Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Kleine Bäume ganz groß. Für alle Winzlinge, die schon Baum sind und nicht Sämling, also einen gewissen Entwicklungsgrad haben. Treu dem Motto "der kleinst mögliche Baum".
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Heike_vG
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Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Beitrag von Heike_vG »

Hallo, Ihr Lieben,

hier kommt die Geschichte eines Dreispitzahorn-Shohins.
Dieses Bäumchen kam als schöner kleiner und nicht ganz billiger Shohin-Bonsai im Handgepäck eines deutschen Bonsaifreundes aus Japan.
Leider hatte es irgendwann einen Unfall, stürzte vom Regal und die Spitze brach ab. Der Baum war entstellt und der Besitzer verlor die Freude daran.
Zusammen mit ein paar anderen Bäumen gab er auch diesen Baum einem befreundeten Händler in Zahlung.
Mit diesem bin auch ich befreundet und er legte mir den armen Wicht letzten Winter ans Herz.
Auf dem Parkplatz der Noelanders Trophy 2012 bekam ich das Bäumchen übergeben, das in einer im Verhältnis riesigen Trainingsschale stand, um starkes Wachstum zu fördern, damit eine neue Spitze wachsen sollte. Ein neuer Leittrieb war bereits gewachsen.
An der Stammbasis befanden sich verdächtige Stellen, an denen ich Rindenschuppen abpulte, um zu sehen ob die Rinde darunter lebte. Ganz sicher waren wir nicht. Auf jeden Fall befand sich an der möglichen neuen Vorderseite ein Loch im Nebari, sehr ärgerlich.
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Neue Vorderseite?
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Alte Vorderseite
Alte Vorderseite
Von oben: die Schnittstelle der alten Spitze ist recht groß
Von oben: die Schnittstelle der alten Spitze ist recht groß
Ein halber Schritt in die richtige Richtung ist oftmals ein Reinfall...

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Heike_vG
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Re: Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Beitrag von Heike_vG »

Im März nahm ich den Baum aus der Schale, da mir das Substrat nicht behagte, es blieb sehr nass. Auch fand ich die Trainingsschale überdimensioniert. Zu wenig Erwärmung und zu langsames Abtrocknen des Substrats kann kontraproduktiv sein.
Bei der Untersuchung des Wurzelballens fand ich zu meiner Überraschung heraus, dass der Baum aus seiner letzten Shohinschale mit völlig unbearbeitetem Wurzelballen in die Trainingsschale umgesetzt worden war und sogar ein feinmaschiges, zugesetztes Netz, das an Gardinenstoff erinnerte, von der Größe des kompletten Shohin-Schalenbodens darin verblieben war. Altes, reines Akadama, wahrscheinlich noch original aus Japan, hatte sich zu einer schmierigen, nassen Masse verdichtet.
Das Zeug musste alles entfernt und ausgewaschen werden. Der Wurzelzustand war mehr als jämmerlich.
Eine Oberflächenwurzel war abgestorben und verfault, die Fäule bis in die Stammbasis hinaufgezogen. Als ich das alles ausgeschnitten hatte, sah das Ergebnis recht traurig aus. Den Wurzelballen habe ich ordentlich bearbeitet und den Baum in eine etwas kleinere, aber immer noch große Trainingsschale gepflanzt.
Dieses Jahr durfte der Leittrieb wachsen was das Zeug hält und hat eine enorme Länge erreicht.
Das Bäumchen hat neue Vitalität erworben und die neue Spitze entwickelt sich. An der ausgeschnittenen Stelle in der Stammbasis hat sich ein tüchtiger Kallus entwickelt. Hier will ich nächstes Frühjahr eine oder zwei Jungpflanzen ablaktieren, um neue Nebariwurzeln zu erhalten und das Loch zu schließen.
Dann kann das kleine Unfallopfer wieder ein feiner Shohin werden. 8)

Liebe Grüße,

Heike
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Mit superlangem Leittrieb
Mit superlangem Leittrieb
P1070146k.JPG
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Zuletzt geändert von Heike_vG am 07.10.2012, 22:02, insgesamt 1-mal geändert.
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jean vermaeren
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Re: Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Beitrag von jean vermaeren »

Hallo Heike, mooi vooruitgang he je met deze Maple gemaakt
komt zeker goed, *daumen_new*
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Odoridori
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Re: Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Beitrag von Odoridori »

Hallo Heike,

Gottseidank ist das "Unfallopfer" in deine Hände gelangt, ansonsten wäre er wohl
jetzt dem Himmel schon sehr nah ... :-D

Du hast eine Vision von diesem Baum und daher wird das wieder ein sehr guter Shohin *daumen_new*

Viele Grüße
Holger
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bonsaiheiner
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Re: Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Beitrag von bonsaiheiner »

Hallo Heike,

dieser Bericht erinnert mich ein wenig an einen Artikel, der vor Jahren in "Bonsai-Art" zu lesen war: "Wiedergutmachung" von Udo Fischer.
Genauso gut und konsequent, ebenso erfolg- und lehrreich.
Vielen Dank für diese Sequenz.

