In fünf Stunden 50 - Die Arbeit an Totholz ohne Maschine

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Reiner
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In fünf Stunden 50 - Die Arbeit an Totholz ohne Maschine

Beitrag von Reiner »

Von Karl Thier (eingestellt von Reiner Vollmari)

In fünf Stunden 50 Jahre älter auszusehen, diesen Zeitraffer habe ich an einem abgestorbenen Stamm einer Pinus nigra durch Bearbeitung des Totholzes durchgeführt.
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Immer wieder fasziniert mich beim Betrachten von natürlich verwittertem Totholz, dass die Holzmaserungen in verschiedenen Höhen und Tiefen genau zu erkennen sind und genau das ist das Ziel meiner Arbeit. Es war mir immer schon wichtig, Jin und Shariarbeiten so natürlich wie möglich aussehen zu lassen. Aber erst seit ich die Fräsmaschine beiseite gelegt habe und die Totholzbearbeitung von Hand ausführe, gelingen mir diese Totholztechniken immer besser und sehen natürlicher aus.

Die Werkzeuge zur Bearbeitung

Um eine glaubwürdige Arbeit leisten zu können, ist es natürlich sehr wichtig, das richtige und vor allem gutes Werkzeug zu verwenden. Ich bevorzuge dafür einen Satz japanisches Jinwerkzeug und Holzmeißel, eine Jinzange aus rostfreiem Stahl, mit deren Spitze man die Holzfaser am besten fassen kann, eine Klappsäge, eine Bürste mit Kunststoff- und verschiedene weitere mit Messingborsten sowie einen Lötbrenner.
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Der erste Arbeitsschritt

Die Borke bei einer alten Pinus nigra kann sehr stark sein, bei meiner ist sie am Ansatz des abgestorbenen Stammes ca. zwei cm dick. Bevor ich mit der Bearbeitung am Holz beginnen kann, muss ich die starke Borke entfernen. Dazu verwende ich einen scharfen Holzmeißel, mit dem ich ein cm oberhalb der Substratoberfläche rund um den Stamm die Borke durchtrenne. Danach löse ich mit dem Holzmeißel die Borke vom Stamm, indem ich den Meißel von oben zwischen Rinde und Holz ansetze und so die Borke abschlage.

Meine Überraschung war sehr groß als ich bemerkte das sich unter der dicken Borke schon Vorarbeiter beim Holz betätigten. Ich habe sechs ziemlich dicke, weiße Bockkäferlarven entfernt, die sich zwischen der Rinde und im Holz befanden.

Der nächste Schritt ist, das verbliebene Kambium vom Holz abzuschaben, um die Holzmaserung besser zu erkennen.
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Grobe Vorarbeit am Totholz

Die Voraussetzung dafür, dass der bearbeitete Totholzstamm einer natürlichen Verwitterung ähnelt, ist das sorgfältige Abziehen der Holzfasern. Damit sich die Holzfasern am Ende des Stammansatzes auch abtrennen lassen, schlage ich vor dem Abziehen rund um den Stammansatz eine Trennkerbe mit dem Holzmeißel. Mit der Jinzange fasse ich nun die obere Holzkante und ziehe in Richtung Stammansatz eine gröbere Holzfaser ab. Um die Holzfaser so lang wie möglich abzuziehen, rolle ich sie über die Jinzange ab. Man darf keine zu starken Fasern erwischen, sonst reißen sie zu früh.
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Diesen Vorgang wiederhole ich rund um den kompletten Stammstumpf.
Nun kürze ich den Stumpf mit einem schrägen Schnitt auf die endgültige Größe und höhle ihn mit einem halbrunden Holzmeißel grob aus.

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Die Verfeinerungsphase

Der Stammstumpf ist nun grob vorgearbeitet und man sieht die einzelnen Holzfasern, aber um das Ganze natürlicher aussehen zu lassen, müssen die einzelnen Aststümpfe betont und die verschiedenen Ebenen der Maserung fein ausgearbeitet werden.
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Dieses erreiche ich, indem ich mit einer kurzen, scharfen Klinge aus dem Jinwerkzeug einzelne Holzfasern vom Stumpf abhebe und abziehe. Es gibt auch Stellen, z. B. am Kernholz, wo es kaum möglich ist, einzelne Holzfasern zu fassen. In diesem Fall verwende ich eine Art Schabkralle, mit der es mir möglich ist, entlang der Holzmaserung Rillen zu ziehen. Dabei achte ich darauf, dass es sowohl tiefere als auch höhere Rillen werden. Es ist ein sehr zeitaufwendiger Vorgang, aber es zahlt sich am Ende aus.

