Die gedankliche Auseinandersetzung
BONSAI -
WAS IST DAS EIGENTLICH WIRKLICH?
Es gibt weltweit in der Literatur über die Beschreibung einiger Techniken und Pflegeanleitungen hinaus keine grundlegende, gedankliche Auseinandersetzung mit diesem Thema. Das ist die Ursache für viele Mißverständnisse und Fehlentwicklungen bei Bonsai im Westen.
Die Japaner taten und tun sich schwer, sich und ihre Kultur dem Westen zu öffnen - nicht nur bei Bonsai - und so sehr sie auch andere kommerziellen Verbreitung dieser Kunstrichtung interessiert waren und sind, so sehr beobachten sie auch mit Bestürzung den Verfall inhaltlicher Werte. Einen Bonsai zu besitzen, Bonsai zu gestalten, zu pflegen und zu einem ehrwürdigen Kunstwerk zu entwickeln, bedeutet für sie, Verantwortung der Schöpfung gegenüber deutlich zu machen, lebensbejahende Botschaften zu vermitteln.
Ein gedankenloser Umgang mit den kleinen und ausdrucksstarken Bäumen, die in Asien in die dort vorherrschenden Naturreligionen eingebettet sind, und die so viel über das Leben an sich aussagen, ist für sie zutiefst verletzend. Aber sie haben es auch versäumt, uns auf unserem Weg zu Bonsai zu führen, und das hat es dem westlichen Bonsai-Liebhaber nicht gerade erleichtert, tiefer in das faszinierende Geheimnis Bonsai einzudringen.
Erstmals wurde der Westen im Jahre 1878, anläßlich der Weltausstellung in Paris mit Bonsai konfrontiert. Die teilweise uralten kleinen Bäume in der Schale erregten zwar Aufmerksamkeit als exotische Kostbarkeiten, hinterließen damals aber keine nachhaltige Wirkung. Bis in die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts änderte sich dies kaum. Mehr oder weniger detailliertes Wissen über diese Kunstform blieb in Europa sogar bis in die siebziger Jahre einigen wenigen Kennern vorbehalten. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert.
HERKUNFT UND TRADITION
So viel wir wissen, entstand Bonsai in China. Die Einschränkung muß gemacht werden, denn tatsächlich wissen wir sehr wenig über die Entstehung und Verbreitung von Bonsai. Und was wir wissen, beruht mehr auf Legenden als auf authentischen Berichten oder Überlieferungen -auch wenn in der westlichen Literatur manchmal ein anderer Eindruck vermittelt wird.
So soll der chinesische Hofbeamte Jianfeng der erste gewesen sein, der ganze Landschaftsausschnitte auf kleine Tabletts zauberte. Diese, Penjing genannte, Darstellung von Miniatur-Landschaften ist auch heute noch in China sehr beliebt.
Punsai, das chinesische Wort für Bonsai, wird erstmals etwa 200 vor Christi erwähnt. Gemeint war damals allerdings mehr die Chrysantheme im Topf. Ton-Quenming, ebenfalls ein hoher Staatsbeamter, soll sich nach seinem Rückzug aus der Politik damit einen Namen gemacht haben. In der Folge entwickelten sich die ersten Miniatur-Bäume. Das war auch die Zeit, in der sie Eingang in die Religion fanden.
In dieser Epoche blieb die Pun-sai-Qestaltung dem Adel und dem Klerus vorbehalten. Wahrscheinlich waren es auch buddhistische Mönche, die im zehnten Jahrhundert die Bonsai-Kunst nach Japan gebracht haben. Andere Überlieferungen sagen, es seien japanische Kaufleute gewesen, die als erste kleine Bäume aus China mitbrachten.
So oder so - um diese Zeit begann eine eigene, aber immer noch formal stark von chinesischen Einflüssen geprägte, japanische Bonsai-Kultur.
Das Erscheinungsbild von Bonsai änderte sich im Laufe der Entwicklung. Es wurde strenger, formalistischer, stilisierter. Während die kaiserliche Sammlung mit ihren uralten, meist aus China importierten Bäumen bis heute noch viele Elemente des typisch chinesischen Bonsai zeigt, galt ab der Wende zum 20. Jahrhundert nur noch der eigenständige Bonsai japanischer Prägung als erstrebenswertes Ziel. Es entstanden die ersten japanischen Lehrbücher mit strengen formalen Vorgaben.
Wie jede andere Kunstform auch - ich denke da beispielsweise an die Malerei mit ihrer Entwicklung vom Realismus über die Romantik zum Impressionismus, über den Expressionismus und Surrealismus bis hin zum Abstraktionismus - ist Bonsai einer ständigen, wenn auch nicht ganz so offensichtlichen Weiterentwicklung unterworfen. Bis zum zweiten Weltkrieg war Bonsai in Japan traditionell religiös geprägt und dabei über Jahrzehnte in seinem Erscheinungsbild recht starr und festgefahren. Nach dem Kriege und im Zuge einer Verwestlichung und Amerikanisierung verlor Bonsai -wie auch andere nationale Kulturgüter - im Bewußtsein der Japaner an Bedeutung. Der Umgang mit den kleinen Bäumen galt fast als reaktionär und wurde zum Rentnerhobby abqualifiziert. Erst in den letzten 30 Jahren -im Zuge einer Rückbesinnung auf traditionelle Werte - kam Bonsai zu neuer Blüte.
Und doch, die Japaner hatten sich verändert. Und nur deshalb konnte ein Mann wie Masahiko Kimura einen neuen, zeitgemäßen Bonsai-Stil kreieren. Er konkurriert heute erfolgreich mit dem traditionellen Stil, wie ihn beispielsweise die Kato-Familie vertritt.
Kennzeichen des neuen Erscheinungsbildes: Weniger religiöser Hintergrund und mehr profane Aussage, weniger mysthisch introvertiert, dafür spektakulärer und extrovertierter, kurzzeitiger im Entstehungsprozeß, da von anderem Ausgangsmaterial ausgehend, und schneller in der Entwicklung hin zur Vollendung durch die Anwendung moderner Werkzeuge und radikalerer Vorgehensweisen.
