Moutarde de Ludwig (I)

Freie Baumgestaltungen. Wir nähern uns von einer anderen Seite. Junge Wilde inklusive.
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Andreas Ludwig
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von Andreas Ludwig »

öh...

ich glaube (fest), dass du den Sinn von achim73 für Gutes, Neues und nicht zuletzt für Gerechtigkeit unterschätzt. Die Gerechtigkeit, ein Objekt «an sich» zu betrachten, ungeachtet einer Autorschaft.

Erwähne ich, weil es mich absolut beelenden würde, wenn man jeden Mist von mir beklatschen würde. Dann würde ich aus Trotz nur noch Mist bauen...

Es sollte möglich sein, dass einfach das Objekt für sich spricht. Martin_S hat das am Bff-Treffen sehr schön ausgedrückt. Er sagte sinngemäss, dass letztlich für ihn entscheidend sei, ob er einen Baum anschauen kann, die Augen schliessen - und dann etwas sieht, ein «Nachbild». Diese bildhafte Formulierung für einen «visuellen Eindruck» (im Wortsinn, etwas, das sich einprägt, eingedrückt wird) fand ich sehr gut.

Und nein - ich rekonstruiere keineswegs die Lebensgrundlage der Menschen, die so sind. Ich versuche nur darzustellen, dass sie genau so menschlich sind wie ein Spengler, ein Strassenbauer oder irgend ein anderer Spezialist. Es gab eine Zeit, da redeten Mediziner nicht mit Laien. Das ist vorbei. Genau so sollten Künstler mit Laien reden – und umgekehrt.
Zuletzt geändert von Andreas Ludwig am 24.06.2016, 13:52, insgesamt 1-mal geändert.
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camaju +
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von camaju + »

hwolf hat geschrieben: Ich nehme an, die einzige Reaktion darauf wäre Achim73s streng-enervierter Schwarz-Weiß-Blick und ein "Schade um den Rohling".
Sei bitte mit solchen Aussagen vorsichtig. Nur weil du meinst, irgendwas erkannt zu haben, musst du andere nicht in solch eine Ecke stellen.
Gruß Jürgen *wink*

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zopf
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von zopf »

Als Laie, der einem Künstler schreibt,
welcher versucht ein Bild, ohne Bild im Kopf, zu erschaffen,
könnte man meinen Janus und Ludwig zu sehen.
...aber das sind ja auch nur Bilder
grüsse an die bewohner von melmac
hwolf
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von hwolf »

Entschuldigt, Leute, auch Andreas - so war es nicht gemeint.
Ich habe großen Respekt vor Achims fachlicher Kompetenz und seinem Mut, auch mal den Buhmann zu spielen und kritischer zu sein als der Rest der Meute. Es ging mir nicht darum, eine Aussage über Achim als Person zu treffen. Ich meinte mit seinem aussagekräftigen Avatar einfach eine kritische Haltung einer Irritation gegenüber, die aus dem Nichts kommt. Er schein mir ein treffendes Sinnbild, exemplarisch. Ich hatte gehofft, das würde deutlich oder läge im Zweifel innerhalb der vertretbaren Grenzen der Selbstironie, über die ein jeder verfügen sollte, ist mein Fehler.
Nur weil du meinst, irgendwas erkannt zu haben
Das mit dem Meinen und Erkennen ist glaube ich in seiner Relativität hier in diesem Faden ganz gut deutlich geworden und ich bin der letzte, der meint, sich nicht irren zu können oder oft daneben zu liegen. Sowohl im Erkennen und verstehen als im Sehen und meinen.
Ich will niemanden zu irgendwas drängen, nur nett plauschen, aber auch meine Meinung sagen dürfen und hoffen, nicht immer auf der Goldwaage zu landen.
Dennoch: Mein Fehler.
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abardo
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von abardo »

Andreas Ludwig hat geschrieben: Martin_S hat das am Bff-Treffen sehr schön ausgedrückt. Er sagte sinngemäss, dass letztlich für ihn entscheidend sei, ob er einen Baum anschauen kann, die Augen schliessen - und dann etwas sieht, ein «Nachbild».
Dann ist es ein beeindruckender Bonsai, das Bild des Baumes, das einen anspricht und den Nachhall auslöst. Zumeist einen Naturalismus, das Bekannte. Oft eben auch "nur" (ok, muss man erstmal hinkriegen) Handwerkskunst.

