Hochzeitsbonsai - oder doch nur Kiefernzweige?

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gunter

Hochzeitsbonsai - oder doch nur Kiefernzweige?

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von Gunter Lind

Die Hochzeit war im alten Japan keine religiöse Angelegenheit, sondern eher ein bürgerlicher Vertrag zwischen den Familien. Erst seit gut 100 Jahren bieten shintoistische und buddhistische Priester in Nachahmung christlicher Sitten auch eine religiöse Ehezeremonie an. Dementsprechend war die eigentliche Hochzeitszeremonie auch kurz und schlicht. Sie bestand darin, dass Braut und Bräutigam immer abwechselnd neun mal hintereinander Sake tranken. Viel wichtiger war das Drum und Dran, das sich über mehrere Tage hinzog, der Einzug der Braut in das Haus der Familie des Bräutigams, das große Festessen, die verschiedenen Festroben, die mehrmals gewechselt werden mußten. Hier soll jedoch von der eigentlichen Zeremonie die Rede sein.

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Harunobu Suzuki (1724-1730): Blatt 4 aus einer Reihe mit 7 Hochzeitsbildern (Ausschnitt)

Das Bild von Harunobu zeigt die traditionelle Zeremonie in einem Samurai-Haus. Dem Bräutigam wird gerade Sake in das Trinkschälchen gefüllt. Vor ihm steht das Zeremonialtischchen, auf dem die Sakeschale abgestellt wird. Ausgeschenkt wird der Sake aus einem Behälter mit Stiel, an dem vorn eine Oregami-Arbeit befestigt ist. Sie soll einen Schmetterling darstellen. Schmetterlinge sind ein Symbol für eine lange, glückliche Ehe und gehören zu den bei der Hochzeitszeremonie verwendeten Sake-Behältern. Diese Sitte ist sehr alt. Die Braut trägt einen kapuzenartigen Schleier, der nach der Zeremonie zurückgeschlagen wird.

Für den Bonsaifreund interessant ist das dreibeinige Tischchen mit den geschwungenen Beinen im Vordergrund, ein sog. Shimadai, auf dem verschiedene glückbringende Gegenstände angeordnet sind. Auf dem Bild von Harunobu erkennt man darauf eine Kiefer und einen Kranich.

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Chikanobu Toyohara (1838-1912): Mittelblatt aus einem Triptychon mit Hochzeitszeremonie aus einer Reihe von Farbholzschnitten zu Sitten und Gebräuchen der Damen.

Das vollständige Inventar eines Shimadai sieht man auf dem Bild der Hochzeitszeremonie von Chikanobu. Dort wird gerade der Braut Sake aus dem Behälter mit Schmetterlings-Oregami ausgeschenkt und weitere Sakeschälchen stehen noch auf dem Zeremonialtischchen. Die Glückssymbole auf dem Shimadai sind:

1. Kiefer, Bambus und Winterpflaume (Ume): Dies sind die wohl beliebtesten Glücksbringer in Japan und sie gehören nicht nur zum Shimadai, sondern auch zu vielen andern Anlässen. Insbesondre sind sie auch die Bestandteile des traditionellen Neujahrsgestecks ("Die drei Freunde in der kalten Jahreszeit") und sie stehen für positive Charaktereigenschaften.

2. Kranich und Schildkröte: Ursprünglich gehörten sie zum Mythos der paradiesischen Inseln der Seligen im westlichen Meer, wurden dann aber zu Symbolen für ein glückliches, langes Leben, ganz ähnlich den "Drei Freunden". Ein Sprichwort sagt: "Der Kranich lebt 1000 Jahre, die Schildkröte lebt 10000 Jahre." Das Shimadai- Tischchen symbolisierte wohl ursprünglich die drei Inseln der Seligen.

