Wie man zum Saatgut kommt

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Andreas Ludwig
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Beitrag von Andreas Ludwig »

verenchen

es gibt sehr unterschiedliche Samen, was ihr Keimverhalten betrifft. Darum muss man immer genau wissen, von welcher Art man redet, allgemeine Aussagen sind eigentlich bloss Legenden. Ein paar Beispiele, was es so gibt: Die Feuerbohne, deren Samen von einem Buschfeuer angeröstet werden müssen, den Beerenstrauch, dessen Samen von einem Bären gefressen und ausgeschieden werden müssen... Tyke hat mir eine Seite gezeigt, auf der ein weiteres interessantes Rezept steht: Das Einbuddeln von Samen für kurze Zeit in feuchten Guano (Das ist Vogelmist) beschleunigt die Keimung bei einigen Arten.

Wir haben es recht gut. Punica ist brav. Die Kerne keimen einfach, basta. Ich denke, frisch sind sie nicht keimfreudiger. Da hat es wahrscheinlich Inhibitoren, Keimhemmer in der Frucht. Und ich war mir nicht sicher, wie lange es Granatäpfel zuverlässig im Handel gibt. Da dachte ich mir, ich fange mal an, weil es jetzt Früchte hat und ziehe das ein bisschen in die Länge. Dadurch kam einiges Interessantes zum Vorschein, was später helfen mag - Basismaterial sozusagen.

Das schnöde Rumliegenlassen ist nicht zuletzt Training. «Bei Bonsai hat alles seine Zeit». Das klingt so schön gelassen, man riecht fast den grünen Tee, wenn man es liest. Es hat aber eine Kehrseite: Man wird manchmal übel enttäuscht, wenn man dem Zeitpunkt vorgreift. Dann ist nicht einfach etwas kaputt, nein, es ist komplett futsch, «back to zero» steht auf dem Boden der Schale...

Aber wir könnten trotzdem was tun: Mal den Kreissaal einrichten. Ich finde Aussaatboxen ganz praktisch, die grünen, backblechartigen Plastiksets mit Untersatz und Klarsichthaube. Je nach verfügbarer Fläche kann man die Grösse wählen, wenn jeder 12 Näpfchen mit Kernen hinkriegt, wäre das gut. Das Substrat ist Pikiererde. Bloss nicht zu früh mit Akadama und teuren Spezialerden loslegen, es bringt nichts.

Jetzt brauchen wir noch Wärme. Da ist ein ziemlich wichtiger Punkt. Es soll 20 Grad warm sein, das ist die Keimtemperatur. Sinkt die Temperatur z.B. nachts, wird es länger dauern. Die nächste Aufgabe ist also, das Pflanzset und Pikiererde zu besorgen und ein warmes Plätzchen zu finden. Hier sind Fensterbretter über Heizungen ausnahmsweise eine gute Wahl - die Haube wird das Vertrocknen verhindern und zuviel Wärme kanns fast nicht sein.

In Gartencentern und Baumarkten gibt es kleine, digitale Temperatur-/Luftfeuchtigkeitsmesser ab 4 Euro. Die haben eine Memofunktion für Höchst- und Tiefstwerte. Damit kann man den Tiefstwert in der Nacht messen, ohne selber aufstehen zu müssen. Man kann mit den Dingern sogar lernen, die Luftfeuchtigkeit selber besser einzuschätzen.
verenchen
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Beitrag von verenchen »

Ok. Danke für die ausführlichen Erläuterungen.
Hab schon so ein Zimmergewächshaus, die komischen braunen Schalen (so ähnlich wie Eierkarton) und die Anzuchterde :) Die Samen trockenen fleißig vor sich hin.
Jetzt brauchen wir nur noch mehr Sonne
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O-Master
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Beitrag von O-Master »

Andreas,

Was hältst Du von der feinsten Fraktion gewöhnlicher Bonsaierde? Ich habe in Horst Stahls "Bonsai - Der Weg zum Meister" gelesen, dass er sie für Stecklinge mit hervorragendem Erfolg verwendet. Ich würde die Erde dann natürlich im Backofen keimfrei machen!