Wie das weltweit in der Kunst so üblich ist, ging das auch in Japan nicht ohne Glaubensstreit und Diffamierungen ab. Kimura, der nur einer von mehreren Fortschrittlichen ist, war im Westen längst bekannt und berühmt, bevor er auch in Japan respektiert und akzeptiert wurde. Und noch sind die Wunden, die solche Glaubenskriege im menschlichen Bereich verursachen nicht ganz verheilt. Und: Uns im Westen hat diese Polarisierung im bedeutendsten Bonsai-Land der Erde zusätzlich verunsichert - fehlte doch bei uns aufgrund mangelnder Hintergrundinformation von Anfang an die in Asien vorherrschende, klare Trennung zwischen einem symbolträchtigen Bonsai und einer lediglich klein gehaltenen Topfpflanze.
Im wahrsten Sinne des Wortes wurde bei uns alles in einen Topf geworfen: Die mehr oder weniger wild wuchernde Topfblume wie der von Künstlerhand bewußt und zielgerecht gestaltete Bonsai. Für uns schien entscheidend: Beide sind relativ klein und leben in einem Topf oder einer Schale. So entstand die bei uns heute noch existierende Definition:
"Ist grün, paßt in die Schale und je kleiner, desto mehr Bonsai..."
Eine Topfpflanze - oder wie die Engländer sagen: potted plant - wird jedoch hauptsächlich kultiviert, um mit der vergänglichen Schönheit von Blüten und Blättern unser Umfeld anzureichern. Das ist sicherlich schon ein hoher Anspruch, aber:
Ein Bonsai ist und kann mehr.
DIE ERSTE BONSAI
Die ersten Bonsai waren Findlinge aus Extremregionen. Im Rahmen des Weltbildes der Naturreligionen wurden sie gezielt gesammelt, in Schalen gepflanzt, gehegt und gepflegt, und bildeten so mobile Symbole für die Großartigkeit und Erhabenheit der Schöpfung. Mit den Spuren des ständigen Überlebenskampfes, mit ihren JIN-und SHARI-Partien aber auch Symbole für Hoffnung und Lebenskraft, selbst in den ärgsten Momenten im Leben eines Menschen.
So wurden sie gesehen, verehrt, mit größter Sorgfalt gepflegt und von Generation zu Generation weitervererbt. Viele, die vor Hunderten von Jahren gesammelt wurden, leben noch heute in der Schale.
DER BAUM IM DER SCHALE
Bonsai wird im allgemeinen Sprachgebrauch mit "Baum in der Schale" übersetzt.
Als wörtliche Übersetzung mag das zwar richtig sein, inhaltlich ist es jedoch eine unzulässige Verkürzung. Tatsächlich meint das Wort nämlich: "Eine von Menschenhand kultivierte Pflanze mit baumähnlichem Erscheinungsbild in einer Schale."
Erst diese Definition weist auf den unabdingbaren Einfluß des Menschen hin, wichtiger noch: Auf das notwendige permanente Miteinander von Pflanze und Mensch. Aber auch auf den Baum als Jahrmillionen altes Symbol für alles Leben dieser Erde.
Ein Bonsai ist nur solange ein Bonsai, wie der Mensch ihn bewußt begleitet und Einfluß auf ihn nimmt. Wird dem kleinen Baum in der Schale dieser Einfluß entzogen, wird er aus der Schale genommen und jährlich nicht mehrmals zurück geschnitten, dann wird auch aus einer möglicherweise bereits hundert Jahre klein gehaltenen Pflanze wieder ein ganz normaler, großer Baum.
Diese Versuche hat es gegeben. Bonsai sind keine speziellen Züchtungen. Es handelt sich um das gleiche genetische Material, das in der Natur 20 oder 30 Meterhoch wird - oder zumindest werden kann.
Der beabsichtigte Zwergwuchs wird lediglich durch äußere Einflüsse erreicht - Einflüsse, die unter bestimmten Umständen auch in der Natur vorkommen, wie zum Beispiel mangelhafte Nährstoffzufuhr durch karge Bodenverhältnisse, begrenztes oder gestopptes Wachstum durch Blitzeinschlag, Sturmschäden oder ständigen Wildverbiß.
All das sind in der Matur Umstände, die zum Zwergwuchs führen können. Häufig werden diese Erscheinungen an der Baumgrenze im Hochgebirge oder an anderen extremen Standorten beobachtet.
Diese scheinbar gebeutelten Pflanzen sind aber nicht weniger gesund oder beeindruckend als ihre großen Brüder und Schwestern. Im Gegenteil: Sie sind in der Regel sogar widerstandsfähiger, lebenstüchtiger und ausdrucksstärker. Sie sind es, die von der Überlebenskraft der Schöpfung künden, und damit sind sie geeignete Vorbilder für die Bonsai-Gestaltung.
BONSAI UND RELIGION
Die Nähe zu den Naturreligionen - aber auch die Integrationsmöglichkeit in diese - ist unübersehbar. Jedoch nicht nur in den Naturreligionen spielt der Baum, der als eines der ältesten noch existierenden Lebewesen dieser Welt gilt, eine wesentliche Rolle.
Denken Sie an den Baum der Erkenntnis im Garten Eden aus der christlichen Glaubenslehre. Im Islam gibt es etwas ähnliches: Einen Kultbaum, der reiche Früchte trägt - oder an den Baum Yggrasil in der germanischen Mythologie: Die Esche, deren Krone den Himmel stützt und deren Wurzeln bis in die Abgründe der Unterwelt reichen. Das weite Spektrum des Weltgeschehens, reduziert auf diesen einen Symbolträger. In ihm und um ihn herum wiederholte sich täglich der Kampf des Lichtes gegen die Finsternis.