3. Das alte Ehepaar aus Takasago: Eine uralte japanische Legende berichtet von Joo und Uba, die sich beim ersten Blick ineinander verliebten, heirateten und stets in Glück und Eintracht zusammenlebten, bis sie steinalt zur gleichen Stunde starben. Die Figuren des alten Paares sind ein Glücksbringer für die Ehe und sollen dem jungen Paar einen langen und glücklichen Ehestand bescheren. Sie werden immer unter einer alten Kiefer dargestellt, in der ihre Seelen wohnen und manchmal in Vollmondnächten wieder menschliche Gestalt annehmen, um die Kiefernnadeln aufzukehren, wie in ihrem Leben. Uba trägt einen Besen, mit dem sie die Sorgen wegkehrt und Joo hat eine Harke, mit der er das Glück zusammenharkt.

Das Zentrum des Shimadai ist immer die Kiefer. Bambus und Pflaumenblüte werden kleiner darum arrangiert. Unter der Kiefer stehen die Figuren von Joo und Uba, sowie Kranich und Schildkröte. Die Kiefer sieht üblicherweise aus wie ein Bonsai. Ich habe jedoch nirgends einen Hinweis gefunden, dass hier tatsächlich ein Bonsai verwendet worden wäre. Üblicherweise hat man wohl Kiefernzweige verwendet. Anders als beim Neujahrsgesteck kam es hier jedoch darauf an, tatsächlich eine alte Kiefer darzustellen, nämlich den Baum in dem die Seelen von Joo und Uba wohnen. Auf Abbildungen finden wir deshalb hier das Idealbild der klassischen Kiefer, transformiert auf Bonsaigröße. Auch wenn es tatsächlich keine Bonsai gewesen sein sollten, können wir hier also erkennen, wie man sich den idealen Kiefernbonsaivorstellte. Und beim Vergleich der Bäume auf den Bildern von Harunobu und Chikanobu kann man auch die Wandlung des Geschmacks in dem dazwischen liegenden Jahrhundert erkennen: Von der relativ schlanken Kiefer im Stil der Tosa-Schule zur klassischen Kiefer, in der sich Stilelemente der Tosa- und der Kano-Schule mischen.

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Sadafusa Utagawa (akt. etwa 1825-1850): Triptychon über das Mädchenfest/Puppenfest aus einer Reihe über die fünf großen Feste im Jahreslauf (Ausschnitt aus dem linken Blatt)

Gelegentlich taucht ein Shimadai auch auf Bildern auf, die keine Hochzeit zeigen. Auf dem Triptychon von Sudafusa ist ein Puppenarrangement zum Mädchenfest/Puppenfest am 3. März dargestellt. Die Puppen sind auf zwei Ebenen arrangiert. Auf der unteren spielt die Hofmusik. Auf der oberen sitzt in der Mitte das Kaiserpaar und auf dem rechten und dem linken Blatt sind je zwei Zofen abgebildet. Unser Ausschnitt zeigt die Zofen auf dem linken Blatt des Triptychons. Sie sind in mittelalterlicher Tracht gekleidet und tragen die typischen Hochzeitssymbole, die linke ein Shimadai mit Kiefer, Bambus und Pflaume, die rechte den Sakebehälter mit dem Schmetterlings-Oregami ( in den hier noch Zweige gesteckt sind). Zum Mädchenfest wünschte man den Mädchen des Hauses ein glückliches Leben. Und dazu gehörte natürlich auch eine glückliche Ehe. Es war also naheliegend, Symbole die hierauf anspielten, in das Arrangement aufzunehmen. Solche Puppenarrangements zum Mädchenfest sind auch heute noch üblich. Nur ist der kaiserliche Hofstaat etwas zahlreicher geworden,

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Hiroshige II (?), 1861: Es handelt sich um einen Ausschnitt aus dem Titelblatt einer Farbholzschnittreihe von Kunisada Utagawa (1786-1865). Die Blätter zeigen Schauspielerportraits mit einer Kalligraphie von dem Portraitierten daneben. Den Hintergrund bilden teils von Hiroshige II Utagawa (1829-1869) entworfene Landschaften, teils von Gengyo Miyagi (1817-1880) entworfene Stilleben. Titel- und Schlußblatt stammen jedoch nicht von Kunisada. Das Schlußblatt mit Kranichen ist von Hiroshige II, das Titelblatt ist unsigniert, könnte aber auch von ihm stammen.

