Moutarde de Ludwig (I)

Freie Baumgestaltungen. Wir nähern uns von einer anderen Seite. Junge Wilde inklusive.
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Andreas Ludwig
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Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von Andreas Ludwig »

Moutarde ist das französische Wort für Senf. Diesen gibt es in allerhand Varianten, mild, mittelscharf und scharf, grobkörnig und feincremig, süss, mit Meerrettich, mit Kräutern, weiss, dunkelbraun, sogar violett. Es ist kein Grundnahrungsmittel und fehlt er mal, kann man sich trotzdem ernähren. Aber hie und da etwas Senf drauf zu haben, schadet nicht. Darum gebe ich in losen Abständen hier meinen Senf dazu.

Es sind Auszüge einer Mappe, die die Preisträgerin der Sparte «Junge Wilde» kriegte. Gefaltete Bogen, bewusst lose (man ist nie fertig), darauf ein paar ausgewählte Dinge von mir dargestellt und erläutert. Die tiefere Absicht war, den für mich schwierigen Begriff «Junge Wilde» von verschiedenen Seiten her anzugehen. Ein Schwerpunkt liegt immer wieder darauf, dass es eben gar nicht so wild ist, was sich da entwickelte, sondern oft eher ein zögerliches Vorangehen mit vielen Pausen.

Die Meinung ist nicht, dass ich mich hier zelebriere und auch nicht, dass ich provoziere. Ich stelle bloss dar, was aus meinen Gedanken mit der Zeit geworden ist unter Anwendung der (nicht zuletzt hier) gelernten Technik. Wer dazu Fragen, Hinweise, Kommentare oder weiterführende Ideen hat, ist willkommen.

punica_trio_bff.jpg
punica_trio_bff.jpg (22.74 KiB) 2780 mal betrachtet
Das nette Dreifachmonster

Den «Kern» dieses Granatapfelbaums (punica granatum) hatte ich von Schilly gekriegt, der ihn aufgegeben hatte. Eine Weile dachte ich über eine komplizierte «Pirateninsel» nach. Aus dem Totholz wäre der Fels geworden, aus den Ästchen darauf wachsende Bäume. Man ahnt diese Absicht noch, wenn man sie kennt, ich verwarf das aber als kitschig, gewollt und manieristisch. Frühere Baumgestaltungen von mir hatten diesen Makel oft – ich wollte unbedingt dies oder das, konnte mich von der Idee nicht lösen, stülpte sie dem Baum gewaltsam über und scheiterte. Entweder ging die Pflanze zugrunde oder das Resultat war unstimmig. Will man «frei» gestalten, ist mindestens dieselbe Rücksichtnahme auf die Anlage des Baums nötig wie in jeder klassischen Gestaltung auch.

Gleichzeitig arbeitete ich mich intensiv in ein Werk der Klavierliteratur ein, Chopins Ballade Nr. 1. Ich habe an die zwei Dutzend Einspielungen davon und las oft die Partitur, wenn ich die Aufnahmen anhörte, um so über grosse Zeiträume der Intention näher zu kommen. Ein formales Interesse: Sie ist erstens eine Erfindung Chopins (es gab vorher keine Balladen), zweitens so sauber geschaffen wie keine andere, drittens in ihrem emotionalen Ausdruck intensiv wie keine – kurz: Sie ist ein grosser Wurf. Solche haben an sich, dass man staunend hört und kaum versteht. Dieses Staunen wollte ich überwinden, ich wollte das nachvollziehen können. Also lernte ich taktweise viel über Themen, Quinten, Vorhalt und Coda – und ganz besonders über Interpretationskonzepte. Das dauerte alles in allem etwa zwei Jahre.