Bei den alten Griechen hieß es, wenn die Eiche rauscht, ist der mächtige Zeus in der Nähe. Nahezu jedem der vielen griechischen Götter war ein Baum zugeordnet: Dem schönen Apoll der Lorbeerbaum, Artemis die Zeder und Athene der Ölbaum.
Als größtes Glück der Menschen galt es, nach einem gottgefälligen Leben als Dank der Götter in einen Baum verwandelt und damit unsterblich zu werden, wie Philemon und Baucis: Er in eine Eiche, sie in eine Linde.
Im alten Ägypten, im Osiris-Kult, führte die Palme als Leiter zum Himmel. In Indien war es eine riesige Feige, die in der Mythologie als Kultbaum galt.
Mir ist keine Religion bekannt, in der nicht ein Baum eine wesentliche Rolle spielt: DerBaum als Symbol für alles Leben und für die Einheit von Mensch und Natur.
Um wieviel naheliegender ist es, daß Naturreligionen wie der Shintoismus und der Buddhismus, Bonsai - die kleinen Brüder und Schwestern der großen Bäume in der Natur - inhaltlich vereinnahmt haben. Es sind Religionen, in denen die Natur im Mittelpunkt steht und nicht der Mensch, wie im Christentum oder dem Islam. Besser gesagt: Aus ihnen konnte erst der wahre Bonsai entstehen und sich entwickeln.
Ein Bonsai hatte in den Naturreligionen die Funktion einer Devotionalie oder gar einer Reliquie. Er war Symbol für etwas Verehrungswürdiges im Rahmen des allgemeinen Weltbildes - vergleichbar etwa mit einem Kruzifix im katholischen Glauben. Wie die Figur am Holzkreuz Symbol für das Leben und Leiden Christi auf dem Weg zur Erlösung des Menschen ist, so ist der kleine Baum in der Schale in den Naturreligionen Symbol für die göttliche Schöpfung, Sitz der Götter und Bindeglied zwischen Himmel und Erde.
Mit dem Siegeszug von Christentum und Islam sind der westlichen Hemisphäre Naturreligionen fremd geworden, ihre Inhalte nicht mehr ohne weiteres in unser Weltbild übertragbar. Ihre Aussagen sind für uns kaum noch nachvollziehbar, sind uns fremd geworden. Um aber Bonsai richtig zu verstehen, müssen wir uns doch die historische Funktion eines solch kleinen Baumes in der Schale im Rahmen dieser Glaubenslehren vor Augen führen.
Nur so können wir seinen Anspruch verstehen und richtig werten. Geschieht dies nicht, bleibt Bonsai lediglich eine äußerliche Erscheinungsform, mal schön und interessant, mal grotesk bis bedauernswert.
BONSAI UND KUNST
Alle sogenannten schönen Künste haben ihren Ursprung in den Religionen. Es waren immer Vertreter des jeweiligen Glaubens, die Literatur, Musik, Malerei oder Bildhauerei in ihrem Sinne und aus ureigenem Interesse heraus gefördert und letztlich in den Stand der Kunst geführt haben. So auch bei Bonsai.
Lag die menschliche Leistung anfangs mehr in dem Erhalt und der Pflege dieser Pflanzen in der Schale, so entwickelten Mönche und Priester im Laufe der Jahrhunderte die Kunst der Bonsai-Gestaltung. Ziel war es, durch formale Einflußnahme, bestimmte Botschaften klarer herauszustellen, zu verdeutlichen. Durch gezielten Schnitt, später auch durch Formen mit Draht, wurden selbst jüngere Pflanzen scheinbar uralt, in diesem Moment auch erhaben und im Anspruch glaubwürdig, und so zu ausdrucksstarken Symbolen für die Großartigkeit und Verehrungswürdigkeit der Natur. Ziel war es dabei immer, in künstlerischer Form, im kleinen die Botschaft von Harmonie zwischen Himmel und Erde, zwischen Mensch und Natur zu dokumentieren.
Es ist ein entscheidendes Kriterium der Kunst, daß jedes Werk -ob Musik, Literatur oder bildende Kunst, wozu auch Bonsai gezählt werden muß - eine übergeordnete, zeitlose Botschaft an den Betrachter, Leser oder Hörer übermittelt. Fehlt diese Botschaft, ist es keine Kunst. Darin liegt letztlich auch der Unterschied zwischen Kunst und Kunstgewerbe.
Wahrscheinlich nur, um die Abgrenzung landläufig deutlicher zu machen, hat das Wort Kunstgewerbe im Laufe der Zeit einen eher abwertenden, negativen Beigeschmack bekommen - meines Erachtens jedoch zu Unrecht, denn das Kunstgewerbe erfüllt eine sehr wichtige Aufgabe in unserem Leben: Es verschönert unser Umfeld und steigert dadurch unsere Lebensqualität. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und das ist immerhin ein wesentlicher Anspruch.
Große Kunst dagegen bringt uns auf eindringliche Weise eine Botschaft näher. Das muß nicht immer angenehm sein, meist ist es sogar höchst anstrengend, oft auch seelisch belastend. Ein Beispiel:
Picassos aufrüttelnde Anti-Kriegsbilder "Guemica" sind äußerst eindrucksvolle Kunstwerke, und so sehr ich sie als Kunst akzeptiere und schätze, so wenig möchte ich ständig von ihnen umgeben sein. Ihre Botschaft belastet mich.
Auch hier läßt sich ein Bogen zu Bonsai schlagen: So wird nämlich erklärbar, warum Menschen, die erstmals mit den kleinen Pflanzen in der Schale konfrontiert werden, meist mehr zu der putzigen kleinen chinesischen Ulme mit Kugelkopftendieren, als zu dem charaktervollen Solitär mit all den Spuren eines harten Überlebenskampfes
.
Ein solches Pflänzchen können sie sich durchaus auf ihrem Kaminsims oder Fernseher vorstellen - als attraktive Dekoration.