Das Abbrennen

Nachdem die Schnitzarbeit erledigt ist, sieht der Stumpf noch immer nicht aus, als sei er verwittert. Es stehen viele feine Holzfasern ab und die Holzmaserungen sehen zu kantig aus.

Nun kommt der Lötbrenner zum Einsatz. Bei diesem Brenner kann man die Flamme so regeln, so dass er schärfer oder weicher brennt. Ich wähle die scharfe Einstellung, so wird die Flamme richtig heiß. Das ist deshalb wichtig, weil ich damit punktgenau das Holz ankohlen kann. Als Erstes brenne ich die abstehenden Holzfasern ab und anschließend die wichtigen Stellen, das sind Enden von Aststümpfen und hohe Kanten sowie das Kernholz.
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Durch das Abbrennen werden vor allem die weicheren Holzschichten ausgebrannt und die härteren kommen besser zur Geltung. Das Holz wird dadurch auch gehärtet und resistenter. Nach Beendigung der Brennarbeit sieht der Holzstumpf sehr verkohlt aus, aber noch immer nicht verwittert.
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Bearbeiten mit der Bürste

Der Holzstumpf wird jetzt mit der Messingbürste bearbeitet, damit der bearbeitete Totholzbereich sauber wird. Man muss bei der Nachbearbeitung mit der Bürste darauf achten, keine Stahlborsten zu verwenden, sonst verbürstet man die feine Holzmaserung, da die Stahlborsten meist sehr hart sind. Ich beginne mit einer Messingbürste, die oben etwas aufgebogen ist. Damit kommt man auch an schwierigere Stellen heran.
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Gebürstet wird immer entlang der Holzmaserung von unten nach oben und rund um den Stumpf. Bürstet man quer über die Maserung so verbürstet man die feinen Holzstrukturen. Der Stumpf wird außen so lange gebürstet, bis die verkohlten Bereiche sauber sind und die Holzstrukturen deutlich zu erkennen sind.

Nun nehme ich eine etwas gröbere Messingbürste und reinige den ausgehöhlten Teil des Stumpfes. Dort ist die Maserung nicht so detailliert wie außerhalb und deshalb nicht so heikel.

Die Vollendung

Die Bürstarbeit ist ein wichtiger Teil der Bearbeitung des Totholzes und sollte dementsprechend sorgfältig ausgeführt werden. Anschließend reinige ich den Stumpf vom feinen Kohlen- und Holzstaub mit einem Pinsel oder einer Kunststoffbürste. Jetzt ähnelt der Holzstumpf bis auf die Farbe schon eher einer natürlichen Verwitterung. Die Holzmaserung ist bis ins Detail an vielen Stellen zu erkennen und die Kanten sind glatt und rund abgeschmirgelt, wie wenn Wind, Wetter und auch die Bockkäferlarven an dem toten Stammstupf genagt hätten.

Um dem Ganzen noch die ausgebleichte Farbe zu verleihen, die ein verwitterter Stamm in der Natur hat, verwende ich das allseits bekannte Jinmittel. Zuvor feuchte ich den Stammstumpf kräftig an, damit das Jinmittel gut in das Holz einziehen kann. Nachdem das Jinmittel trocken ist, sieht das Holz nicht so übermäßig weiß aus, denn die durch das Abbrennen verbliebenen schwarzen Stellen am Holz haben die sonst weiße Farbe des Jinmittels grau gefärbt.

Jetzt ist meine Arbeit beendet und man könnte beim ersten Blick schon meinen, es wäre ein natürlich verwitterter Stammfuß, der ca. 50 Jahre gebraucht hat, um so auszusehen. Ich schaffte die Arbeit in ungefähr 5 Stunden.

Natürlich maße ich mir nicht an, wie die Natur arbeiten zu können, das schafft keiner. Aber die Natur so gut wie möglich zu imitieren, darum bemühe ich mich bei meinen Totholzarbeiten, so gut ich im Stande bin. Urteilt selbst!
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