Bonsai in der Edo- und Meiji-Zeit

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Bonsai in der Edo- und Meiji-Zeit

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von Gunter Lind

Der Zen-Priester und Gartenarchitekt Muso Kokushi unterscheidet 1345 in einem Brief drei Arten von Gartenliebhabern und man kann seine Gedanken leicht auf Bonsailiebhaber übertragen:
1. Die ersten bevorzugen einen repräsentativen Garten. Sie sammeln dort seltene Steine und merkwürdige Bäume. Für sie ist der Garten letztlich eine Form der Selbstdarstellung. Sie wollen bewundert werden. Muso Kokushi läßt keinen Zweifel an seiner Verachtung für diese Leute. Er hätte wohl auch wenig Sinn für Bonsaiausstellungen gehabt.
2. Die zweite Gruppe sind die Naturliebhaber, die sich ganz naiv an ihrem Garten freuen und sich so ein Stück schöne Natur in die Stadt holen. Sie rezitieren im Garten vielleicht Gedichte und "man muß sie die Liebenswerten dieser Erde nennen".
3. Zur dritten Gruppe rechnet Muso Kokushi sich selbst. Es sind diejenigen, die den Garten zu ihrem Wahrheitsweg machen. Er denkt da wohl zunächst an die Paradiesgärten seiner Zeit, in denen viele Symbole auf die ewigen Wahrheiten hinweisen. Noch höher stehen ihm aber die Zen-Gärten, deren Entwicklung mit seinen Gartenschöpfungen beginnt. Sie sollten helfen, den Stein und den Baum als Offenbarung Buddhas zu sehen und sie als Teil des eigenen Wesens zu empfinden.

Während aber die religiösen Vorstellungen, deren Ausdruck die Paradiesgärten waren, tief im Volk verwurzelt waren, blieben Zen und die Zen-Ästhetik immer die Sache einer elitären Minderheit. Vielleicht hat Zen auf diese Weise ungewollt sogar eine gewisse Gleichgültigkeit des städtischen Bürgertums gegenüber der Religion gefördert, die in Japan viel früher zu beobachten ist als in Europa.

Jedenfalls wurde die weitere Entwicklung von Bonsai maßgeblich von den Bonsailiebhabern der ersten Kategorie bestimmt. Das Bürgertum wollte sich amüsieren und da die Adelsprivilegien ihm repräsentative Villen und Gärten nicht gestatteten, waren sogar die kleinen Bäumchen als Repräsentationsobjekte willkommen. Einige typische Entwicklungen der bürgerlichen Bonsaikultur der Edo-Zeit:

1. Das von Muso Kokushi gegeißelte Sammeln seltener und ausgefallener Sorten wurde zu einem beliebten Hobby. Die traditionelle japanische Gartengestaltung hatte nur mit wenigen heimischen Arten gearbeitet. Artenvielfalt wurde sogar bewusst vermieden. Und das wird bei Bonsai nicht anders gewesen sein. Jetzt setzt ein Boom an Neuzüchtungen ein. In einem Buch des späten 17. Jhs. werden 147 Sorten von Azaleen erwähnt. Im 18. Jh. soll es über 200 Sorten von Kamelien gegeben haben. Für die Präsentation der neuen Sorten wurden Flower-shows organisiert.

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Harunobu (~1724-1770):Aus der Serie der "Blütensammlungen von Schönheiten des Tages". Eine bekannte Kurtisane sitzt rauchend auf der Brüstung ihres Etablissements am Hafen von Edo. Ihre Schülerin schaut durch ein Fernrohr auf die ankommenden Schiffe (und Kunden). Auf der Brüstung ein Kirschbäumchen in sehr schlichter Gestaltung. In dem Gedicht im Blatt wird die Kurtisane mit der Kirschblüte verglichen.