Als ich mit Themen der Ballade im Kopf wieder einmal meine Punica kontrollierte, meinte ich zu sehen, dass sie eine Ballade sein könne: Dicht verarbeitete, gegensätzliche Themen, die sich zu einem höchst emotionalen Ausdruck steigern. Es war allerdings darauf zu achten, dass der Baum führt, dass sich alles – egal mit wie viel Aufwand erarbeitet – ganz wie von selbst fügt. Verdichtung, Dichtung (nicht bloss aufgestülptes Gestalten). Ich liess mich also vom Baum führen, schaute ihn mehrere Tage immer wieder auf einer langsamen Drehbühne an. Ich zog erst ein Dutzend Gesichter in Betracht, dann fünf, verwarf das alles und drechselte endlich diese drei Gesichter in wenigen Stunden unter Erhaltung eines Maximus der vorhandenen Strukturen.

Jemand, der dabei war, sagte etwas von «traumhafter Sicherheit». Das war ein grosses Missverständnis, es war eine geduldig über lange Zeit und Umwege erarbeitete Sicherheit. Ich hatte einen Totholzbrocken, drei Äste und ein Gebüsch als «Themenmaterial». Im Zentrum stand das saubere Verarbeiten dieser vorhandenen Themen. Der Rest war Handwerk – auch das über lange Zeit erarbeitet. Man sieht, dass an diesem scheinbar grotesken, wilden Ding eigentlich alles stringent, ja zwingend war – sofern man als Betrachter zulässt, dass die Geschichte, die der Baum zu erzählen habe, eine ist, wie sie eher Hoffmannstal schrieb als die «Natur». Es war aber nicht meine Absicht, den Baumbegriff in der Gestaltung in Frage zu stellen. Ich hatte ihn vielmehr als unmöglich zu verwerfen und eine Alternative dazu zu finden. Ich sah diese Möglichkeit – die mir Freude machte. Es ist ein Schelmenstück, aber kein böses. Er ist so aufgestellt, dass er auf Augenhöhe für kleine Kinder ist. Sie mögen ihn.

Die Schale? – Für die habe ich noch etwas Zeit.
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abardo
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von abardo »

Hallo Andreas,

die Einbeziehung von Musik und Literatur, schlussendlich des gesamten Lebensumfeldes, Vorlieben und Erfahrungen, in die Gestaltung, kann ich so gut nachvollziehen. Eine "traumhafte Sicherheit" kann für mich auch nur so entstehen, völlig abseits von Vorbildern und Regeln (allerdings muss man die schon kennen).

Dein Schelm sagt mir persönlich nur wenig, aber eben dir. Das merkt man und nur das ist wirklich wichtig.

Schale ? Hm, ich würd ihm was häkeln :lol:
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Andreas Ludwig
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von Andreas Ludwig »

Häkeln? Das wäre bei weitem zu simpel oder zynisch. In Chopins Ballade gibt es diesen Vorhaltakkord, ein eigentlich dissonanter Quart-Sext-Nonen-Akkord, der so etwas wie der Mörtel der ganzen Sache ist. Da muss es wohl langgehen: Die Schale muss alle drei «Monsterchen» gleichermassen zusammenhalten, darf sich aber im übrigen nicht vordrängeln. Sie darf dissonant sein, muss aber fügen.
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abardo
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von abardo »

Hätt ich noch simpler gedacht, wäre "Jekyll and Hyde" oder "Phantom der Oper" rausgekommen.
Aber wir wissen ja alle: keine Capes !
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hwolf
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von hwolf »

Alors,

ich verstehe das alles nicht.
[Ich studiere seit 9 Jahren die Kultur- und Ideengeschichte, habe die Literaturwissenschaft überwunden und bin dabei, an der Grenze der zeitgenössischen Systemtheorie herum zu denken.]

Ich komme nicht über die Antithese der Konzepte von Ballade und Schelm hinweg.