Ein Bonsai-Solitär dagegen läßt - ob es der Betrachter will oder nicht - die Gedanken fliegen, regt eine ständige Auseinandersetzung an. Das aber will nicht jeder - und nicht zu jeder Zeit.
Ein wahrer Bonsai spiegelt -zumindest heute - auch die negativen Seiten des Lebens wider. Auch hier läuft die Entwicklung der Bonsai-Kunst parallel zur Entwicklung der Kunst ganz allgemein: Gerade in unserem Jahrhundert gibt es eine auffällige Tendenz, sich vorwiegend mit negativen, seelisch belastenden Dingen zu beschäftigen und diese dann entsprechend umzusetzen.
Es ist bezeichnend, daß alle Medien - und die Kunst gehört mit wechselndem Stellenwert dazu - mit der Darstellung der schönen, positiven Seiten des Lebens begonnen haben - damals allerdings auch oft weit weg von der Realität - in späteren Jahrhunderten und vor allem heute ihre Existenzberechtigung jedoch vorwiegend in der Beschäftigung mit dem Leid sehen. In der bildenden Kunst, der Literatur, aber auch in so aktuellen Medien wie Film und Fernsehen.
Ich will mit diesen Bemerkungen nicht über Gebühr ins Philosophische abschweifen, aber selbst unter diesen Aspekten sind Bezüge zu Bonsai erkennbar: Auch in der Bonsai-Kunst war ursprünglich das Maß aller Dinge der schöne, makellose Baumveteran im Kleinformat -als Ideal, als Vision.
Der Traum von der heilen Welt ist heute nicht mehr haltbar. Vielleicht hat es diese heile Welt sogar niemals gegeben, nur war es den Menschen möglicherweise nicht so bewußt, weil die weltweiten Informations- und Kommunikationswege noch nicht so gut funktionierten wie heute.
Die Welt ist komplizierter geworden, und wer sich bemüht, wird das Spiegelbild dieser Entwicklung auch bei Bonsai beobachten können. Heute besteht die aktuelle Botschaft der Kunst - auch bei Bonsai - darin, einerseits den Menschen aufzurütteln und problem bewußter im Verhältnis zur Natur zu machen, andererseits ihm aber auch - trotz aller zum Teil selbstverschuldeter Widrigkeiten - Mut zu machen, Hoffnung zu geben und ihn zu einem neuen Bewußtsein zu führen.
BONSAI UND SEINE BOTSCHAFT
Wie muß sich ein Bonsai heute darstellen, wenn wir diese Kunst in unser Leben und unser Weltbild integrieren wollen?
Betrachten Sie einmal intensiv gute, bis ins Detail ausgeformte Bonsai, wie wir sie in dieser Perfektion bisher leider meist nur in japanischen Bildbänden finden. Was fällt auf?
Allen gemeinsam ist ein beträchtliches, beeindruckendes - tatsächliches oder scheinbares - Alter. Gemeinsam sind ihnen Charakter und Ausdrucksstärke mit allen Zeichen der Reife aus einem ausgefüllten Leben, und damit eine Ausstrahlung, der sich selbst der härteste Kritiker nicht entziehen kann. Die Botschaft wird klar.
In mein - von Maturreligionen freies - Weltbild übersetzt, heißt diese Botschaft:
"Ich alter, lebenserfahrener Baum, sage Dir, Mensch, aus all meiner Erkenntnis: Das Leben kann sehr schön und aufregend sein, es bringt uns aber auch Schmerzen, Leid und Schicksalschläge, es werden Dir Wunden zugefügt, und Du behältst Narben zurück. Dennoch: Trotz allem steckt auch in Dir die Kraft, dieses Leben zu meistern, zu überleben."
Dabei steht das tatsächliche oder scheinbare Alter (ich mache diese Unterscheidung bewußt, weil damit automatisch auch die künstlichen Alterungstechniken legitimiert werden) für Glaubwürdigkeit in Bezug auf Lebenserfahrung, JIN und SHARI für erlittene Schicksalsschläge, und die lebenden Partien für den Sieg im Überlebenskampf.
Unter dem Strich ist diese Definition also eine sehr positive, mutmachende Botschaft und mit dieser Interpretation lässt sich Bonsai im Westen selbst unter weltlichen, religionsfreien Aspekten verständlich machen, gleichzeitig aber auch eingrenzen: Bonsai als Symbol für das Leben an sich - mit all seinen Widrigkeiten, aber auch all seinen schönen Seiten.
In dieses Bild paßt der stolz aufgerichtete narben- und wundenfreie Ulmen- oder Buchen-Bonsai, der so aussieht, als habe er behütet und beschützt in einem Park aufwachsen dürfen, mehr aber noch das Symbol für eine von Naturgewalten geprägte und gebeutelte Lache oder Kiefer aus den Kampfzonen der Alpen, Dazwischen liegen die verschiedenen Nuancen. Sie alle sind Symbole für die Vielfalt des Lebens.
Im Kern ist das eine sehr positive und ermutigende Aussage, ob sie nun wie im Westen profan im Raum steht oder wie in Asien in die Inhalte der Religionen eingebettet ist. Letztlich ist es im Grunde immer diese eine Botschaft.
Betrachter spüren diese positive und lebensbejahende Aussage, die in jedem guten Bonsai steckt und über ihn auf uns wirkt. Darin liegt die Faszination, die diese kleinen Kunstwerke auf uns ausüben - als Wesen, die die Stürme des Lebens erlebt und überlebt haben. Glaubwürdig ist diese Botschaft aber erst dann, wenn es sich schon um schon ältere Bäume handelt. Das ist normal und zwingend, schließlich gilt unter uns Menschen nur der als weise und überzeugend, der erwachsen und lebenserfahren ist, also nachweislich das Leben zu meistern verstand.
Einem Jüngling, der gerade der Pubertät entwachsen ist, nimmt diese Lebenserfahrung niemand ab. Genauso unsinnig wäre es demnach, von einer Jungpflanze Bonsai-Qualitäten zu erwarten.