Liebe Grüsse,
Heiner
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Heike_vG
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Re: Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Beitrag von Heike_vG »

Danke für Euren Zuspruch!

Heiner, den schönen Artikel kenne ich sehr gut, den habe ich im Laufe der Jahre mehrmals gelesen. Ehrt mich, dass meine kleine Geschichte hier Dich daran erinnert. :-D

Ich werde natürlich weiterhin berichten und dokumentieren, wie sich mein kleiner Reha-Patient entwickelt. Da er bisher das gemacht hat, was ich von ihm möchte, habe ich ihn schon mal gern. 8)

Liebe Grüße,

Heike
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Shuang
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Re: Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Beitrag von Shuang »

das ist sehr inspirierend gewesen, danke.
es zeigt vor allem, dass sich die mühe auszahlt, der kleine hat es dir sichtlich gedankt <3
~Ist man in kleinen Dingen nicht geduldig, bringt man die großen Vorhaben zum Scheitern. - Konfuzius~
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Heike_vG
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Re: Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Beitrag von Heike_vG »

Nun sind die Blätter ab, die Zweige geschnitten und das Loch im Nebari mit gutem Kallus habe ich auch mal fotografiert.

LG, Heike
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Yvi
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Re: Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Beitrag von Yvi »

Tolle Geschichte Heike :)
Bei dir ist der Kleine auf alle Fälle in den richtigen Händen, wie man ja auch sieht *daumen_new*

Liebe Grüße Yvi
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Heike_vG
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Re: Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Beitrag von Heike_vG »

Danke, Yvi! *kiss*
Auf jeden Fall machen mir solche Herausforderungen auch Spaß.
Wenn es gelingt, für relativ wenig Geld aus einem armen Wesen wieder ein Strahlemännchen zu machen, dann ist es ein tolles Erfolgserlebnis.
Ich bin schon gespannt, wie dieses Bäumchen in ein paar Jahren aussehen wird. Ein bisschen Glück gehört auch immer dazu. :wink:

Liebe Grüße,

Heike
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Heike_vG
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Re: Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Beitrag von Heike_vG »

*updated*
Das kleine Unfallopfer musste sich zwei weiteren Schönheitsoperationen unterziehen.
Die Ablaktionen in so kleinem Maßstab haben mich fast zur Verzweiflung getrieben, welch eine Fummelei! :roll:
Sonst nehme ich pro ablaktierter Jungpflanze zwei Nägel, hier ging es gerade mal mit je einem und für zusätzliche Stabilität habe ich oben Bast verwendet.
Beim Einschlagen der Nägel drohten die dünnen Jungpflanzen sich zu spalten und es ging der Hammereinsatz auch nicht ganz ohne Rindenverletzungen ab.
Aber ich bin nun doch zuversichtlich, dass die Ablaktionen geglückt sind und gut anwachsen können.

Der dicke Knubbel an der Rückseite, der von der abgebrochenen alten Spitze übrig war, wurde abgetragen. Das hat erst einmal ein großes Loch ergeben, aber Dreispitzahorn hat so gute Regenerationsfähigkeiten und das Bäumchen kann es bestimmt innerhalb weniger Jahre schließen, wenn in der Spitze noch tüchtiges Wachstum zugelassen wird.

Liebe Grüße,

Heike
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Ablaktionen (das glänzend graue Zeug ist Wundverschluss)
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bonsaiheiner
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Re: Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Beitrag von bonsaiheiner »

Hallo Heike,

tolle Arbeit, die hoffentlich erfolgreich sein wird. Bis hierhin hat der Kleine ja wirklich gut mitgearbeitet.

Übrigens, die zu ablaktierenden Stecklinge kannst Du doch in Zukunft mit einen 1mm-Dremlbohrer vorbohren und dann festnageln, dann dürfte es keine Längsrisse mehr geben. Oder die Fixationsnägel vorher umdrehen und mit einem Hammerschlag die Spitze stumpf machen. Das verhindert auch das Reissen.

Liebe Grüsse,
Heiner
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Heike_vG
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Re: Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Beitrag von Heike_vG »

Hallo Heiner,

vielen Dank! Gerade der Tipp mit dem dünnen Dremelbohrer ist gut, das werde ich mir merken. Wahrscheinlich hätte ich so einen gehabt, aber nicht dran gedacht... :oops:

Liebe Grüße,

Heike
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Reiner K
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Re: Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Beitrag von Reiner K »

bonsaiheiner hat geschrieben: Übrigens, die zu ablaktierenden Stecklinge kannst Du doch in Zukunft mit einen 1mm-Dremlbohrer vorbohren und dann festnageln
Hallo Heiner,
wie ist das gemeint??
LG Reiner
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Re: Dreispitzahorn - Reha eines Unfallopfers

Beitrag von kressevadder »

Hallo,

ich bin zwar nicht Heiner, aber anstatt den Nagel durch den Steckling direkt zu schlagen/drücken, bohrst du ein kleines Löchlein durch den Stamm des Stecklings und nagelst das dann an der Pflanze fest.

Sehr interessante Reha Heike!

Gruß
Manfred
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