Das ist alles konzeptuell so grotesk und uneingängig, dass ich eine poststrukturalistische Verweigerungshaltung unterstellen möchte. Die Ruhe des Prozesses passt aber nicht in die Denke rein.
//
Advocatus Diaboli: Das ist verklärtes Gewäsch. Der Verursacher denkt zwar gerne viel nach, wollte aber auch einfach mal lustige Gesichter in einen ohnehin versauten Rohling schnitzen. Nun kam er sich selbst und dem Diskurs gegenüber in Erklärungsnot.
Erklären Sie sich, Herr Ludwig! Wie können Sie es wagen?
//
Find ich lustig aber eindruckvoll, deine Punika! Vor allem bin ich begeistert von der Dreigesichtigkeit, das zeigt sehr eindrücklich die Illusion der Betrachtungsrichtung auf, die man bei konventionelleren Gestaltungen ja auch oft erlebt. Schon von daher finde ich das eine gelungene Studie!
Zum Thema einer Schale gibt es für mich nur eine Denkrichtung, wenn man an das dahinterstehende Konzept denkt: Klangschale; aufgeklappter Kinderflügel, Ukulelenkorpus et al.

[Nun bange ich hoffend, dass derartige Beiträge auch willkommen waren/sind]

Lieben Gruß
Heinrich
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Andreas Ludwig
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von Andreas Ludwig »

Et bien!

«Grenzen der Systemtheorie» ist schon mal gut. Um das Visier zu heben: Ich bin der obligate Künstler in einer Genetikerfamilie. Daraus und aus anderen, mir eigenen Zügen ergab sich ein Querdenken. Man kann es negativ formulieren und feststellen, dass ich keine Ahnung von Prioritäten habe. Man kann es positiv formulieren als Fähigkeit zur Vernetzung.

Du schreibst, das sei konzeptuell grotesk und uneingängig, Resultat einer poststrukturalistischen Verweigerungshaltung. Dazu würde ich meinen, das sei ein ganz und gar akademischer Blickwinkel, indem er nämlich voraussetzt, es sei a) a priori konzeptuell und beziehe sich b) auf gegebene Strukturen (dass b) bei dir a) hinterrücks definiert nur so als systemtheoretischer Hinweis).

Da sind wir dann wieder bei den Prioritäten - und bei Chopin. Was mich an der Ballade fasziniert hat, war der Mut, sie zu schreiben - und so zu benennen (abgesehen von der Konsequenz der Durcharbeitung). Wäre das für dich, damals, als Musikkritiker etwa, auch «poststrukturalistische Verweigerung» und nachträgliche Erklärungsnot für ein uneingängiges Unikum gewesen? Es gab durchaus solche Kritiken. Schumann dagegen hat sich in der Neuen Zeitschrift für Musik die Finger wund geschrieben, um die Ballade zu erklären, sie also systemtheoretisch fassbar zu machen.

Anders formuliert: Vielleicht ist das verstehen wollen das Problem, nicht eigentlich das Unverständliche? Als dieser Stumpen in meinem Atelier stand, sich tagelang 2,5 x pro Minute drehte, löste sich jeder Gedanke an irgendetwas bestehendes auf. Er ist keine Antwort, keine These, ich kann ihn nicht einordnen - will es aber auch nicht. Ich habe in diesem Sinne nichts gewagt, bloss etwas gemacht.

Vielleicht ist es ein dadaistischer Bonsai. Du erinnerst dich: «Dada will nichts, Dada wächst.»
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Andreas Ludwig
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von Andreas Ludwig »

Nachtrag: Irgendwann ist mir etwas aufgefallen und zwar, dass die Künstler, die ich allen anderen bevorzuge (etwa Kokoschka, Schiele, Modigliani, Giacometti, Joyce, Burgess, Charms etc.) in vielen Artikeln mit einem in Variationen wiederkehrenden Satz beschrieben werden: Sie werden als Künstler bezeichnet, die einen bedeutenden individuellen Beitrag zur Kunstgeschichte geleistet haben. Das ist eine sehr vornehme Formulierung für «keine Ahnung, wo wir den unterbringen sollen, aber gut war er schon.»

Nicht, dass ich mich da sehe, heute - aber ich hätte wahrlich kein Problem, dazu zu gehören.

