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Kräfteverteilung am Bonsai

Verfasst: 13.05.2016, 17:06
von Karl T.
Von Karl Thier

Um einen Bonsai optimal kultivieren zu können, ist es notwendig die Kräfteverteilung am Bonsai so einzusetzen, dass ein Optimum an Zuwachs an den richtigen Stellen erreicht wird.

Die meisten Bäume und Sträucher wollen in die Höhe wachsen und groß werden, man nennt dieses Phänomen apikale Dominanz. Das ist also genau das Gegenteil dessen, was der Bonsaienthusiast von einem Bonsai möchte. Es gibt auch Bäume oder Sträucher, die basal dominant sind, wie z.B. die Quitte oder der Cotoneaster, die also eher in die Breite als in die Höhe wachsen. Schließlich gibt es noch Bäume, die entweder apikal (hoch) oder basal dominant (breit) wachsen, wie z.B. der Cornus mas oder die Birke.
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Um einen Bonsai gezielt zu lenken, ist es notwendig die natürlichen Anlagen des jeweiligen Baumes genau zu kennen, um ihn gezielt steuern zu können. Für die Gestaltung des Bonsais wäre es am besten, die natürliche Wuchsform der jeweiligen Baumart beizubehalten, könnte man meinen. Bis zu einem gewissen Teil ist das auch richtig, aber man kann durchaus die natürliche Wuchsform eines Baumes umleiten.

Wächst ein Baum von Natur aus gerade, so ist es kein Problem ihn in frei aufrechter Form zu gestalten, oder einen waagrechten Wuchs aufzurichten. Dagegen wird es problematisch, einen aufrechten Baum als Kaskade zu gestalten. Die meisten Bäume die apikal (hoch) wachsen, mögen es nicht, wenn man ihren Saftfluss nach unten umlenkt. Gerade Laubbäume, die man als Kaskade oder Halbkaskade gestalten möchte, stellen nach einiger Zeit ihre Zusammenarbeit ein.
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Es gibt aber auch nach solchen extremen Umgestaltungen die Möglichkeit, dass sich der Baum einigermaßen erholt. Um dem Baum dann wieder Vitalität zukommen zu lassen, sollte er ungehindert durchtreiben dürfen. Es würde dem Baum sehr helfen, wenn er dann so positioniert wird, das der tiefste Teil zwischenzeitlich der höchste ist.

Um einem Baum eine zugedachte Form zu geben, ist es unbedingt notwendig, dass der Baum sehr kräftig ist. Deshalb sollta man den Baum vor einer Gestaltung wenigstens eine Vegetationsperiode ungeschnitten durchtreiben lassen.

Um eine apikale Tendenz zu umgehen, schneidet man immer erst das oberste Drittel des Baumes, dass meist das stärkste ist. Einige Wochen später schneidet man das mittlere Drittel und gegen Ende der Vegetationsperiode oder im darauffolgenden Frühjahr wird der untere Teil des Baumes geschnitten.

Ähnlich funktioniert bei den Kiefern das Zupfen der Nadeln. Auch die werden, je nach Wuchskraft der oberen, mittleren, inneren und unteren Triebe, etwas mehr oder weniger entfernt.

So werden die Kräfte des Baumes gleichmäßig verteilt und am Ende sollten alle Teilbereiche des Baumes gleichstark wachsen.
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Laub ist Energie

Je mehr Blätter oder Nadeln ein Ast besitzt, umso mehr Energie wird produziert. Mit dieser Energieumwandlung (Photosynthese) von Licht und Wasser in Stärke, ernährt sich der Baum. Zunächst einmal braucht er die Energie für das Wachstum, um Kraft für den jeweiligen Ast zu haben, wobei überschüssige Kraft in andere Teile des Baumes, in den Stamm und den Wurzeln geleitet wird.

Das bedeutet aber auch, dass ein Ast mit viel Laub oder Nadeln schneller stärker wird und mehr Knospen erzeugt als ein wenig belaubter Ast. Durch Steuern der Laubmasse kann man also einen Ast gezielt entwickeln.

Umgesetzt heißt das, dass man um ein Gleichgewicht herzustellen, Laub im oberen Teil des Baumes stärker reduziert und im unteren Teil des Baumes wenig bis kein Laub reduziert, sondern soviel Grün wie möglich belässt.

Opfertriebe

Wenn man die Mechanismen des Wachstums kennt, ist es möglich die Entwicklung eines Bonsais zu beschleunigen.

Um einen Stamm oder Ast in wenigen Jahren dicker werden zu lassen, verwendet man einen oder mehrere Opferäste. Ein Opfer- oder Mastast darf ungehindert wachsen. Während dessen pflegt man die anderen Äste normal weiter.

Je mehr Äste an einem Baum ungehindert wachsen dürfen, umso stärker wird der Stamm. Besser ist es, wenn der Baum in dieser Zeit nicht in einer Schale steht, sondern im Anzuchtfeld frei wachsen darf.

Ist die beabsichtigte Stärke des Stammes erreicht, so werden die Opferäste zur Gänze abgeschnitten, da sie sich durch ihre Verdickung für die Bonsaigestaltung nicht mehr eignen.
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Der Trick mit Opferästen einen dickeren Stamm zu bekommen, funktioniert aber nur dann, wenn der oder die Opferäste im unteren Teil des Baumes wachsen. Immer unter einem Ast wird der Stamm dicker. Lässt man im Kronenbereich einen Ast ungehindert wachsen, so wird dadurch die Verjüngung des Stammes verschlechtert.

Auch sollte ein Opferast nicht auf der gleichen Höhe wie ein Kulturast wachsen. Sonst verdickt sich der Stamm in diesem Bereich zu sehr und ist nicht mehr zu gebrauchen.

Nach diesem Prinzip werden in Japan besonders die Ahornbäume herangezogen.

Äste und der Energiefluss

An der Aststärke kann man erkennen, ob viel oder wenig Energie durch den Ast geflossen ist. Je stärker ein Ast ist, umso mehr Energie ist in der Vergangenheit durch den Ast im Baum verteilt worden.

Es ist für den Baum eine große Umstellung, wenn man mehrere Opferäste gänzlich abschneidet, denn die Äste sind ein Teil der Infrastruktur des Baumes. Sie leiten die gewonnene Energie (Kohlenhydrate) über die Leitungsbahnen im Bast und verteilen sie im ganzen Baum. Je mehr Opferäste man dem Baum herausschneidet, umso schwieriger wird für den Baum die Verteilung der Energie.

Bonsai gestalten ist immer eine sehr zeitintensive Arbeit. Daher sollte man sich auch die Zeit nehmen und dem Baum mehr Zeit für die Gestaltung geben.

Behutsamer einen oder mehrere Äste stärker werden zu lassen und damit auch den Stamm, kann man auch mit folgender Methode: Man lässt die Spitze eines Astes ungehindert wachsen und der hintere Teil wird normal weiter kultiviert.
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Hat der Ast die gewünschte Stärke erreicht, so schneidet man ihn auf einen hinteren Zweig zurück. Bei dieser Methode muss man darauf achten, dass der Ast nicht abrupt an der Schnittstelle endet, sondern sich bis in das neue Astende verjüngt.

Man arbeitet bei der Bonsaigestaltung eigentlich immer gegen die Natur des Baumes. Darum sind wir geradezu verpflichtet, alle Maßnahmen die dazu führen, einen Baum zu gestalten, so verträglich und schonend wie möglich durchzuführen. Der Baum wird es seinem Besitzer sicher danken.