3. Vorwort: Der Baum in der Kunst - Vorwort

Hintergrundwissen und Theoretisches
Antworten
gunter

3. Vorwort: Der Baum in der Kunst - Vorwort

Beitrag von gunter »

von Gunter Lind

In der Literatur wird öfters auf den Zusammenhang zwischen der Gestaltung von Bonsai und der Darstellung des Baumes in der fernöstlichen Kunst hingewiesen. Meist geschieht dies im Zusammenhang mit dem Literatenstil. Dieser Bonsaistil wurde aus der für die Landschaftsmalerei der chinesischen Literaten typischen Baumdarstellung entwickelt. Der Einfluss der Malerei auf die Bonsaigestaltung ist jedoch nicht auf diesen Stil beschränkt. Im historischen Teil wurden die Vorbilder der klassischen Bonsai-Kiefer in der dekorativen Malerei der Tosa- und der Kano-Schule aufgezeigt. Es ist naheliegend, dass die dekorative Kleinkunst und das Kunsthandwerk sich in stilistischen Fragen an der "großen" Kunst orientierten. Das war im fernen Osten nicht anders als in Europa. Ich vermute, dass dabei für Bonsai die Gartenkunst als vermittelndes Element eine Rolle gespielt hat. Allerdings ist diese Frage bislang anscheinend noch nicht wissenschaftlich untersucht worden. In der Gartenkunst ist der Zusammenhang mit der Landschaftsmalerei offensichtlich und es spricht einiges dafür, dass zumindest die Form der klassischen Bonsai-Kiefer zunächst für die Garten-Kiefern entwickelt wurde.

Wenn man in Europa mit europäischen Baumarten Bonsai gestalten und dabei fernöstliche Traditionen nicht einfach nur kopieren möchte, könnte es sinnvoll sein, sich einmal die Darstellung des Baumes in der europäischen Kunst anzuschauen.

Ich glaube, dass es auf Kunstwerken leichter ist, die typischen Formen heimischer Bäume zu erkennen als durch die Beobachtung in der Natur. Das Auge des Künstlers hat den Baum bereits gestaltet, vielleicht das typische hervorgehoben. Der Künstler nimmt uns sozusagen die Interpretationsarbeit zum Teil ab. Man mag einwenden, dass man sich dadurch ein bestimmtes Baumbild aufoktroyieren lasse. Aber wir sehen die Natur sowieso mit den Augen der Kunst der Vergangenheit. Die Natur sieht nicht irgendwie aus. Sie ist verschiedenen Künstlern recht verschiedenartig erschienen und diese ihre Sichtweisen haben das Naturbild maßgeblich mit geformt.

Noch deutlicher wird der Vorteil der Betrachtung von Kunstwerken gegenüber der unmittelbaren Naturbeobachtung, wenn man nach dem möglichen Ausdrucksgehalt von Bäumen fragt. Der Baum in der Natur bekommt eine Aussage erst durch mich als Beobachter, dadurch dass ich zum Beispiel eine bestimmte Stimmung in ihn hinein lege. Beim Baum auf dem Kunstwerk ist dieser Stimmung bereits Ausdruck verliehen worden. Und diese Aussagen sind zum Teil andere als in der fernöstlichen Tradition. Der Blick auf die Kunst mag also geeignet sein, die Ausdrucksmöglichkeiten von Bonsai zu erweitern.

Allerdings ist nur ein Teil der Malerei für die Bonsaigestaltung von Interesse und das hat mit zwei Eigenschaften von Bonsai zu tun, die deren Gestaltungsmöglichkeiten gegenüber der Malerei einschränken.

1. Bonsai sind Gegenstände der Natur und lassen sich nicht beliebig manipulieren. Dort wo der Baum zum Symbol oder zum abstrakten Zeichen geworden ist, kann die Bonsaigestaltung nicht folgen. Der Stilisierung sind durch die Biologie relativ enge Grenzen gesetzt. Die japanischen Baumprototypen liegen innerhalb dieser Grenzen. Die Bäume der mittelalterlichen Buchmalerei, der orientalischen Teppichmuster oder die abstrakten Bäume Piet Mondrians sind mit Bonsai nicht darstellbar.

2. Wenn man Bonsai in die traditionellen Sparten der Kunst einordnen will, dann gehören sie nicht zur Malerei, sondern sind Skulpturen (obwohl sie, wenn die Ansichtsseite betont wird, ein wesentliches Moment derselben verlieren). Gerade die Malerei, die mit typisch "malerischen" Mitteln arbeitet, ist für Bonsai irrelevant. Und seit Constable und Turner ist das ein großer Teil der europäischen Malerei. Ihre Motive sind eigentlich nicht mehr die Gegenstände, sondern das Licht, die Atmosphäre. In der fernöstlichen Kunst spielt das kaum eine Rolle. In ihr gibt es keine Schatten, keine Abschattierung der Farben, keine aufgesetzten Lichter, überhaupt nicht den subjektiven Eindruck des flüchtigen Moments. Sie ist am Wesen des Gegenstandes interessiert, nicht an seiner Erscheinung.

Andererseits spielt der Baum in der Plastik keine Rolle, und zwar weder in Europa noch im fernen Osten. Höchstens im plastischen Ornament oder in einem Altarrelief, das eine Szene in freier Natur darstellt, mag ein Baum vorkommen. Mit dem Reichtum der Baumdarstellungen in der Malerei ist das nicht vergleichbar.

Im folgenden sind deshalb auch nur Beispiele aus der Malerei ausgewählt worden. Aus dem Gesagten ergeben sich die zeitlichen Grenzen, vom Beginn einer eigenständigen Landschaftsmalerei bis zum Nachlassen des Interesses an den Naturgegenständen als Motiv, bzw. der weitgehenden Lösung der Kunst von der Natur. Es könnte sein, dass diese Grenzen bald von der Bonsaigestaltung überholt werden. Der moderne plastische Stil hat sich in einer Art und Weise vom Naturvorbild gelöst, die durchaus mit der abstrakten Kunst vergleichbar ist. Selbstverständlich wird keine Vollständigkeit angestrebt, sie würde nur zu Wiederholungen führen, sondern im Gegenteil eine Auswahl von Bildern, die das Phänomen "Baum" in der europäischen Kunst repräsentieren und vielleicht das Baumbild des Bosaigestalters bereichern können.


Zu den Beiträgen
Antworten