BONSAI - SYMBOL, NICHT KOPIE
Häufig sagen selbst engagierte Bonsai-Freunde, und noch häufiger viele Bonsai-Händler:
Einen Bonsai mache aus, daß er im kleinen so aussehen müsse, wie sein großer Bruder in der Natur.
Das scheint auf den ersten Blick naheliegend, ist aber bereits im Ansatz falsch. Es würde nämlich bedeuten, daß der kleine Eichen-Bonsai eine maßstabsgerechte Kopie der Eiche am Wiesenrain sein solle. Dieser Anspruch wird schnell zum Irrweg, denn mit gleichem genetischen Material, das darauf angelegt ist, im Original 20oder30 Meterhoch zu werden, läßt sich eine Miniaturisierung, eine maßstabsgerechte Kopie, nicht glaubwürdig und überzeugend erreichen.
Auch wenn bei Bonsai fälschlicherweise häufig von speziellen Züchtungen gesprochen wird, handelt es sich tatsächlich lediglich um um Zwergformen aufgrund bestimmter äußerer Einflüsse - bei exakt gleichem genetischen Ausgangsmaterial. Das ist ein wichtiger Unterschied, denn nur bei Genveränderungen ließe sich eine wirklichkeitsgetreue Kopie herstellen. Allein die Blätter einer Eiche lassen sich bei der Bon-sai-Qestaltung nicht so verkleinern, daß die Proportionen dem Original auch nur annähernd entsprechen -um nur das vordergründigste Beispiel anzuführen. Genauso ist es mit allen anderen Details. Setzt man sich darüber hinweg, ist das Ergebnis bestenfalls eine schlechte, äußerst dürftige Kopie, die dem Original nicht gerecht wird.
Hinzu kommt, daß es das Charakteristikum jeder - auch jeder gelungenen - Kopie ist, daß sie lediglich ein minderwertiges Duplikat des Originals darstellt. Ein Bonsai ist aber selbst ein Original und hat seinen eigenen Stellenwert. Also kann es in unserem Fall, bei dem Anspruch, den Bonsai erhebt, gar nicht das Ziel sein, lediglich Kopien zu schaffen.
Ziel jeder Bonsai-Gestaltung muß sein, aus charakteristischen Einzelelementen, die uns aus der Natur vertraut sind, ein eigenständiges Symbol zu schaffen. Ein Symbol, das stellvertretend für eine ganze Kategorie von Vorbildern steht: Den Prototyp aller Bäume, die unter vergleichbaren Umständen aufwachsen.
Dabei ist es nicht mehr wichtig, ob die Eiche in der Schale noch wie die Eiche in der Natur aussieht, sondern daß dieser Eichen-Bonsai -beispielsweise in windgepeitschter Form-dem Betrachter symbolhaft die Geschichte aller windgepeitschten Bäume erzählt.
Das Wort Symbol läßt sich zeitgemäß durch den Begriff "Picto-gramm" ersetzen.
Tatsächlich ist ein Bonsai so etwas wie ein Pictogramm - ein Bild, reduziert auf das Wesentliche, aber charakteristisch und eindeutig in seiner Aussage.
Denken Sie beispielsweise an die vielen Pictogramme auf internationalen Flughäfen, auf Bahnhöfen oder im Straßenverkehr. (Jedes Verkehrsschild ist ein Pictogramm.) Es sind Sprachgrenzen überschreitende, funktionierende Kommunikationsmittel.
Diese Funktion verlangt, daß sich ein Pictogramm auf das Wesentliche, das Charakteristische konzentrieren muß, auf das, was auch über das Detail hinaus den unterschiedlichsten Erscheinungsformen gemein ist. Ein Symbol (Pictogramm) muß zudem von der Struktur her einfach und klarsein, muß schnell und direkt kommunizieren.
Typische Pictogramme:
- piktogtamm.jpg (17.05 KiB) 7589 mal betrachtet
Beachten Sie die formale Strenge.
Genauso verhält es sich bei Bonsai im Vergleich zur Natur. Auch ein Bonsai muß einfach und klar strukturiert sein. Die größte Aufgabe des Gestalters liegt darin, bei jeder Pflanze das Wesentliche der Species und vor allem das charakteristische der Form zu erkennen, herauszuarbeiten und zu betonen. Nur so kann aus einerbeliebigen Pflanze ein Bonsai mit klarer Aussage werden.
Daß die Bonsai-Kunst, obwohl ihre Ursprünge in China liegen, gerade in Japan ihren formalen Höhepunkt erreichte, kommt daher, daß die Japaner schon immer Meister der Vereinfachung und des Formalismus waren. Deshalb hatte (und hat) auch heute noch alles, was sie gestalten, in hohem Maße symbolhaften Charakter.
Das liegt in der Geschichte begründet: Das Inselreich Japan war über Jahrhunderte, im Vergleich zu seinem Nachbarn China stets ein sehr armes Land. Was die Japaner nicht auf Kriegszügen erbeuteten, blieb ihnen im wesentlichen vorenthalten. Ihr Land gab es nicht her. Sie waren immer die armen Nachbarn.
Während die Chinesen sich mit prachtvoller Seide schmückten, war der Stoff der Japaner das schmucklose Leinen. Während der chinesische Hofstaat in prunkvollen Palästen residierte, lebte selbst der japanische Adel in vergleichsweise spartanischen Holzhütten. Ähnlich die japanische Küche im Vergleich zur chinesischen Kochkunst: Üppige Vielfalt und raffinierter Variantenreichtum in China, einfache, weitgehend naturbelassene Kost in Japan.
Aber Die Japaner machten mit dem ihnen eigenen Pragmatismus aus der aufgezwungenen Beschränkung eine Tugend. Sie ersetzten Prunk und Pracht durch Formalismus und Symbolismus.