Kunst ist es aber dann für mich noch nicht.
Andreas Ludwig hat geschrieben: Es sollte möglich sein, dass einfach das Objekt für sich spricht.
Nein. Kunst ist für mich, wenn der Künstler durch das Objekt spricht, mir das Objekt einen Eindruck vom Leben und Denken des Künstlers vermittelt. Seinen Vorlieben, seiner Herkunft, Tradition, Erziehung, seinen Ansichten, was auch immer.

Gleiches gilt für mich für alle anderen Künste, z.B. auch Musik. Das Stück an sich kann brilliant sein, werde ich immer respektieren, bedeutet mir aber nur wenig. Wenn ich aber miterlebe, wie eine Live-Jazz-Impro am Klavier aus dem Musiker förmlich herausfliesst, bekomm ich Pipi in den Augen.
Grüße, Frank
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Andreas Ludwig
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von Andreas Ludwig »

Künstler zu sein, ist ein Job.
Man kann ihn schlecht, mässig oder gut machen.
Aber es ist ein Job - wie Brot backen, Politik machen oder Stars bewachen.
Nur ein Job.
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abardo
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von abardo »

Eigenzitat: "... und schleift nur wieder den millionsten Nussknacker in Form." Schade.
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camaju +
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von camaju + »

abardo hat geschrieben:Wenn ich aber miterlebe, wie eine Live-Jazz-Impro am Klavier aus dem Musiker förmlich herausfliesst, bekomm ich Pipi in den Augen.
Richtige / Wahre Kunst ist nur live zu erleben ?
Gruß Jürgen *wink*

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abardo
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von abardo »

Nein, der Schluss wäre aus dem Zusammenhang gerissen und lässt sich deshalb aus dem oben Gesagten nicht ziehen.
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HeikeV
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von HeikeV »

zopf hat geschrieben: ...aber das sind ja auch nur Bilder
Richtig. Illusionen, wie alles hier.

Da drängt sich der geneigten Leserin doch glatt die Frage auf "Why bother ?"
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Andreas Ludwig
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von Andreas Ludwig »

HeikeV hat geschrieben:Da drängt sich der geneigten Leserin doch glatt die Frage auf "Why bother ?"
Jepp. Man sollte nicht vergessen, dass Künstler zwar immer wieder übel genervt haben in der Geschichte. Aber sie haben keine Kriege angezettelt, niemanden verfolgt, keine Landschaften zerstört, keine Kraftwerke gebaut und gewöhnlich bloss ihren individuellen Extremismus hingekleckert, nicht das Blut anderer...

Das scheint mir nicht unwichtig. Wenn man diesen Wahnsinn zulässt, geschieht erstmal gar nichts. Man sieht nur - und kann sich dann darüber unterhalten. Kunst ist nicht zuletzt so etwas wie ein «Workshop Zukunft» ohne schlimme Konsequenzen. Ein geschützter Denkplatz. Das sollte eine freie Gesellschaft sich schon leisten können, nicht wahr?

(Kommt mir nicht mit dem Gröfaz. der war bloss Postkartenmaler, kein Künstler...)
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HeikeV
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von HeikeV »

Andreas Ludwig hat geschrieben:
Wenn man diesen Wahnsinn zulässt, geschieht erstmal gar nichts. Man sieht nur - und kann sich dann darüber unterhalten. Kunst ist nicht zuletzt so etwas wie ein «Workshop Zukunft» ohne schlimme Konsequenzen. Ein geschützter Denkplatz. Das sollte eine freie Gesellschaft sich schon leisten können, nicht wahr?


Dieser "Wahnsinn" muss leider zu oft subventioniert werden.

Welchen Teil der "freien" Gesellschaft meinst du denn nun ? Die ca. 2 %, die bei einer Vernissage mit dem Gläschen in der Hand Plattitüden absondern oder die 98 % die die Subventionen erwirtschaften müssen ?
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von achim73 »

für kunst, selbst für schlechte, zahl ich wesentlich lieber subventionen als für atomkraftwerke, banken, autoindustrie, massentierhaltung, waffenexport.....you name it.
Gruss, Achim
"Der kürzeste Weg zum Glück ist der Weg in den Garten"
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Andreas Ludwig
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von Andreas Ludwig »

HeikeV hat geschrieben:Dieser "Wahnsinn" muss leider zu oft subventioniert werden.

