Moutarde de Ludwig (II)

Freie Baumgestaltungen. Wir nähern uns von einer anderen Seite. Junge Wilde inklusive.
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Chri
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Re: Moutarde de Ludwig (II)

Beitrag von Chri »

Guten Abend,

also wenn man etwas genauer hinsieht, dann würde der Felsabschnitt links neben der nach unten verlaufenden Wurzel aussehen wie ein Schildkrötenkopf der gähnt, Karpfenkopft der nach Luft schnappt würde auch gehen.

Man möge mich verrückt nennen, aber Schildkröte würde gut passen, uralt und so langsam das ihr schon ein Bäumchen am Panzer wächst.^^


Edith: Da spreche ich vom Bild aus dem Ausgangspost die andren werden schwierig.
Mit freundlichen Grüßen,
Christoph
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abardo
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Re: Moutarde de Ludwig (II)

Beitrag von abardo »

Andreas Ludwig hat geschrieben:Ich finde deinen Ansatz gut – it is, what it is.
Hm, ging es darum ? Ein Stück wird zur Kunst, wenn es Reaktionen hervorruft ?
Aus sich heraus ?
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camaju +
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Re: Moutarde de Ludwig (II)

Beitrag von camaju + »

MerschelMarco hat geschrieben: Ich sehe hier einfach eine niedergetretene Fichte, die sich wieder aufgerichtet hat, Kampf des Baumes gegen die Widrigkeiten der Natur, ein klassisches Bonsaithema, detailverliebt umgesetzt.
Dem könnte ich mich anschließen. Ob dabei niedergetreten oder durch einen "Felssturz / Steinschlag / Moräne" verursacht, wird sich nix nehmen. Das ist für mich die natürlichste Erklärung.
Gruß Jürgen *wink*

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Andreas Ludwig
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Re: Moutarde de Ludwig (II)

Beitrag von Andreas Ludwig »

Nochmals danke, Marco – ich dachte schon, es wird eine Parade der Monster und SciFi-Gestalten. Nicht, dass ich das falsch finde (der Betrachter hat streng genommen immer recht!), aber es ist nicht die Geschichte des Baums. Die geht so:

---

Der Schutzwald

Diese Fichte (picea abies) hatte kein einfaches Leben. Sie wuchs in einer steilen Wiese in den Voralpen und muss von Kühen mehr als einmal getreten worden sein. So entwickelte sich eine eigenartige Pflanze, die sich mit zwei starken Seitenwurzeln in den Hang klammerte und in einem Bogen zum Licht wuchs. Man kann es sich als Weihnachtbäumchen mit geworfenem Anker vorstellen. Die heutige Krone umfasst kaum ein Drittel der ursprünglichen.

Diese Fichte fand erst drei oder vier Jahre nach der erfolgreichen Bergung in dieses Arrangement. Solange brauchte ich, um immer wieder Steine aus der Umgebung mitzubringen und zu sehen, ob sie unter die komplexe Form des Wurzelballens passen. Es waren einige. Bei diesen Versuchen ergab sich ein Konzept, das des Schutzwaldes. Dieser Begriff stammt aus den voralpinen und alpinen Lagen, wo Schnee- und auch Steinlawinen eine Bedrohung für unterhalb gelegene Siedlungen darstellen. Darum werden dort Schutzwälder angelegt, gepflegt und erhalten. Sie haben einen hohen Stellenwert. Das ist Teil meines Bewusstseins, wie das Wattenmeer für einen Friesen Teil seines Bewusstseins ist.

Dieser Baum erzählt also anderen eine Geschichte, die sie vielleicht gar nicht kennen. Ob sie diese erkennen oder nicht, ist nicht so wichtig. Wer darin einen eigenartigen Penjin sieht, hat auch recht. Unrecht hat, wer es als gesucht empfindet: Ich habe diesen Baum vielmehr gefunden. Auch hier habe ich mich bemüht, die Dinge «zu fügen», nicht nur durch einen Stein, sondern auch durch Krautpflanzen und Moose (die sehr absichtlich platziert sind und regelmässig gepflegt werden).


---

Da schrieb ich jetzt zwar, unrecht habe, wer es als gesucht empfindet. Das nehme ich insofern zurück, als ich jeder und jedem gestatte, gesuchte, auch ausgesuchte Assoziationen zu haben. Es war für mich durchaus interessant, ja bereichernd, etwa zu sehen, dass man den Baum als explizit weiblich empfinden kann, sogar als erotisch. Bereichernd darum, weil ich daran gar nie gedacht habe. Ich denke, dieses Beispiel zeigt, dass man sehr skeptisch umgehen sollte mit inhaltlichen Konzepten. Wenn, dann muss man die zum Werk begleitend vermitteln, so wie das einige Künstler ja auch tun. Neo Rauch, der Kunstmaler, ist da geradezu Weltmeister: Pro Bild kriegt man von ihm mindestens eine Stunde Erläuterung... Das ist mir zu pädagogisch. Ich beschränke mich darauf, auf Nachfrage zu erläutern, was mir so durch den Kopf ging, möchte aber keineswegs, dass allen anderen dasselbe durch den Kopf geht. «Kunst ist zweckfrei, aber sinnstiftend.» - daran versuche ich mich zu halten. Dann muss ich eben gestatten, dass alle Betrachter ihren eigenen Sinn schaffen, sich einen eigenen Reim machen. Ich sehe meinen «Schutzwald» jetzt auch anders, dafür lohnt sich die Offenheit.