Während die Chinesen ihre üppigen Seidengewänder mit auswuchemden Blumenornamenten bestickten, reduzierten die Japaner die gesamte Blumenwelt auf eine einzige, in höchstem Maße stilisierte schlichte Blüte. Mit diesem Symbol, das für alle Blüten und Blumen dieser Welt steht, schmückten sie dann ihr einfaches Leinentuch.
Das Ergebnis ist in seiner klaren Schlichtheit höchst beeindruckend, andererseits in der Aussage äußerst umfassend. Und gerade heute, in einer Zeit der Reizüberflutung auf allen Gebieten, werden wir von dieser Klarheit und Schlichtheit besonders angesprochen.
Es gibt weitere eindrucksvolle Beispiele: Denken Sie an die japanische Staatsflagge. Es gibt auf der ganzen Welt wohl keine symbolträchtigere Flagge als die mit der aufgehenden Sonne. Keine ist formal einfacher gestaltet, und keine ist schon auf den ersten Blick aussagekräftiger.
Oderdenken Sie an japanische Gärten. Dort schaffen sie es mit Kies und wenigen, aber bewußt gesetzten Steinen, ganze Landschaften mit rauschenden Wildbächen zu symbolisieren.
Wenn viele heute die japanische Kochkunst bewundern, dann in erster Linie wegen ihrer, auf das Wesentliche reduzierten Schlichtheit, der weitgehenden Naturbelassenheit und der einfallsreichen, symbolträchtigen Darreichungsform. Japanisches Essen ist (auch) ein optischer Genuß.
Der Symbolismus wird dabei auf die Spitze getrieben. Ein Beispiel: Höchsten Genuß bereitet den Japanern der Verzehr des - wenn falsch oder unachtsam zubereitet - äußerst giftigen Kugelfisches. Symbol für die Gratwanderung zwischen lebenserhaltender Nahrung und lebensvernichtender Vollere!.
Alles wird in der Erscheinungswelt der Japaner in bestechender Klarheit zum Symbol.
Mehr als andere haben es die Japaner auch verstanden, einen wichtigen Leitsatz der bildenden Kunst zu einem durchgängigen Bestandteil ihres Lebens zu machen:
In der Beschränkung, in der formalen Schlichtheit, liegt die wahre Größe.
Das haben sie auch bei Bonsai umgesetzt. Nirgendwo auf der Welt gibt es formal strengere und gleichzeitig symbolträchtigere, aussagestärkere Bonsai als in Japan.
DIE FORMALEN NOTWENDIGKEITEN
Damit ein Kunstwerk-ob Bild, Skulptur oder Bonsai - Symbolcharakter zeigt und so zum Träger einer Botschaft werden kann, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Der Mensch ist so geprägt, daß er sich nur mit dem ernsthaft auseinanderzusetzen bereit ist, das ihm (zumindest unterbewußt) vertraut ist. Andernfalls neigt erdazu, sich innerlich zu verweigern. Deshalb sind in allen Künsten und Kunstrichtungen bei der Gestaltung Begriffe wie Proportion und Harmonie so wichtig.
Proportion bezeichnet im Rahmen einer Gesamterscheinung das Verhältnis einzelner Elemente zueinander- bei Bonsai beispielsweise das Verhältnis von Stammstärke zu Stammhöhe. Oder: Der Anteil der Krone im Verhältnis zur Höhe. Und: Die Größe (Breite) der Schale zur Pflanzenhöhe. Proportion ist bis ins Detail das Maß aller Dinge. Das gilt für die unberührte Natur wie für alles von Menschenhand Geschaffene.
Harmonie entsteht durch gelungene Proportionen. Harmonie ist im Gegensatz zur Proportion selbst kein absoluter, meßbarer Wert. Harmonisch, das heißt, angenehm und gefällig, erscheint uns Menschen in erster Linie das, was uns von Geburt an vertraut ist. Unser Harmonieverständnis wird vom Unterbewußtsein gesteuert. Alle Erscheinungsformen in der Natur - vom Gänseblümchen bis zum Spiralnebel im Weltall - sind von bestimmten Gesetzmäßigkeiten geprägt.
Sie haben sich in unserem Unterbewußtsein festgesetzt und -wenn nun künstlich Geschaffenes in seinem Aufbau mit diesen unbewußt gespeicherten Gesetzmäßigkeiten deckungsgleich ist - wirkt es auf uns vertraut und harmonisch.
Schon im Mittelalterhaben kluge Köpfe die formalen Ordnungsprinzipien in der Natur analysiert und daraus Gestaltungsregeln abgeleitet. So zum Beispiel die Forderung nach dem Goldenen Schnitt. Es ist eine in der Natur immer wiederkehrende Gesetzmäßigkeit, die sich deshalb auch tief in unser Unterbewußtsein eingegraben hat.
Der Goldene Schnitt bezeichnet das Teilungsverhältnis einer Strecke in zwei ungleiche Abschnitte. Dieses Verhältnis stellt ideale Proportionen dar und bewirkt ein Höchstmaß an Harmonie.
Je häufiger und konsequenter dieserGoldene Schnitt in der Vertikalen oder der Horizontalen einer Gestaltung auftaucht, desto eher findet das Werk die emotionale Zustimmung des Betrachter. Das gilt überall in der Kunst, in allen Ausprägungen. Die Berücksichtigung dieser Grundregeln ist letztlich die Basis, auf der Kunst entsteht. Hinzu kommen dann die Persönlichkeit, die Individualität des Gestalters und die zu vermittelnde Botschaft. Beides käme jedoch nicht zum Tragen, wenn die Einhaltung der beschriebenen Gesetzmäßigkeiten den Betrachter nicht zur Auseinandersetzung anregen würde. Beispiele für den Goldenen Schnitt in der Vertikalen einer Gestaltung
- schnitt.jpg (19.27 KiB) 7589 mal betrachtet
BONSAI WELTWEIT
Die beschriebenen Gesetzmäßigkeiten gelten auf der ganzen Welt gleichermaßen. In Asien wie in Europa oder Amerika. Und dennoch: Das Erscheinungsbild von Bonsai muß nicht überall auf der Welt gleich sein, denn die formalen Gestaltungsregeln sind lediglich ein (allerdings unverzichtbarer) Einstieg. Darüber hinaus wird das Erscheinungsbild von Bonsai auch von anderen Aspekten geprägt: Zum Beispiel vom speziellen Klima einer Region und - daraus resultierend- von der unterschiedlichen Vegetation. Aber nicht zuletzt auch von der unterschiedlichen Mentalität der jeweiligen Völker.