Welchen Teil der "freien" Gesellschaft meinst du denn nun ? Die ca. 2 %, die bei einer Vernissage mit dem Gläschen in der Hand Plattitüden absondern oder die 98 % die die Subventionen erwirtschaften müssen ?
Also kucken wir doch mal: Ich habe die Abrechnung der Abteilung Kulturelles der Stadt Basel (gutes Beispiel für viel Kunst) vor mir. Die grossen Beträge (einstellige Millionen) gehen für Museen drauf, da ist aber auch das Historische Museum dabei. Sehr viel verschlingt eine öffentliche Bibliothek. Ich finde keine namhaften Beträge etwa für die ART (das ist so ziemlich DER Anlass mit den Gläschen). Die finanziert sich selber, über das Geld, das da fliesst. Ich sehe, dass der Unterhalt des Antikenmuseums zehnmal so viel kostet wie der Kunstkredit für den Ankauf neuer Werke gekriegt hat, das Sinfonieorchester hat sogar 25x so viel gekostet. Aber sogar das Sinfonieorchester ist mit 14 Millionen ein Schnäppchen gegenüber den Ausgaben für Verkehr, öffentliche Sicherheit, Ausbildung etc. Dagegen ist nicht unerheblich, dass 1,25 Millionen Besucher 2014 in den Basler Museen waren, immerhin 200'000 im Kunstmuseum. Das waren mehr als im Theater und auch etwa 20x mehr, als die Fachhochschule Studenten hat. Der Abteilungsleiter Kulturelles von Basel schätzt, dass ein investierter Franken im Kulturbereich sich volkswirtschaftlich gesehen verdreifacht – Übernachtungen, Einkäufe, Essen, Trinken etc.

Möglicherweise solltest du deine Auffassung differenzieren. Und Vernissagen meiden. Sie sind tatsächlich öde, aber leider nötig. Sie sind aber nicht die Kunstwelt, bloss eine Randerscheinung davon.
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Re: Moutarde de Ludwig (I)

Beitrag von Andreas Ludwig »

Nachrag: Ich habe gerade die 2012 veröffentlichten Skizzen eines «MM» vor mir. Man kennt seinen Namen nicht. 32 postkartengrosse Zeichnungen, hastig gefertigt, aber eindrücklich wie kaum etwas. Er zeigt, was er erlebt hat, was er sah. Er schrieb das nicht auf, er zeichnete es, machte Bilder daraus. Eines davon fasziniert mich besonders: man sieht einen Mann in Uniform, der eigenartig lächelt. Hinter ihm werden Menschen getrieben. Es sind Skizzen aus Auschwitz, hätte man den Zeichner erwischt, wäre es sofort aus gewesen mit ihm.

Das ist jetzt natürlich ein Tiefschlag, eine intellektuelle Attacke, eine eristische Gemeinheit. Aber die Skizzen gibt es wirklich, genau wie es die «Desastres de la guerra» von Francisco de Goya gibt, genau wie die Portraits armer Leute einer Käthe Kollwitz und vieles anderes mehr. Als all das entstand, hatte niemand ein Glas in der Hand, da wurde nichts subventioniert, niemand hat Plattitüden von sich gegeben. Es hat nur jemand gemacht.

Auch das ist Teil meiner Welt. Das schwebt im Hintergrund, wenn ich immer wieder sage, dass ich muss, dass ich nicht anders kann. Mir ist sehr bewusst, dass ich ein verwöhntes, privilegiertes Kind der oberen Mittelklasse bin – aber ich weiss auch, dass egal wo, dieser Drang erhalten bliebe. Das gebe ich doch zu bedenken, bevor man mich als Snob verurteilt.

Zurück zu unserem zivilen Alltag: Kunst ist, war immer, wird immer sein. Nicht als Attitüde, nicht als Business, nicht als Möglichkeit, sich hervorzutun, sich abzuheben, sondern ganz einfach nur als fundamentale Anlage im Menschen, als eine seiner Eigenarten und - wir mir scheint - wahrlich nicht die schlechteste. Wir können können, weil wir es können.

Übrigens hat Arnold Schönberg, der Komponist, den Satz «Kunst kommt vom Können» umformuliert zu «Kunst kommt vom Müssen». Man will können, weil man muss. Man sieht, es ist nicht alles auf meinem Mist gewachsen - und es wurde durchaus nicht mit Sekt gedüngt.
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