Grüsse aus dem endlich winterlichen Tirol,

Oli
Grüsse aus Tirol,


Oli
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Andreas Ludwig
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Beitrag von Andreas Ludwig »

Hi O-Master

Stahls Doppelbuch kenne ich gut, auch die Auffassung anderer dazu und den Vergleich mit anderen Büchern sowie praktischen Erfahrungen. Das Werk hat seinen Platz, irgend jemand musste das mal machen und man sollte es kennen wie das Grundschulbuch Mathematik – stets präsent, wenn auch nicht im Vordergrund.

An die «feinste Fraktion» erinnere ich mich besonders, weil es mich erheitert hat. Eine so gesucht akkurate, gediegene Formulierung wird höchstens noch durch diese Würdigung derselben übertroffen. Dazu hat es eine tiefgründige Dimension: Mit der «feinsten Fraktion» könnte auch das Selbstverständnis der Bonsainer gemeint sein. Aber das ganz am Rande.

Zurück zu den Keimlingen. Stahl ist recht exklusiv. das bedeutet dem Wortsinn nach «ausschliesslich». Er schliesst vieles aus, was nach meiner Erfahrung und nach Berichten anderer durchaus geht. Wie im Mathematikbuch halt - streng wissenschaftlich ist 4.5 + 1 = 5.5, im Altag gibt man aber einen Fünfer oder legt noch was drauf, jedenfalls, wenn man grosszügig ist. Punica ist grosszügig, die nimmts nicht genau.

Aus diesen Erwägungen empfehle ich dir, je sechs Kerne in Pikiererde und in eine feine «feinste Fraktion» zu stecken. Dann wissen wirs. Bei der Gelegenheit möchte ich sogar richtig werben für weitere optionale Fragen: Wir haben hier 15 (Teilnehmer) mal 12 Keimlinge. Das sind 180 Pflanzen. Bei n = 180 nimmts der Statistiker langsam ernst. Ob Stahl wohl 180 Granatapfelkeimlinge hatte? Torfkeimhilfen, gewachsener Boden, vieles ist denkbar. Ich für meinen Teil werde die sterile Watte ausprobieren, damit auch dieses Extrem der Skala bedient ist.

Gruss
Andy
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schmieda
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Beitrag von schmieda »

Hallo

Ich nehme gern, artunabhängig, Torfquelltöpfe. Meist nehm ich dieses "Geflecht" ringsrum nach dem Quellen gleich ab, um später die Wurzeln nicht kaputt zu machen.
Beim kleinen Samen sollte das Substrat nur schön "fein" sein.
Gruß
Frank :)

++++ Gießen: Hessischer Botaniker findet heraus, wie Pflanzen länger leben ++++
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Andreas Ludwig
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Beitrag von Andreas Ludwig »

Nur schön fein. Ich sehe das genauso. Es ist mir eigentlich gar nicht recht, über die Bücher anderer zu gehen, wie vorhin gerade oben. Jeder sollte sich selbst blamieren. Ich schiebe darum noch etwas ganz Allgemeines zum Thema Erde nach:

Man sollte «Erde» nicht als einzig möglichen Lebensraum für Bäume anschauen. «Waldhumus», zerfallende Pflanzen, vermischt mit gewachsenem Boden, erfüllt diese Bedingungen zwar gut. Die oberste Schicht liegt aber auch auf dem feuchten Untergrund, und muss darum oft nicht mal so gut sein. Gibt man vermeintlich guten Boden in einen Topf, ist der oft gar nicht zu brauchen. Das Substrat, in dem eine Holzpflanze steht, muss Feuchtigkeit speichern können, die Belüftung und den Vortrieb der Wurzeln erlauben, dazu noch einigermassen stabil bleiben über eine Zeit von ein, zwei Jahren und den Baum natürlich nicht angreifen.

Das Verhalten im Zusammenhang mit dem Wasser ist entscheidend. Je grösser das Volumen einer Schale ist, umso grosszügiger darf man sein, bei kleinen Schalen und Anzuchtnäpfen hat man einfach den Ärger des kleinen Speichervolumens. Also muss man die Grenze anpeilen, wo ein Substrat Wasser noch durchlässt, aber einen möglichst grossen Teil davon speichert. Dabei spielt Sand eine Rolle (stabilisiert) und es braucht ein Material, das formstabil ist und speichert. Es darf keine grossen Löcher geben, in denen Würzelchen austrocknen oder absaufen, sollte aber genug kleine für den Gasaustausch haben.