In früheren Jahren gab es unendliche Diskussionen darüber, ob Europa seinen eigenen Bonsai-Stil entwickeln könne, solle oder müsse. Ich denke, die Frage beantwortet sich von selbst. Man muß unterscheiden zwischen formalen Grundforderungen (die sind auf der ganzen Welt gleich und treffen auf jeden Bonsai zu) und regionalen Besonderheiten in bezug auf das verwendete Aus-gangsmaterial (zum Beispiel: Heimische Pflanzen). In Asien, speziell in Japan, wird das Erscheinungsbild von Bonsai zudem auch heute noch stark von übergreifenden Botschaften aus den Naturreligionen geprägt, wogegen im Westen eher eine individuellweltliche Aussage überdie Form verdeutlicht wird. Eine Gemeinsamkeit liegt dann wieder in der positiven, lebensbejahenden Philosophie. Da der Baum überall auf der Welt Symbol für das Leben ist, eignet sich nichts mehr als der kleine Baum in der Schale als Hoffnungsträger im Glauben an die Allmacht und Kraft der Schöpfung.
Der sich üppig entwickelnde und im feuchtwarmen Klima geradezu explodierende und alle Formen sprengende Ficus kann in Südostasien, auf Hawaii und vielleicht auch noch in Italien oder Spanien ein wahrer Bonsai im zuvor beschriebenen Sinn sein, weil neben den klimatischen Grundvoraussetzungen die dort vorherrschende Lebensauffassung die Botschaft von ausschweifender Lebensfreude versteht. In England, Deutschland oder der Schweiz kann diese Pflanzenart aber allein aus klimatischen Gründen ihre eigene Typik gar nicht voll entwickeln und damit ihre Botschaft auch nicht vermitteln. Bestenfalls erzählt mir dieser mühsam auf der Fensterbank dahinvegetierende und ums Überleben kämpfende Kümmerling, daß es ihm verdammt schlecht geht und daß er gar keine Chance hat, ein artgerechtes Leben zu führen.
Das kann natürlich auch als eine Art Botschaft verstanden werden, ist aber wohl eher eine Art Hilferuf. Zur Bonsai-gerechten Botschaft fehlt die positive, mutmachende Grundtendenz. Um wieviel schlimmer steht es dann um andere, weniger robuste tropische odersubtropische Pflanzen?
Sie können in ihrer Heimat sicherlich Bonsai im klassischen Sinne sein, aber in unseren Breiten, unter total unterschiedlichen klimatischen Verhältnissen, beileibe nicht.
Abgesehen davon: Übermittler und Empfänger der Botschaft liegen nicht auf gleicher Wellenlänge. Der lebensfrohe Hawaiianer hat andere Lebensideale als ein grüblerischer Mordeuropäer. Stammt das Medium für den Transport einer Botschaft aus einem fremden Lebens-oder Kulturkreis, ist es, als wolle man in einer unverständlichen Sprache miteinander kommunizieren.
In letzter Konsequenz heißt das: Eigentliches Ziel bei der Beschäftigung mit Bonsai muß die Arbeit mit heimischem Material sein.
Nun sind bei uns, beispielsweise in Deutschland oder der Schweiz, die Übergänge fließend, denn viele Regionen Japans entsprechen von ihren klimatischen Voraussetzungen her durchaus den bei uns vorherrschenden Verhältnissen. Viele Pflanzen, die dort wachsen, gedeihen auch hier, und auch die Mentalität der Bewohner zeigt in ihren Charakteristika durchaus Berührungspunkte.
Natürlich spricht die Tatsache, daß eine jahrhundertealte Tradition im Umgang, dem Erhalt und der Perfektionierung dieser kleinen Wunderwerke der Natur, fehlt, weiterhin für den Import japanischer Bäume, zumindest bei hochwertigen Exemplaren - Bonsai, die das halten, was der Name verspricht. Auch bei uns gibt es zwar schon hervorragend gestaltete Bäume, aber verständlicherweise muß ihnen noch - zeitbedingt - die letzte Reife fehlen. Und das wird auch noch einige Jahre so bleiben.
BONSAI - WERT UND PREISE
In einer materialistisch geprägten Welt gilt der Preis als sicheres Indiz für den Wert eines Werkes.
Worin aber liegt der Wert eines Bonsai? Für herausragende Bäume werden in Japan Hundertausende oder gar Millionen (Dollar) gezahlt. Selbst in Amerika und auch schon in Europa legen Sammler beträchtliche Summen für den kleinen Baum in der Schale auf den Tisch.
Am Materialwert kann es nicht liegen. Jeder junge Apfelbaum im heimischen Garten ist in dieserBezie-hung weit mehr wert.
Der Wert eines Bonsai liegt ausschließlich in seiner Faszination, die wiederum auf formaler Perfektion, Reife durch Alter und inhaltlicher Ausdrucksstärke beruht. Ähnlich in der Malerei: Auch da ist der Materialwert von Leinwand und Farbe gering. Der spätere Wert beruht allein auf dem handwerklichen und formalen Können des Meisters und in der Prägnanz einer zeitlosen Aussage. Wird dieser Wert erkannt und entsprechend gewürdigt, entsteht ein angemessener Preis.
Daß hohe Preise gezahlt werden, setzt zudem funktionierende Marktstrukturen voraus. Erst wenn eine Kunstform in einer Gesellschaft Fuß gefaßt hat, entwickeln sich tatsächlich angemessene Preise. Bei uns hat das noch nicht im erforderlichen Maße stattgefunden.
