Urban Yamadori - Ein billiger Ersatz?

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Werner
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Urban Yamadori - Ein billiger Ersatz?

Beitrag von Werner »

Urban Yamadori - eine interessante Alternative

Nicht jeder hat die Möglichkeit, in den Bergen oder an anderen natürlichen Extremstandorten Yamadori zu sammeln. Aber auch Stadtmenschen haben eine gute Quelle für schönes Bonsai-Rohmaterial vor der Haustür. Oft wird angenommen, Urban Yamadori sei nur ein billiger Ersatz für "echte". Und in einem Punkt stimme ich dem zu, es ist billig!


Vorteile von Urban Yamadori

Die einzigen Kosten, mit denen man rechnen muss, entstehen durch die meist erforderliche Neupflanzung einer Jungpflanze und deren Preis liegt meistens deutlich unter der 50-Eurogrenze.
Einen Urban Yamadori kann man mit etwas Glück in seinem direkten Umfeld entdecken. Meistens stehen sie in Pflanzkübeln, Holzcontainern oder in einer Grünanlage, mit Beton außen herum, so dass die Ausbreitung der Wurzeln eingeschränkt ist. Sprich, man hat meistens einen kompakten Wurzelballen und deshalb oft auch ein passables Nebari.
Der nächste Vorteil ist, dass die Bäumchen meistens regelmäßig zurückgeschnitten werden, das Grün deshalb auch ziemlich kompakt ist und die Äste meistens relativ günstig ausgerichtet sind, da man bei Kübelpflanzen eher das vertikale, als das horizontale Wachstum wegschneidet.
Bild - Leo21
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Ein weiteres Argument für Urban Yamadori ist dann noch das der Akklimatisation, denn die ist oft nicht so langwierig wie bei Yamadori aus der Natur. Meistens sind die Bäume im Kübel bereits gut an das Leben in einem Gefäß gewöhnt.
Wenn sie jahrzehntelang Autoabgasen, Salz im Winter und extremen Temperaturen trotzen müssen (da sie in der Stadt gewöhnlich von viel Beton umgeben sind, der sich stark aufheizt und abkühlt und alles in allem kontinentalere Bedingungen herrschen), sind die Bäumchen jedoch nicht immer in gutem Zustand und oft sehr dankbar für den Umzug.
Oft sind die Bäumchen in solchen Kübeln bereits mehrere Jahrzehnte alt, viele wurden vor einem Gebäude gepflanzt, als dieses errichtet wurde, so dass es sich um beeindruckende Exemplare handeln kann.


Auffinden von geeignetem Material

Doch wonach sollte man Ausschau halten, wo sollte man suchen?
Meistens ist es sinnvoller, nicht direkt im Zentrum zu suchen, wo oft umgebaut wird, sondern an etwas abgelegeneren Orten. Die Faustregel also lautet: vor alten Fassaden stehen alte Bäumchen!
Es ist ratsam, nach Bäumchen in Kübeln oder ähnlichem zu suchen, aber auch in vernachlässigten städtischen oder privaten Beeten kann man fündig werden.
Interessant sind oft auch verlassene Bahnsteige, Firmengelände und ähnliches.
Wichtig ist, darauf achten, dass die Bäumchen bei guter Gesundheit sind. Gerade für Bonsai interessante Wacholder sind häufig vom Birngitterrost befallen und zwar in der Regel so stark, dass sie aufgrund dessen unbrauchbar sind. Deswegen sollte man unbedingt die Äste und Zweige nach den verräterischen braunen Noppen oder im Frühjahr nach orangefarbenen Fruchtkörpern des Pilzes absuchen.
Es gibt Wacholderarten und -sorten, die weitgehend resistent gegen den Birnengitterrost sind und andere, die eine extreme Anfälligkeit zeigen. Man sollte sich informieren, welche Arten dies sind und vor dem Ausgraben den begehrten Baum möglichst genau bestimmen.
Bild - Heike_vG
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Bergung geeigneten Materials