2. Der Trend geht zum Blütenbonsai. Im traditionellen japanischen Garten gab es keine blühenden Pflanzen; höchstens einen Pflaumen- oder Kirschbaum als Boten des Frühlings. Das Ideal einer strengen künstlerischen Durchgestaltung jeder Einzelheit ließ solche Pflanzen bevorzugen, die sich im Jahreslauf möglichst wenig änderten. Der Garten sollte möglichst immer gleich aussehen. Blüten konnten von der Komposition ablenken, ja sie sogar verbergen. Azaleen wurden zwar viel verwendet, aber als in geometrischen Formen geschnittene Gehölze, die nicht blühten. Wenn jetzt Blütenbonsai beliebt wurden, so zeigt dies auch, wie weit die bürgerliche Bonsaikultur von der Zen-Ästhetik entfernt war.

3. Die Bonsaiszene wurde dynamisch. Es gab Moden, die einander abwechselten. Sie bezogen sich allerdings nur auf die beliebten Sorten nicht auf die Art der Gestaltung. Zunächst waren Kamelien und Azaleen modern, dann kamen Mandarinorangen und buntblättrige Ahorn hinzu. Im 19. Jh. wurden Bonsai mit interessantem, ausgefallen geformtem Laub beliebt.

4. Wo es Moden und Ausstellungen mit neuen Sorten gibt, ergeben sich auch geschäftliche Möglichkeiten. Schon im 18. Jh. entstanden erste Bonsaibaumschulen, nachdem die gewerblichen Yamadorisucher nicht mehr genug Material besorgen konnten. Die baumschulmäßige Anzucht wiederum führte zu einer schnellen Entwicklung von Anzucht- und Vermehrungstechniken. Diese wurden Anfang des 19. Jhs. in verschiedenen Fachbüchern über Pflanzenzucht verbreitet. Praktisch alle einschlägigen Techniken, die noch heute üblich sind, waren damals bereits bekannt.

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Bonsaiverkauf in Edo um 1770. Fast alle Bäüme stehen in "Blumentöpfen", zwei sind noch in die traditionellen Holzkästen gepflanzt.

Die Gestaltungstechniken haben mit dieser Entwicklung anscheinend nicht Schritt gehalten. Es wird berichtet, die Baumschulen hätten bevorzugt Bäume mit starken, grotesken Windungen herangezogen, entweder in Oktopusform, bei der mehrere gewundene Hauptäste aus einem kurzen Stamm entspringen oder in der nach der Insel der Seligen benannten Horaiform, bei der der Stamm selbst starke Windungen aufweist. Aber auf zeitgenössischen Abbildungen findet man kaum derartige Bäume.

Größere Anstrengungen in gestalterischer Richtung hat es wohl erst gegen Ende des 19. Jhs. gegeben. Der Kaiser Meiji, der nach der Absetzung der Tokugawa-Shogune die politische Macht übernommen hatte, wollte einen modernen Nationalstaat schaffen. Dazu gehörte auch die Förderung einer nationalen Kunst, zumal der Kaiser selbst kulturell sehr interessiert war.

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Watanabe Nobukazu (~1895): Teil eines Triptychons mit Beschäftigungen der Frauen.

Für Bonsai bedeutete dies interessanterweise eine Rückbesinnung auf die Vorstellungen der Bunjin, der japanischen Literaten, die auf diese Weise doch noch zu verspätetem Einfluß kamen. Dies ist eigentlich erstaunlich, denn die Künstler, die in den Jahren des Niedergangs der Tokugawa für die royalistische Restauration und gegen das Shogunat gekämpft hatten, waren eher alt-japanisch orientiert. Das hätte eine Förderung des "klassischen Kiefern-Bonsai" nahegelegt, der diesen altjapanischen Wurzeln entsprang. Dass Meiji sich für die Orientierung an chinesischen Vorbildern entschied, mag an seinem Geschmack gelegen haben. Die Literatenmalerei hatte aber auch nicht so sehr den Ruf, eine chinesische Malerei zu sein, als vielmehr eine Malerei im Geist der Alten, eine Rückbesinnung auf die Zeiten vor den Tokugawa. Der Literatenmalerei zu folgen meinte selbstverständlich noch nicht das, was später als Literatenform bezeichnet wurde. Sie ist erst eine Entwicklung des 20. Jhs. Es meinte vielmehr eine Rückbesinnung auf die alten chinesischen Wurzeln.