Auch das vielleicht von Hiroshige II stammende Bild hängt anscheinend nicht mit einer Hochzeit zusammen. Jedenfalls kommt dies Wort im zugehörigen Text nicht vor und die Bilder des Buches haben ganz andere Themen. Anscheinend ist das Shimadai hier zu einem allgemeinen Glückssymbol geworden (das alte Paar von Takasago fehlt ja auch).

Die Kiefer ist hier jedoch besonders interessant und macht einen recht modernen Eindruck. Der Stamm ist dicker als auf andern Bildern jener Zeit, die Windungen des Stammes sind weniger ausgeprägt und die Kiefer wächst stärker in die Höhe als in die Breite. Ein Vergleich mit dem Baum auf dem Blatt von Chikanobu macht den Unterschied unmittelbar deutlich. Hier ist der Einfluss des Kiefernideals der Tosa-Schule endgültig überwunden. Der Baum entspricht vielmehr durchaus dem Ideal der Kano-Schule, allerdings ohne deren Neigung zu individuellen, einzigartigen Baumgestalten. Hier wird vielmehr das Gestaltungsideal des frei-aufrechten Kiefernbonsai vorweggenommen.

Es ist sicher kein Zufall, dass gerade die Kiefern auf dem Shimadai dem klassischen Ideal der Kieferngestaltung besonders nahe kommen. Hier war der Bezug zur altjapanischen Mythologie und damit zu den Vorbildern in der als national-japanisch geltenden Kunst etwa der Kano-Schule durch das Thema nahegelegt. So kam die modische Art der Bonsaigestaltung nach chinesischen Vorbildern nicht zur Geltung und es wurden schon Mitte des 19. Jhs. Formen verwendet, die in der Bonsaigestaltung erst 50 Jahre später langsam modern wurden.

Abbildungen von Shimadai gibt es eine ganze Reihe. Allein von Chikanobu sind mir außer dem hier gezeigten Blatt noch drei weitere bekannt, eines davon sogar mit einer Hochzeit im kaiserlichen Palast. Für die Kieferngestaltung bringen sie allerdings nichts Neues. Das späteste Bild, das mir vorliegt, stammt aus einem Büchlein über "Marriage Customs in Japan" (ohne Verfasser und Erscheinungsjahr, Verlag Eisho Shuppan in Yokohama). Dort ist auf dem Titelblatt ein Shimadai samt Brautpaar abgebildet. Das Buch dürfte im ersten Jahrzehnt des 20. Jhs. erschienen sein. Allerdings scheint sich die Sitte hier und da bis heute gehalten zu haben. Wer etwas für Kitsch übrig hat, kann sich hier eine moderne Version eines Shimadai ansehen:http://mall.ill.co.jp/forum/orizuru/yuinou.html

Und noch eine Anmerkung: Ein Shimadai von einer Hochzeit der etwas anderen Art ist bei den BonsaibildernBunshos abgebildet.

Bildquellen

Alle Bilder stammen aus dem Bestand der National Diet Library in Tokyo (Rare Books Image Database, in Japanisch): http: //rarebook.ndl.go.jp
1. Unter dem Namen Harunobu die Nr. 4
2. Unter dem Namen Chikanobu die Nr. 295
3. Unter dem Namen Sadafusa die Nr. 1
4. Die Blätter des Buches haben die Archivnummer 2723. Man findet das Buch am einfachsten im alphabetischen Titelverzeichnis der Bücher unter dem ersten Zeichen.
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