vorweg: ich will hier nicht provozieren, sondern nur zeigen, was mir durch den Kopf geht. Ich mag Bonsai wirklich sehr, so wie sie seit Jahrhunderten gestaltet werden, mit kleinen aktuellen oder regionalen Anpassungen, ich mag die ausgefeilten Präsentationen, Reife, Verjüngung, Nebaris, ich mag Tradition und das Ganze drumherum, wie es hier im BFF immer wieder so brilliant gezeigt wird.
Aber: das bin nicht ich.
Heutige Bonsaigestaltungen gehören für mich weit weg, in ferne Ländern, in Träume und auf Ausstellungen, auch in meinen Garten, aber nicht zu nah an mein Haus, nicht in mein Wohnzimmer oder Büro. Zwar wunderschön, aber fern.
Ich bin weder in den Bergen noch in Asien aufgewachsen, sondern in kleinen, spiessigen Dörfern und in der Grossstadt, in Berlin, mit Mauer drumrum. In Beton und Stahl und mit schlechter, russiger Luft und dreckigen Strassen. Dazwischen dann Stil-Ikonen wie die Nationalgalerie und die Philharmonie, ICC und Funkturm. Rund und plastisch, kantiger Stahl, lichtes Glas. Dazu hab ich Kraftwerk gehört und Synthie-Pop, Funk und Hardcore-RAP, aber keinen Folk oder Blues.
Bäume waren im Pflaster eingelassen und kleine Pflanzen waren in Balkonkästen.
Und heute fahre ich zwischen Städten und Dörfern über Landstrassen und sehe deutsch-gepflegte Gärten mit Rasen und einzelnen freistehenden Bäumen, Alleen und Hecken. Dazwischen moderne Häuser aus Glas, Beton und Alu, durchdesigned, kühl und interessant unnatürlich. Dort ein Mahnmal aus grauem Beton, eine Stele neben der anderen und Lampen aus Alu.
Unterwegs sehe ich Alleenbäume, einen rechts, einen links. Ich sehe Tuja-Hochstämmchen und Buchsbaumhecken. Ich sehe einzelne Bäume auf dem Feld, gerade wie ein Pfahl, tief gepflanzt und ohne sichtbare Wurzeln. Ich sehe Mehrfachstämme, mit zwei oder vier Substämmen an der Zahl und Bäume, die hier wachsen. Ganz viel verschiedenes Gras. Und keine Orangen, Oliven oder Mädchenkiefern. Kein Ficus weit und breit.
Dann geh ich rein und sehe weiss gestrichene Wände oder aus Beton oder verkleidet mit Schiefer in Klinkertechnik. Ich sehe Holzböden und Fliesen. Farblich knallige, flauschige Teppiche. Leder. Ich sehe viel Glas, randlos. Viel Licht, alles locker und leicht, nichts hält das Auge fest, nicht ist aufdringlich. Es ist ausgewogen und sich ähnlich, eins passt zum anderen. Der Tisch passt zum Büfett, es stehen zwei moderne Porzellan-Kerzenhalter darauf, beide gleich. Gefässe sind einfarbig, gerne mal grell türkis oder bordeaux. Abwaschbar und modern. An der Wand hängt vielleicht ein Warhol oder Lichtenstein. Pflanzen stehen nicht auf Tischen, sondern in grossen Designertöpfen aus GFK und Plastik. Lackiert.
Das ist meine Welt, in der ich wohne.
Ob das nun schön ist oder anderen gefällt, ist egal, es ist mein Umfeld.
Und im Garten: da seh ich Büsche und Hecken, kahl und wild und unterwachsen von Efeu und Moos. Kugelige Apfelbäume und wilde struppige Pflaumen. Grosse Lärchen, gerade wie ein Stock. Doppelstämmige Tannen. Rasen. Staudenbeete, bunt, in symetrischen Abständen. Farne, die höher sind als der Ahorn daneben.
Will ich also mein Leben, mein Umfeld, meinen persönlichen Geschmack, meinen Anspruch an Design und die mich umgebenen Pflanzen in Bonsai einbeziehen, muss ich anders rangehen. Bisherige Kriterien über Bord werfen und mich an dem orientieren, was ich um mich sehe.
Wenn ich Bonsai in mein Umfeld integrieren möchte, heisst dass dann für mich:
- es werden komplett andere Materialien verwendet: Glas, Beton, Alu, Stahl und Keramik, poliertes, glänzendes Holz
- es werden Bäume verwendet, die hier wachsen, in Deutschland definitiv keine exotischen Indoors
- Bäume sind gerade am Stamm, haben kein Nebari, stehen eher hoch und sind dann oben wild
- Verjüngung ist unwichtig und auch nicht gewollt. Stämme haben überall den gleichen Durchmesser
- Tische sind tabu (nur Omas stellen Pflanzen auf kleine Hocker)
- es wird in geraden Schritten gezählt, zwei, vier, sechs ...
- Bäume und Beisteller gehören zusammen, in ähnliche Schalen, verbunden durch einen gemeinsamen Untersetzer
- Grössenverhältnisse sind egal oder sind absichtlich unpassend
- eine Präsentation im "Modern Living Style" reflektiert und integriert sein Umfeld oder bringt dieses mit, z.B. in Form von Hinter- und Untergründen oder passenden Podesten
Ich weiss, dass so etwas ungewohnt aussieht, eventuell hässlich, emotionslos oder langweilig erscheint. Manche mag es abschrecken oder einfach nichts bedeuten. Mir zeigt es eine Aufgeräumtheit, Klarheit und einen durchgehenden Stil, den ich sonst auch schätze. Und vielleicht findet sich der eine oder andere, der damit etwas anfangen kann und selber zu solchen Versuchen im "industrial style" angeregt wird. Einfach die eigene, jahrelang persönlich gestaltete Umgebung in die Bonsaigestaltung mitnehmen ...
Über eine rege Diskussion würde ich mich freuen. Und noch mehr über Fotos von anderen, die auch einmal Ihre eigene Umgebung in Bonsai reflektierten möchten.
(natürlich heisst das alles nicht, dass ich nicht auch weiter Bonsai in bekannter Art und Weise schätzen, besitzen, entwickeln und gestalten will, das eine schliesst das andere nicht aus. Nur das hier, das hat mir definitiv etwas gegeben und während der Zeit der Überlegung und der Entwicklung ziemlich viel Spass gemacht)
Die Entwicklung der Gestaltung "Modern Living Style I" wird nun hier http://www.bonsai-fachforum.de/viewtopi ... al#p439787 weiter dokumentiert.
Ein weiteres Beispiel ist hier: viewtopic.php?p=456210
Weitere Projekte sind in Vorbereitung.