2. Vorwort: "Kunstgeschwafel" - Vorwort

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2. Vorwort: "Kunstgeschwafel" - Vorwort

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von Gunter Lind

"Kunstgeschwafel" hat Walter Pall einen seiner Forumsbeiträge genannt, mit denen er in regelmäßigen Abständen den Lesern kunsttheoretische Fragen nahezubringen versucht, und er hat sicher gehofft, dass die meisten Leser seine Ausführungen nicht als Geschwafel empfinden möchten. So geht es mir auch. Wenn ich trotzdem den Begriff für diese Kategorie gewählt habe, dann um anzudeuten, dass es hier um Dinge geht, die jeder für seine eigene Praxis für sinnvoll aber auch für sinnlos halten kann. Kunsttheorie sollte als Theorie natürlich in sich sinnvoll sein, aber ob sie für meine Bonsaigestaltung Sinn macht, ist eine andere Frage.

Wenn ich einen Artikel über Wabi-Sabi als einen zentralen Begriff fernöstlicher Kunsttheorie schreibe, dann liefert mir die Kunstgeschichte dazu das Material. Kunsttheorie und Kunstgeschichte hängen eng zusammen und letztere ist für erstere gewissermaßen das empirische Korrektiv. Die kunsttheoretische Kennzeichnung von Wabi-Sabi kann man nicht ablehnen, sondern nur mit historischen Fakten als mehr oder weniger zutreffend kritisieren. Wabi-Sabi als Gestaltungsprinzip aber kann man ablehnen und zwar mit guten gestalterischen Gründen.

Bonsai als Kunst? Dass diese Frage immer wieder erregt diskutiert wird, liegt wohl daran, dass bei uns die "Alltagskunst" und die "hohe" Kunst immer noch recht unterschiedliches Prestige genießen und nur letztere als Kunst im eigentlichen Sinn gilt. Das ist ein Erbe des 19. Jhs. und daran haben auch die seit Jugendstil und Bauhaus immer wiederkehrenden Bemühungen zur Aufwertung der handwerklichen Kunst noch nicht viel geändert. Das ist im fernen Osten anders. In Japan hat gerade die Kleinkunst, die mit den Gegenständen des Alltags verbunden ist, ein ungemein hohes Niveau erreicht, die Netsuke, Lackarbeiten, Schwertknäufe, usw. Und in vielen kunsthistorischen Veröffentlichungen werden diese Dinge selbstverständlich neben die "große" Kunst der Plastik und Malerei gestellt. Man kann sogar die Ansicht finden, dass die japanische Kunst auf diesen Gebieten ihre selbständigsten Leistungen vorzuweisen habe. In diesen Zusammenhang darf man wohl auch Bonsai, Ikebana und die damit verwandten Künste stellen. Sie dienen dem Schmuck von Haus, Terasse, Garten oder Tempel und sind potentiell Kunst. Selbstverständlich sind aber manche Bonsai nur Topfpflanzen genauso wie manche Schwertknäufe nur Schwertknäufe sind.

Der hohe künstlerische Standard japanischer Alltagsgegenstände ist kein allgemeines Phänomen, sondern ein ziemlich elitäres. In Japan ist Kitsch genau so verbreitet wie andernorts auch und es gibt auch Bonsai aus Kunststoff. Sie werden in der traditionellen Hochzeitszeremonie verwendet. Die Grenzziehung zwischen Kunst, Nicht-Kunst und Kitsch ist meines Erachtens mit kunsttheoretischen Begriffen nicht zu leisten, sondern ist eine Frage der Soziologie. Ein Beispiel: Für den an der Wabi-Sabi-Ästhetik geschulten traditionellen japanischen Kunstgeschmack war die bunte, affektgeladene bürgerliche Kunst des japanischen Farbholzschnitts Kitsch. Sie wurde erst von den Europäern als Kunst entdeckt und inzwischen haben sich wohl die meisten Japaner diesem Urteil angeschlossen. Kitsch ist die Kunst des schlechten Geschmacks und was schlechter Geschmack ist, hängt von der jeweiligen Kultur oder Subkultur ab.

Ich habe mich im folgenden mit Fragen der Abgrenzung der Kunst von Nichtkunst, Handwerk und Kitsch nicht beschäftigt. Ich glaube nicht, dass es sehr hilfreich ist, Qualitätsfragen auf dieser sehr allgemeinen Ebene zu diskutieren. Als Bonsai-Enthusiasten haben wir alle einen relativ großen gemeinsamen Erfahrungsschatz, der es erlaubt, die Frage ob eine Gestaltung gut oder weniger gut ist, wesentlich konkreter und präziser zu diskutieren.

Ich habe Artikel mit kunsttheoretischer Intention hier eingeordnet, auch wenn die Argumentation überwiegend kunsthistorisch ist, oder eine historische Epoche behandelt wird. So ist der Artikel über das Gothaer Penjing-Album hier aufgenommen, weil es überwiegend um die Kennzeichnung eines bestimmten Stils geht, auch wenn dies ein historischer Stil ist.

Die bislang vorhandenen Artikel umfassen nur einen Teil dessen, was hier einmal stehen könnte. Über Stile wird nur recht kursorisch gehandelt. Die zeitliche und räumliche Varianz innerhalb eines Stils , die "Moden" und "Dialekte", werden kaum gestreift. Es wäre schön, wenn man dies am Beispiel Chinas abhandeln könnte, wo es Lokalstile gegeben hat und rudimentär immer noch gibt, aber die relevante Literatur ist mir nicht zugänglich. Überhaupt nicht behandelt ist bislang auch der Bereich der Kunstsoziologie. Bonsai ist eine Ware, es gibt einen Markt, Institutionen nehmen Einfluss. Wie all das sich auf Gestaltung und Gestaltungsinnovation auswirkt, ist bislang leider nicht untersucht.


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