P.S. Die Krautdingens hinter dem Stein sind einer der vielen Mannsschilde, eine Primelpflanze. Ich habe sie da, weil sie gut riechen, wenn sie blühen. Das ist alles. Aber sie riechen wirklich gut.
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abardo
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Re: Moutarde de Ludwig (II)

Beitrag von abardo »

Hallo Ludwig,

bei Bonsai ist Naturalismus für mich keine Kunst. Es ist gutes (und an der Komposition und am Pflegezustand erkennbar gutes) Kunsthandwerk. Ein Abformen, ein Nachbilden, ein Panorama.

Ich verweise mal auf meine sonstigen Gedanken dazu aus meiner Kolumne -> viewtopic.php?f=12&t=40327&start=135#p457811
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Andreas Ludwig
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Re: Moutarde de Ludwig (II)

Beitrag von Andreas Ludwig »

Sorry, ich teile deinen Kunstbegriff nicht. Er ist mir platt gesagt zu narzisstisch. Ich denke, Kunst umfasst schlicht alles, was denkbar ist.
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MerschelMarco
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Re: Moutarde de Ludwig (II)

Beitrag von MerschelMarco »

Vielleicht nochwas was mir auffällt:
Das ist die Skalierung. Wahrscheinlich geht es den meisten Bonsaianern so wie mir, das die mit einem ziemlich fest eingebautem 1:30 Blick rumrennen. Die Fichte hier ist vielleicht 40 cm hoch, aber man sieht sie jahrelang kondtioniert automatisch 15 m hoch. Genauso wie ein gezeichneter Würfel ja kein Würfel ist aber man gar nicht mehr anders kann als einen Würfel darin zu sehen.
Diese Fichte sieht aber nicht wie eine alte 15m hohe Fichte aus. So eine Szenerie kann man auf einer Alm in 1300m Höhe finden und zwar im Masstab 1:1

Grüße,
Marco

PS: Sorry, jetzt waren Andreas und Frank schneller mit Ihren Beiträgen
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Andreas Ludwig
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Re: Moutarde de Ludwig (II)

Beitrag von Andreas Ludwig »

Richtig Marco. Ich habe irgendwann nicht mehr darauf geachtet, ob die Fichte «naturalistisch» wirkt. Eine Bergfichte wäre viel schmaler im Kronenbereich. Da ist im Laufe des Drahtens ein neues Bild erschienen, von natürlichen Vorbildern losgelöst. So entstand diese Glockenform, die ich als Gegengewicht zur skurrilen Wuchsform ganz gut fand. Die Krone hat etwas eigenartig Fremdes, Stures, Gestyltes.

Darum fand ich abardos Hinweis zum Naturalismus auch nicht weiter bedeutend – «mimetisch» in dem Sinne ist der Baum je eben nicht. Wie du richtig feststellt, ist er durchaus «künstlich» (ob das dann Kunst ist, ist nicht mein Problem). Flapsig (na ja - grosszügig...), wie ich sein kann, wollte ich gar nicht, dass sie aussieht wie ein 15 Meter hoher, richtiger Baum. Nicht, weil ich das nicht kann (sag ich jetzt mal), sondern weil ich es so besser fand - bezogen auf die Krone. Den Aufbau an sich würde ich durchaus «naturalistisch» nennen, wenn der Begriff auch strapaziert wird hier. Viel weiter würde ich in meiner Interpretation nicht gehen – hat für mich gestimmt, stimmt für mich noch. Nennen wir es ein «Symbolbild»?

Es wäre auch interessant, ob die Vorstellung eines «weiblichen» Baums aufgetaucht wäre, hätte ich da eine «naturalistische» sprich schmale Krone gestaltet. Ich denke, eher nicht. Übrigens ist die Fichte genau 41 cm hoch und wuchs auf genau 1350 m.ü.M. – du hast ein gutes Gefühl für solche Sachen.
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abardo
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Re: Moutarde de Ludwig (II)

Beitrag von abardo »

Ok, wenn die Krone deiner künstlerischen Ader entspringt (und die Form der Wurzel ist ja auch nicht wirklich naturalistisch), warum dann die präzise Modellbauarbeit mit Steinen und Unterpflanzung ? Stimmt für mich nicht.

Wenn es auf die Form ankommt und ein "unnatürliches Formenspiel" sich in der Pflanzung oder der Schale finden würde, dann wäre es eben auch "nur" Design, aber immer noch keine Kunst.