Wenn man das Bäumchen seiner Wahl gefunden hat, ist es notwendig, vom Eigentümer die Erlaubnis zum Ausgraben einzuholen. Manchmal ist es nicht ganz einfach, die Eigentumsverhältnisse zu klären, was beinahe detektivische Fähigkeiten erfordern kann. Erfahrungsgemäß stimmen die meisten Besitzer solcher überalterten Kübelbepflanzungen dem Ausgraben gerne zu, wenn man ihnen eine schöne Neubepflanzung oder einen Geldbetrag hierfür anbietet.
Beim Bergen eines städtischen Yamadori sind einige Dinge zu beachten.
Da prinzipiell für das Ausgraben aller Bäume dieselben Regeln gelten, werden hier vornehmlich die Kniffe behandelt, die speziell für das Ausgraben von Pflanzen aus Gefäßen notwendig sind.
Allgemein ist es wünschenswert, dass man in der Nähe ein Auto oder ähnliches abstellen kann - Parkplätze sind in einer Stadt zu Geschäftszeiten bekanntlich eine Seltenheit.
Der Wurzelballen eines Baumes, der seit Jahrzehnten in einem Kübel steht, ist meistens derart von Wurzeln durchwachsen, dass er sehr fest in diesem verankert ist.
Als Werkzeug benötigt man bei kleineren Bäumen nur eine Gartenschaufel, eine Säge und eine Heckenschere, bei größeren Kaliber jedoch auch Spaten, Brechstange oder anderes schweres Gerät.
Der Wurzelballen wächst wie bei jeder Topfpflanze, das heißt, die meisten Wurzeln winden sich an der Gefäßwand entlang, sobald sie diese erreichen.
Deshalb ist darauf zu achten, möglichst wenig von diesen Wurzeln zu zerstören, weil sie erfahrungsgemäß einen Großteil der Feinwurzeln beinhalten.
Zuerst sollte man kontrollieren, ob Wurzeln durch den Topf in den Untergrund wachsen. Falls dem so ist, werden diese gekappt. Manchmal müssen auch Äste entfernt werden, wenn sie einen Zugang zum Ballen unmöglich machen.
Bild - Heike_vG
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Ansonsten sticht man zuerst mit der Schaufel bzw. dem Spaten am Rand des Kübels entlang. Dabei ist darauf zu achten, dass man auch sicher an den Gefäßboden stößt. Anschließend versucht man, den Baum aus dem Kübel zu heben. Falls dies nicht möglich ist, ist man gezwungen, einen (möglichst schmalen) Graben um das Bäumchen herum anzulegen, damit man es bewegen und die Wurzeln an der Ballenunterseite erreichen kann. Während dieser Prozedur sollte man
wiederholt versuchen, den Baum sanft hin- und her zu bewegen, um zu sehen, ob er sich bereits von der Gefäßwand löst und wo er noch von starken Wurzeln festgehalten wird, die man durchtrennen muss.
Bild - Heike_vG
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Nach der Entnahme aus dem Kübel sollte der Wurzelballen in einen Plastiksack oder ähnliches eingewickelt werden, da die wichtigen Feinwurzeln schnell austrocknen.
Bild - Heike_vG
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Nach dem Ausgraben ist es besonders wichtig, den Platz zu säubern, um die freundlichen Menschen nicht zu verärgern, die das Ausgraben des Baums erlaubt haben. Daher ist es ratsam, einen Kehrbesen dabei zu haben, Erde und abgeschnittene Äste/Wurzeln in einen Müllbeutel oder ähnliches zu legen und mitzunehmen.
Bild - Heike_vG
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Anschließende Pflege

Wenn man ein Bäumchen ausgegraben hat, wie geht man weiter vor?
Wichtig ist zu bedenken, dass sich die Pflanze in einem labilen Gleichgewicht befunden hat, das nun gestört worden ist, da das Wurzelwerk in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Deshalb ist es besonders wichtig, den Wurzelballen nicht unnötig stark zu säubern oder gar das Substrat zu wechseln. Zuerst wird der Baum in ein Gefäß gepflanzt, das nur einige Zentimeter größer ist, als der Ballen, jedoch etwas tiefer, sodass genug Platz für eine optimale Drainage vorhanden ist und seitlich wird auch durchlässiges Substrat eingefüllt. Da jedoch die Maße des Wurzelballens bekannt sind, ist es leicht, ein passendes Gefäß im Vorraus zu besorgen.
Bild - Leo21
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Gedüngt wird grundsätzlich über das Laub, während am Ballen höchstens eine schwache organische Düngung erlaubt ist, bis sich der Baum neues, kräftiges Wachstum zeigt.
Die vollständige Erholung und Vitalisierung des ausgegrabenen Baums kann im günstigsten Fall ein bis zwei Jahre dauern, bei sehr schwachen alten Bäumen auch mehrere Jahre.
Erst dann darf man weitere Arbeiten durchführen, und die wichtigste ist erst einmal, das Wurzelwerk von dem alten, verbrauchten Substrat zu befreien, was bei einem stark durchwachsenen Ballen eine schwierige Aufgabe darstellt und vielleicht in mehreren Etappen über Jahre durchgeführt werden muss. Nur wenn das Wurzelwerk optimal versorgt und der Baum wieder völlig vital ist, kann an Gestaltungsmaßnahmen gedacht werden. Hat man jedoch genügend Geduld aufgebracht, so steht dann einer erfolgreichen Gestaltung nichts mehr im Weg.
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