Dem Bonsai-Handel könnte es allerdings heute erheblich besser gehen, wenn erden wahren Bonsai-Gedanken stärker gepflegt und nicht geholfen hätte den Markt mit kümmerlichen Schein- und Pseudo-Bonsai zu überschütten. Pflänzchen, die sich nur den Namen ausgeliehen haben, einen Manien, der leider nicht gesetzlich geschützt werden kann.
Stattdessen aber wurde der Markt von Geschäftemachern mit Massenware überschwemmt. Die Qualitätsschraube drehte sich beängstigend schnell nach unten. Trotzdem: Diese Praxis funktionierte sogar einige Zeit, denn viele ahnungslose Kunden ließen sich allein von der exotischen Bezeichnung blenden.
Die Folge: Alles, was klein, ein bißchen grün war, und in eine bunt glasierte Schale paßte, galt als Bonsai.
So ist die Bezeichnung Bonsai zu einem Schimpfwort verkommen. Denken Sie nur an den, mittlerweile klassischen Ausspruch vom geistigen Bonsai, mit dem Franz-Josef Strauß seine politischen Gegner belegte.
Alles, was klein, unterentwickelt oder verkrüppelt ist, wird als Bonsai-typisch charakterisiert. Welch eine fatale Entwicklung!
In der Sache wirklich engagierte Händler standen dieser Entwicklung hilflos gegenüber. Bonsai verkam zum Wegwerf-Massenartikel. Die Sammler aus der Anfangszeit waren inzwischen für den Bonsai-Gedanken verloren. Ihnen war der Spaß vergangen. Kein Wunder. Kunst hat, wie gesagt, wenig mit Material- und Nutzwert zu tun, und Sammler suchen -auf allen Gebieten - bei ihrer manchmal beträchtlichen Investition in erster Linie Image- und Prestigegewinn. Wo aber soll der herkommen, wenn einer, der gerade 10 000 Mark oder mehr für einen schönen Bonsai ausgegeben hat, von seinen Nachbarn verspottet wird? Schließlich habe der doch selbst einen Bonsai, nur: Er hat einen für 19,95 aus dem Baumarkt, aber dafür sogar noch mit echter Bonsai-Plombe.
Ist der Betroffene dann kein selbstbewußter, über den Dingen stehender Kenner, wird ersieh in seiner Verunsicherung fast zwangsläufig von Bonsai wieder abwenden. Solche Geschehnisse bremsen natürlich eine gesunde, zukunftsorientierte Marktentwicklung. Dabei hätte Bonsai etwas besseres verdient.
Dennoch steckt in dieser Idee soviel Eigendynamik, daß einem um die Zukunft nicht bange sein muß. Hoffnungsträger sind die vielen engagierten Hobbyisten, durch die der Bonsai-Gedanke in seiner eigentlichen Bedeutung irgendwann auch in unserer Gesellschaft Fuß fassen wird'. Dann wird auch der Wert von Bonsai - im ideellen wie materiellen Sinn -wieder steigen.
BONSAI FÜR JEDERMANN?
Auch wenn Bonsai aufgrund der wachsenden Monotonie im Alltagsleben, aber auch wegen des steigenden Natur- und Umweltbewußtseins in unsere Zeit und unsere Gesellschaft paßt-ein Hobby für jedermann wird es wohl nicht werden. Dafür gibt es Gründe.
Erstens: Die Beschäftigung mit Bonsai ist zeit- und arbeitsintensiv. Ein Bäumchen läßt sich nicht nach Belieben für Wochen oder Monate in eine Schublade stecken wie etwa eine Briefmarkensammlung oder Leinwand und Farbe. Ein Baum in der Schale erfordert tägliche Aufmerksamkeit und Pflege. Und zur Ferienzeit kann ein Bonsai eine ähnliche Belastung bedeuten wie ein Haustier.
Zweitens: Bonsai muß zwar nicht unbedingt teuer sein, aber-wie jedes andere intensiv betriebene Hobby - ist es auch nicht gerade billig. Gute, fertige Bäume kosten ihr Geld. Zukunftsträchtiges Ausgangsmaterial für Eigengestaltungen hat auch seinen Preis, eine geeignete Schale ebenfalls. Hinzu kommt das Spezialwerkzeug. Alles in allem: Kein billiges Vergnügen.
Ein weiterer Aspekt: Der kleine Baum in der Schale gehört nach draußen an die Luft, braucht wie seine großen Brüder und Schwestern Wind, Wetter, Regen, Schnee und Sonne. Aber nun hat nicht jeder potentielle Bonsai-Freund einen Garten, eine Terrasse oder wenigstens einen Balkon. So wird Bonsai wegen dieser oft fehlenden Voraussetzungen nur einem kleinen Teil unserer Gesellschaft vorbehalten bleiben.
Aber es gibt auch Lösungen für die, die über keinen Balkon und keine Terrasse verfügen: In Japan stellt sich dieses Problem nämlich noch viel deutlicher als bei uns. In Städten wie Tokio, Osaka oder Nagasaki gibt es weit weniger Balkons oder Dachgärten. Und trotzdem leben die Bürger mit Bonsai - nur eben auf andere Art.
Viele Bäume bleiben nach dem Kauf beim Händler, werden dort optimal versorgt und gepflegt. Der Besit-zerdes Baumes hat jederzeit die Möglichkeit, ihn zu besuchen, vor ihm zu verweilen, ihn auf sich einwirken zu lassen, sich an ihm zu erfreuen und in Ruhe vor ihm zu meditieren. Natürlich kann er ihn vor Ort selber weitergestalten, genauso kann er ihn zu besonderen Anlässen für einige Tage zu sich ins Haus holen. Das verträgt auch jeder Outdoor.
Warum sollte ein solches System nicht auch bei uns funktionieren?