Ist jetzt jeder erfahrene Gärtner ein Künstler ?
Bin ich, weil ich eine Mauer geschickt setzen kann, ein Architekt ?
Ist alles Kunst, weil es von einem Künstler gefertig wurde ?
Zuletzt geändert von abardo am 07.07.2016, 11:10, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Moutarde de Ludwig (II)

Beitrag von Andreas Ludwig »

Ehm... (mein Markenzeichen, mit dem ich die Notwendigkeit erhöhten Nachdenkens ankünde):

Ich glaube, du siehst Kunst zu sehr als Status und erwartest für den Künstler den Nimbus. Da bin ich ganz anders. Für mich ist das bloss ein Sosein, eine Möglichkeit menschlicher Existenz. Ich habe grossen Respekt vor akribischen Buchhaltern, treuen Dienern und den Leuten der Feuerwehr, die nachts ohne zu Murren Sandsäcke stapeln. Ich lebe in der tiefen Überzeugung, dass es all diese braucht und ich weiss ganz genau, dass all diese ihre Brötchen verdienen müssen, damit ich das meine habe.

Es ist gar nichts Besonderes, Künstler zu sein. Es ist nichts als eine gewisse Geschicklichkeit, die einen zu einem Beruf, einer Berufung hindrängt. Ich mag nichts weniger als unbescheidene Künstler. Das vorweg, so als Ausleuchten des Hintergrundes.

Warum dann die präzise Arbeit? Genau deswegen: Weil ich die Spannung von krudem Unterbau, archaischem Flair und gestylter Glocke gut fand. Weil genau das die Leute zu eigenartigen Gedanken bringt. Was war das gleich noch mal? Silk Spectre 2 aus Watchmen? Wow. So etwas mag ich. Weil es mir zeigt, dass es sich lohnt, die Synapsen zu reizen. Wenn ein erfahrener Gärtner das kann, wenn ein Maurer das schafft, werde ich meinen Hut vor ihm ziehen. Dann ist er für mich ein «homo ludens» und ein «homo faber» zugleich, mit einem Wort: Ein Künstler. Da bin ich ganz bei Beuys: Künstler, das kann jeder sein. Aber nicht der Anspruch ist entscheidend, lediglich die Erfüllung desselben. Wenn dieser Baum für irgend jemanden nur Schrott ist, bloss eine Panne – dann gilt das auch. Ich habe das dann so hinzunehmen. Ob es mich kratzt, ist eine andere Frage.

Kunst ist nichts als die Exposition visualisierter, intonierter, formulierter Gedanken. Das Echo darauf ist eine andere Frage. Das ist die einzige Regel des Spiels «Kunst». Status, Nimbus, Bedeutung – das sind alles bloss Markteffekte.
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Re: Moutarde de Ludwig (II)

Beitrag von Andreas Ludwig »

Kleiner Nachtrag für Fichtenfreunde:

So sah der Baum im Herbst 2013 aus. Wenn man den Unterschied anschaut, sieht man, wieso ich Fichten mag. Sie geben Arbeit, aber danken es einem.
enigma.jpg
enigma.jpg (27.16 KiB) 2839 mal betrachtet
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Re: Moutarde de Ludwig (II)

Beitrag von MerschelMarco »

Schutzwald ist ein sehr schönes Thema mit vielen Konfliktfeldern; Naturschutz - Jagd beispielsweise.
Bei mir mag diese Assoziation hier nicht richtig zünden. Es fehlt mir der Waldeindruck, aber wichtiger noch, hier hält das Gelände die Fichte fest und nicht die Fichte das Gelände.
Spontan wäre mir bei "Schutzwald" sowas eingefallen:
https://crataegus.files.wordpress.com/2 ... g_2384.jpg

Wie siehst du das?

Grüße,
Marco
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Re: Moutarde de Ludwig (II)

Beitrag von Andreas Ludwig »

Geschätzte hundert Mal besser – sicher. Das Blöde an Titeln ist, dass sie dann so gemeisselt dastehen. Was man eher nur real sieht, ist der Eindruck eines «Steinsacks», da sind eine ganze Reihe kleinerer Steine zusammengefügt auf dem grossen länglichen. Aber vielleicht hätte ich den Baum lieber «Fichte-die-ich-einfach-zu-hübsch-fand-um-gar-nichts-draus-zu-machen» nennen sollen...

Beethoven war der erste Komponist, der seine Werke «Opus» nannte, sie einfach mit dem Gattungsnamen versah und durchnummerierte. Sonate Nr. 15, fertig. Blöd war das nicht. Ausser «Pathétique» und «Pastorale» vergab er keine Namen (es waren Verleger, die von Mondschein, Appassionata usw. brabbelten, oder aus Widmungen Namen machten («Waldssteinsonate») - Marketing).
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Re: Moutarde de Ludwig (II)

Beitrag von camaju + »

Ein Name dazu würde mir nicht einfallen. Das ist was, was ich in entsprechender Umgebung, nach der nächsten Biegung vor der Nase haben kann.
Gruß Jürgen *wink*

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