Zu dem Einfluß der Literaten paßt, dass sich jetzt auch der Begriff Bonsai durchsetzte. Bis dahin waren die Begriffe Hachi-no-ki oder Hachi-ue üblich gewesen. Bonsai ist ein Lehnwort aus dem Chinesischen. Pen-zai (Pflanzen in der Schale) bezeichnet dort ursprünglich ganz allgemein Topfpflanzen und etwa seit dem Jahr 1800 speziell Baum-Penjing. In Japan wurde der Begriff sehr bald übernommen und in einen Zusammenhang mit den Bunjin gebracht. Meiji hat die Einführung des neuen Begriffs protegiert, ein Zeichen dafür, dass er tatsächlich an eine künstlerische Erneuerung im Sinne der Bunjin und an eine Hebung des gestalterischen Niveaus dachte.

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Von der Bonsaiausstellung 1892

1892 fand in einem japanischen Nobelrestaurant eine Bonsaiausstellung statt und Zeichnungen der ausgestellten Bäume wurden anschließend publiziert (Bijutsu Bonsai Zu; Künstlerische Bonsai in Bildern). Die Bäume zeigen, dass die Reformbemühungen offenbar erfolgreich waren. Der Einfluß der Literatenmalerei ist erkennbar. Hervorzuheben ist, dass die meisten Bäume jetzt in einfachen Schalen (chinesischer Herkunft) standen und nicht mehr in den bis dahin in Japan üblichen reich verzierten Porzellan-Blumentöpfen.

Das Verhältnis zu China und zur chinesischen Kultur änderte sich radikal durch den chinesisch-japanischen Krieg 1894/95. Plötzlich war alles Chinesische suspekt und die Bonsaiszene suchte nach einem neuen Leitbild. Vielleicht kann man den chinesisch-japanischen Krieg als die Geburtsstunde des modernen Bonsai bezeichnen. Schon zwei im Jahre 1903 von der Jurakukai-Bonsai-Vereinigung veranstaltete Verkaufsausstellungen (wiederum in Restaurants), zu denen ein Katalog erschien (Bonsai Heika Jurakukai Zuroka 1903) zeigen die gewandelte Auffassung. Erstmals gibt es streng aufrechte Bonsai. Zum Leitbild wurde jetzt die klassische Kiefer, sei es streng aufrecht, locker aufrecht oder geneigt, und deren Gestaltung wurde auch auf andere Arten übertragen.
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Aus dem Katalog von 1903

Um diese Zeit war Bonsai sehr beliebt und das Bonsaigewerbe nahm einen kräftigen Aufschwung. Das entspricht der Situation bei Bonkei und Bonseki. Während diese beiden Künste jedoch unter europäischem Einfluß zu naturalistisch-illusionistischen Gestaltungen kamen, ist bei Bonsai davon nicht viel zu merken. Zwar zeigen alte Photos durchaus auch eher naturalistisch gestaltete Bäume aber man kann ja auch eine klassische Kiefer eher etwas naturalistischer oder eher etwas abstrakter gestalten. Vielleicht hat die unterschiedliche Entwicklung in den verschiedenen Künsten ganz triviale Gründe. Bei Landschaften ist eine illusionistische Gestaltung wirkungsvoll, aber beim Einzelbaum entfällt die Faszination der Perspektive. Deshalb war wohl der Rückgriff auf die ornamental ansprechenden Lösungen der klassischen dekorativen Kunst Japans attraktiver.

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Bildquellen

1. Rose Hempel: Holzschnittkunst Japans, Stuttgart (Belser) 1963
2. Norah Titley, Frances Wood: Oriental Gardens. London (The British Library) 1991
3.www.artelino.de im Archiv Nr 8359
4. und 5. Hideo Marushima: The History of Bonsai. In: Nippon Bonsai Association: Classic Bonsai of Japan, übers. von John Bester. Tokyo (Kodansha) 1989
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