Nachtrag II (ist das schön, ein Gegenüber zu haben!):
Manchmal frage ich Leute, wieso es eigentlich Alphabet heisst. Das ist nämlich systemtheoretisch ziemlicher Unfug. Sinnvoll wäre etwa «AEIOU-DT-BP» etc. Nun, «aleph» ist ein ganz altes Wort für Rind. Wie zeichnet man ein Rind? Man zeichnet den dreieckigen Kopf und die Hörner. Dreh es um, es ist ein A. Das Wort «beth» ist heute noch gebräuchlich im hebräischen, es bedeutet Haus. Ein Haus - im Gegensatz zu einem Schober - hat zwei Räume, einen für das aleph, einen für die Familie. Das ist stilisiert ein B. Stell dir vor, es wäre so gewesen (was natürlich nicht stimmt, es dauerte sehr lange), dass sie zu einem Querdenker sagten: Mach uns Zeichen, damit wir uns mitteilen können. Der ging weg, kam nach einer Weile zurück und sagte: Das Wichtigste sind ein Rind und ein Haus. Das braucht man, um zu leben. Darum nenne ich das jetzt mal Alphabet.

Was hätten die damals gedacht? Wie gewöhnungsbedürftig war das? Und was ist es heute- jetzt gerade hier? Oder anders: Wie wird Kultur? Schadet es, mal einfach auszuprobieren? Immerhin ist es bloss ein Granatapfelbaum. Er explodiert nicht, strahlt nicht und ist ungiftig. Versprochen.
Zuletzt geändert von Andreas Ludwig am 23.06.2016, 13:51, insgesamt 1-mal geändert.
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abardo
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von abardo »

Kann man auch kurz fassen: hier gehts es nicht um Wissen, sondern um Erfahrung.
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von Andreas Ludwig »

Kann man Wissen und Erfahrung trennen?
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von abardo »

Wissen braucht man um etwas umzusetzen. Erfahrungen kann man ausdrücken. Wissen nicht.
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Andreas Ludwig
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von Andreas Ludwig »

Ist nicht so einfach, scheint mir:

Ich war mal am Gardasee bei Tanaka. Sehr nett. Einmal brachte ich ihn aber offenbar an eine Grenze, als ich wiederholt fragte, warum etwas so sei. «Es war immer so!» war seine barsche Antwort. Er konnte seine Erfahrung nicht ausdrücken, aber durchaus umsetzen (meine Güte, ist der gut!).

Wissen dagegen wird in Webster's dictionary, auf wikipedia und und und massenhaft ausgedrückt. Oder meinst du mit Ausdruck das, was sich eben systemtheoretisch nicht fassen lässt, weil es dieser «individuelle Beitrag» ist? Da redet man dann gerne von «Herz und Seele», aber das Erste ist ein Muskel, das Zweite wurde nie gefunden. Wir denken bloss und vielleicht sollten wir manchmal darauf verzichten, trennen zu wollen, was nunmal zusammen gehört.

Das sind jetzt ganz lästige, insistierende Bemerkungen. Nun, was will er, der Ludwig? Er will zeigen, dass keine Klarheit ist, dass dies lediglich ein eben systemtheoretisches, momentan gültiges, morgen anderes, weil notwendigerweise erweitertes Konstrukt ist. Er will zeigen, dass all unsere Versuche, die Welt zu ordnen, sie niemals gesamthaft abbilden - und wir darum zulassen sollten, was auch denkbar ist. Weil es Bereicherung sein könnte (kursiv, weil ich ehrlich bin!). Dass da neben der Hauptspur, neben der A5, die mich Deutschland sicher «erfahren» lässt, jede Menge Heideggerscher «Holzwege» sind. Dass auf diesen Holzwegen allerhand blüht und gedeiht und wir das nicht vergessen sollten. Es ist viel Kultur auch abseits der Autobahn.
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von hwolf »

Un facteur.