Akadama und Bims kann das. Oder Seramis und Gartenerde. Lavasand, Lehmerde und Torf ebenfalls. Feiner, scharfkantiger Kies und Komposterde geht sogar. Ein Strassenrand aus geschrotetem Altglas hat mich auch mal erstaunt mit seinem Strauchbewuchs. Schutthalden sowieso. Man sollte das ausprobieren und dabei auch ein Gefühl dafür kriegen, wie sich diese Erde im eigenen Fall verhält. Was bei dem einen Autor gut war, ist dem anderen misslungen, was auf einem Nordostbalkon in Schleswig-Holstein gute Resultate bringt, ist am Südhang in Baden-Baden untauglich. Es ist Aufwand und verlangt Geduld, aber man sollte hier viele Wege gehen und nicht zu früh den richtigen suchen.

Und die Anzuchterde: Wir werden wahrscheinlich Granatäpfel jäten müssen
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thalmala
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Beitrag von thalmala »

Hi,

Gestern Abend habe ich meine Frau und meine Kids zum großen Granatapfel Essen eingeladen / eingespannt.
Was für eine Sauerei!

Jetzt heißt es trocknen únd auf den 1. März warten!

Grüße Thomas
Suche, so wirst Du finden...
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Aliena
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Beitrag von Aliena »

Ich kann ja auch noch ein bisschen rumprobieren. Kerne hab ich mehr als genug. Zählen werde ich sie nicht.
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Andreas Ludwig
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Beitrag von Andreas Ludwig »

Noch ein haushalttechnischer Hinweis:
Der Saft des Granatapfels macht sehr hartnäckige Flecken.
(so von wegen Essen mit Kindern und so...)

Hat irgend jemand alle Kerne gezählt? Würde mich interessieren. – Ja, ich war auch zu faul dazu...
Winznut
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Beitrag von Winznut »

Gezählt habe ich nicht, aber ich würde mal irgendwas zwischen 50-70 schätzen...falls noch jemand zählen sollte. ;)

Hab mal ca. 30 getrocknet, die sehen zum Teil recht unterschiedlich aus, was die Farbe angeht.
Werde sie vor dem Einpflanzen mal sortieren, vielleicht kann man daraus ja was ableiten.

Oliver
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thalmala
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Beitrag von thalmala »

Andreas Ludwig hat geschrieben:Noch ein haushalttechnischer Hinweis:
Der Saft des Granatapfels macht sehr hartnäckige Flecken.
(so von wegen Essen mit Kindern und so...)
Wieso, sah sehr lustig aus vor allem die kleinen roten Punkte überall im Gesicht. Es gibt doch Omas milde Bleiche...
Gezählt habe ich auch nicht, aber genau 100 zum trocknen vorbereitet, ca. die gleiche Anzahl abgeknabberter Kerne nicht weiter gepult und ungefähr nochmal die gleiche Anzahl nicht abgeknabberter Kerne im Kühlschrank.
Nicht mit enthalten die ganzen runtergeschluckten Kerne.
Also nach meiner vorsichtigen Schätzung locker 300-400 Kerne, vielleicht auch mehr!

Grüße Thomas
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Andreas Ludwig
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Beitrag von Andreas Ludwig »

Noch was zum Abschluss:

Es gibt sogenannte «Bonsai-Samen». Wenn man solche kaufen will, kann man das tun. Vielleicht wurden sie wenigstens sorgfältig ausgesucht.

Es gibt keine Samen, die besondere Eigenschaften hätten, die sie bonsaitauglicher machte als ihre «wilden» Artgenossen.

Viele Samen von bonsaitauglichen Pflanzen findet man in der Obstabteilung eines Kaufhauses, von vielen interessanten Pflanzen geben botanische Gärten Samen auf Anfrage weiter (die mögen uns Bekloppte irgendwie).

Ich habe Granatäpfel aus dem Renaissance-Garten des Palazzo-Prinicipe in Genua und welche aus der Schweizer Migros. Sie wachsen genau gleich und haben fast so kleine Blätter wie eine nana.
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