indem man den Ast entfernt (es entsteht aber ein neues Problem indem der 2. Stamm noch mehr in den Fokus rückt)
Problem 3 ist nicht so leicht zu lösen. Drahten und biegen ist leicht möglich, die Bewegung wirkt aber bei dieser Stammstärke schon etwas unnatürlich. Ich musste mir hier eine andere Lösung einfallen lassen.

Überdenkung der Potentials:
Eine Potentialanalyse ist meiner Meinung nach kein einmaliger Schritt sondern etwas was regelmäßg durchgeführt werden sollte. Natürlich kann eine Analyse immer nur an dem jeweiligen Ist-Zustand durchgeführt werden. Eine Potentialanalyse lohnt sich immer, sei es im Rahmen eines Workshops, im AK oder auch allein. Wichtig ist aber, dass aus der Analyse ein Plan für das weitere Vorgehen entsteht. Aussagen wie "pflanz ihn in den Acker und lass ihn wachsen" ist kein Plan.

Ergebnis meiner Analyse war
1. Der Baum wirkt insgesamt etwas zweidimensional
2. Die einzelnen Bäume wirken etwas aufgereiht.
3. Die Abstände zwischen den Bäumen sind teilweise sehr ähnlich.

Mit der nächsten Überarbeitung wurden die beiden kleine Stämme angepasst. Es wurde ihnen mehr Bewegung gegeben und ein Stamm weiter in den Hintergrund positioniert.
Der störende Ast wurde entfernt, sodaß man jetzt in den Baum reinsehen konnte und auch rückwärtige Äste besser sichtbar wurden. Es entstand der Eindruck von größerer Tiefe. Der entfernte Ast entspringt nicht wie anhand der Bilder zu vermuten ist am Hauptbaum, sondern am 2. Stamm und wurde bisher nach vorn geführt. Der Gedanke war, die relativ gerade Line des 2. Stammes etwas durch den Grünbereich zu unterbrechen. Jetzt war er weg und der Blick auf den zweiten Stamm war frei. Es wurden auch noch einige weitere Äste entfernt.
Die Ansichtsseite wurde leicht verändert um die Abstände zwischen den Stämmen optisch zu verändern.

Der Sharibereich wurde zudem verbreitert.
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Bild 07 Vorderseite 2006_2.jpg
Bild 08 Vorderseite 2007.jpg
Bild 09 rechte Seite 2007.jpg
Bild 09 rechte Seite 2007.jpg (78.1 KiB) 6798 mal betrachtet
Bild 10 Rückseite 2007.jpg
Bild 11 linke Seite 2007.jpg
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Jan Schwope
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Re: Kann aus diesem Material ein Bonsai werden ?

Beitrag von Jan Schwope »

5. und letzter Teil
Ihr habt es bald geschafft :-D

2010: Das Problem mit dem geraden Stamm ist leider noch nicht gelöst - aber eine Idee ist da.

In der Zwischenzeit wurde der Baum wieder umgetopft. Die ursprüngliche Substratmischung (sehr grobkörnig) wurde jetzt durch feinkörnigeres Substrat ersetzt. Das hat zur Folge, daß der Austrieb nicht mehr in Form von Langtrieben, sondern sehr gleichmäßig erfolgt. Das ist jetzt zielführend da der Fokus auf der Feinverzweigung liegt.

Durch die leicht veränderte Ansichtsseite und die Korrektur der kleinen Stämme wirkt der Baum kompakter und hat mehr Tiefe. Manchmal ist die Lösung so einfach wenn der Grundgedanke weitergeführt wird. Die Überlegung ist, einen der kleinen Stämme noch weiter nach hinten zu führen um noch mehr Tiefe zu erreichen und den Baum noch kompakter zu machen.
Der dritte Vorteil ist, daß ich dadurch die rückwärtigen Äste des "Problemstammes" entfernen kann da, sie duch die des kleinen Stammes ersetzt werden. Am "Problemstamm kann ein rückwärtiger Totholzbereich angelegt werden, Der Stamm wird dadurch flexiebler und kann leicht gedreht werden. Dadurch dass künftig nur noch rechts und links am Stamm eine Saftbahn verläuft, kreuzt eine Saftbahn nach der Drehung des Stammes den Sharibereich und verläft in der Bewegungsrichtung der Gesamtgestaltung. Der langweilige gerade Stamm wird dadurch interessanter. Aber das ist jedoch noch Zukunftsmusik. Ich habe es mal eingezeichnet.

Kann aus diesem Material ein Bonsai werden war die Anfangsfrage.
Meiner Meinung nach ja. Er wird zwar nie ein Spitzenbonsai werden aber wenn es so weitergeht doch ein ganz ansehnlicher. Eventuell habe ich den einen oder anderen angeregt auch mal mit solch einfachem Material zu beginnen und über die Jahre zu entwickeln.

Mir hat der kleine Bericht viel Spass gemacht und ich möchte mich für Eure Geduld bedanken.
Fragen und Bemerkungen sind wie immer sehr willkommen.

Viele Grüße
Jan


ENDE
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Bild 12 Vorderseite 2010.jpg
Bild 12 Vorderseite 2010.jpg (91.82 KiB) 6755 mal betrachtet
Juniperus Chinensis_2.jpg
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Re: Werdegang eines Juniperus chinensis - Jan Schwope

Beitrag von camaju + »

Dieser Beitrag wurde hier abgetrennt dort darf auch weiter diskutiert werden.
Gruß Jürgen *wink*

Wer nicht mit Pflanzen und Tieren kann, kann auch nicht mit Menschen.

Ich moderiere in blau, der Rest ist nur meine Meinung
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