Dass sich aber ein post priori durch deine operative Schließung der kommunikativen Handlung (ja, Foren sind Öffentlichkeit; Künstler sind Marktschreier) kontingent zum a priori setzt, ist konsensfähig, ja? Dann hieße es nämlich, dass deine zu a) und b) ausgeführten Vorsätze [schöner Kniff zu b)] in der Tatsache bewahrheiten, dass du als visieroffener Künstler in einen Diskurs trittst, der auch ohne Dich stattgefunden hätte.
Es ist diese Grenze von Innen und Außen, die Du zu überschreiten suchst, die dich in den Bezug zur Konzeptualität setzt. Individualität ist kein Gegenargument, wenn man schon Kokoschka anführt, der mit seiner Schule des Sehens doch gerade das Eigentliche des Blicks (der Perspektive, des Eigenen, Unvergleichten) zum Ausgangspunkt einer konzeptuellen Diskussion des Vergleichs machte.
Sicherlich hast Du aber die (absichtliche; provokante) Beschränktheit meiner Perspektive enttarnt. Was aber meine Position von der meines angenommenen musikkritisch-romantischen Pendants unterscheidet, ist die besprochene Disziplin. Wenn der Mut das signifikante Merkmal des Eingriffs in die vorherrschende Symbolökonomie einer künstlerischen Disziplin bezeichnet und das in Analogie zur hier besprochenen Frage gelten soll, dann müsste man erstmal konsistent an der Herleitung eines das Bonsai-Handwerk einbeziehenden Kunstbegriffs arbeiten. (Oh, oh..)
Was das und den dadaistischen Verweis angeht, fällt mir ein etwas törichter kulturgeschichtlicher Ansatz dazu ein. Groszs Da-Da ging auf den Prozess ein, gut. Rathenau sah das schon anders. Adorno dann noch später sah Da-Da als letzten Weg der Kunst. Wenn wir jetzt an die chinesische Kulturrevolution und den Adornosatz "es ist Barbarei, nach Ausschwitz ein Gedichtzu schreiben" denken, kann der einzige kunstdiskursive Ansatz von Bonsai ja eigentlich nur Da-Da sein, oder?
Man schweift ab.
Andreas Ludwig hat geschrieben:Anders formuliert: Vielleicht ist das verstehen wollen das Problem, nicht eigentlich das Unverständliche?
Andreas Ludwig hat geschrieben:Er ist keine Antwort, keine These, ich kann ihn nicht einordnen - will es aber auch nicht. Ich habe in diesem Sinne nichts gewagt, bloss etwas gemacht.
Hm. Ich hab diesen Punkt schon öfter erreicht und komme nicht mit. Ich glaube (und jetzt mal ganz ehrlich) dafür bin ich zu jung und verbissen. Da fehlt mir die Weisheit, um das so (für mich) gelten zu lassen. Dir (allen anderen) stimme ich aber gern zu und lasse mich einfach unverständig faszinieren. Ich finde das sehr mutig.

Den erwähnten individuellen Beitrag würde ich mal singuläre Systemirritation nennen. Insofern kannst Du dich im Feld des Bonsai-Diskurses schon einmal hinzuzählen.

h
hwolf
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von hwolf »

Nachtrag:
Mensch Ludwig. Über deine Nachträge und das angeschlossene Scharmützel mit Frank muss ich erstmal nachdenken. Fragt sich nur, ob Dir klar ist, wie viel das war und ob das Absicht ist. Kann ja kaum - oder doch? Hm. Eins ist aber klar:
Die Punika strahlt jetzt schon! (und tat sie auch wohl schon)
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Holger
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von Holger »

... ach wie habe ich die eigenwilligen Gestaltungen und die interessanten Beiträge in den letzten Jahren vermisst, schön dass Du wieder zurück bist.

Gruß
Holger
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Beim Universum bin ich mir aber noch nicht ganz sicher
(Albert Einstein)
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Andreas Ludwig
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von Andreas Ludwig »

hwolf hat geschrieben:Dass sich aber ein post priori durch deine operative Schließung der kommunikativen Handlung (ja, Foren sind Öffentlichkeit; Künstler sind Marktschreier) kontingent zum a priori setzt, ist konsensfähig, ja? Dann hieße es nämlich, dass deine zu a) und b) ausgeführten Vorsätze [schöner Kniff zu b)] in der Tatsache bewahrheiten, dass du als visieroffener Künstler in einen Diskurs trittst, der auch ohne Dich stattgefunden hätte.
Bedingt. Ich habe immerhin meinen Monsterbaum eingebracht, nicht wahr? Den verkaufe ich im übrigen nicht, niemals. Soviel zum Marktschreier. Die meisten Künstler, die ich kenne, haben ein Kabinett. Da sind die besten Sachen, die sind nicht für den Markt gedacht.
hwolf hat geschrieben: Es ist diese Grenze von Innen und Außen, die Du zu überschreiten suchst, die dich in den Bezug zur Konzeptualität setzt. Individualität ist kein Gegenargument, wenn man schon Kokoschka anführt, der mit seiner Schule des Sehens doch gerade das Eigentliche des Blicks (der Perspektive, des Eigenen, Unvergleichten) zum Ausgangspunkt einer konzeptuellen Diskussion des Vergleichs machte.
Jein. Ich empfinde mich kaum als grenzwertig (obschon ich es sein mag), weil das eine extrinsische Definition ist, eigentlich sogar eine statistische. Ich pflege mein ich und das oft ohne jede Rücksichtnahme. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute: Ich bin für nichts zu gebrauchen, aber zu allem fähig...
hwolf hat geschrieben: Sicherlich hast Du aber die (absichtliche; provokante) Beschränktheit meiner Perspektive enttarnt. Was aber meine Position von der meines angenommenen musikkritisch-romantischen Pendants unterscheidet, ist die besprochene Disziplin. Wenn der Mut das signifikante Merkmal des Eingriffs in die vorherrschende Symbolökonomie einer künstlerischen Disziplin bezeichnet und das in Analogie zur hier besprochenen Frage gelten soll, dann müsste man erstmal konsistent an der Herleitung eines das Bonsai-Handwerk einbeziehenden Kunstbegriffs arbeiten. (Oh, oh..)
Müsste man? Was ist Huhn, was Ei? Muss erst überlegen, was er macht, der macht - oder ist das nicht einfach die Aufgabe der Nachgeborenen, das - so sie wollen - irgendwie einzuordnen? Wir nähern uns dem Begriff der künstlerischen Freiheit und das profund.
hwolf hat geschrieben: Was das und den dadaistischen Verweis angeht, fällt mir ein etwas törichter kulturgeschichtlicher Ansatz dazu ein. Groszs Da-Da ging auf den Prozess ein, gut. Rathenau sah das schon anders. Adorno dann noch später sah Da-Da als letzten Weg der Kunst. Wenn wir jetzt an die chinesische Kulturrevolution und den Adornosatz "es ist Barbarei, nach Ausschwitz ein Gedichtzu schreiben" denken, kann der einzige kunstdiskursive Ansatz von Bonsai ja eigentlich nur Da-Da sein, oder?
Man schweift ab.
Nein. Im Gegenteil - man entwickelt. Adorno, im Schockzustand, stellte fest, es gebe «kein richtiges Leben im falschen». Das hallt bis heute nach, auf politischer Ebene zumal. Da kann ich nur sagen, dass ich in einer vergleichsweise heilen Welt grosswurde. Ohne Aufatmen, wohlverstanden, eingedenk all dessen, was nie hätte sein müssen. Aber es führt zurück zum Kulturbegriff: Aus dieser Freiheit kann ich sie vielleicht neu argumentieren.

hwolf hat geschrieben:Hm. Ich hab diesen Punkt schon öfter erreicht und komme nicht mit. Ich glaube (und jetzt mal ganz ehrlich) dafür bin ich zu jung und verbissen. Da fehlt mir die Weisheit, um das so (für mich) gelten zu lassen. Dir (allen anderen) stimme ich aber gern zu und lasse mich einfach unverständig faszinieren. Ich finde das sehr mutig.
Es ist nicht Mut. Es ist kindliches Spiel. Lass dich davon faszinieren. Huhn oder Ei? Sind wir geboren, um zu genügen oder um zu sein?
hwolf hat geschrieben:Den erwähnten individuellen Beitrag würde ich mal singuläre Systemirritation nennen. Insofern kannst Du dich im Feld des Bonsai-Diskurses schon einmal hinzuzählen.
Eher werde ich einfach giessen und düngen.
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