Die Literatenmalerei - Baumbilder der Literaten, Vorbilder

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Die Literatenmalerei - Baumbilder der Literaten, Vorbilder

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von Gunter Lind

Die Malerei der Literaten bildet einen Schlüssel zum Verständnis des Literatenstils. Die Landschaftsgemälde der Gelehrten sind ... der beste Weg, den Literatenstil zu verstehen, und liefern einen Anreiz und einen Leitfaden für die Gestaltung solcher Bäume ( Deborah R. Koreshoff ).

Die Formulierung einer spezifischen Literatenästhetik in der Malerei fällt in die Song-Zeit ( 11./12. Jh.). In dieser politisch instabilen, aber kulturell fruchtbaren Zeit konnten die Literaten-Beamten ihre Machtstellung im Staat ausbauen. China wurde zu einem "Staat der Mandarine".

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Wang E (um 1500): Auf der Suche nach der Pflaumenblüte im Schnee

Zentrum dieser ästhetischen Konzeption war die Abkehr von bloßer Naturtreue und der Versuch, nicht nur die äußere Erscheinung eines Gegenstandes darzustellen, sondern sein inneres Wesen im Bild zu erfassen. Su Shih (1036-1101), der als Begründer der Literatenschule gilt, attestiert einem Betrachter, der ein Bild nach seiner Naturtreue beurteilt, das geistige Niveau eines Kindes. Vielmehr komme es darauf an, das innere Wesen der Dinge im Bild zu erkennen, zu zeigen, wie etwa Bäume leben und vergehen, wie sie sich krümmen und verflechten, eingeengt und behindert sind, und wie sie sich in Freiheit entfalten und gedeihen. Eine solche Malerei kann als expressionistisch bezeichnet werden. Sie ist Ausdruckskunst. Das schließt Naturalismus nicht aus, wohl aber ein Stehenbleiben beim Naturalismus. Wichtig ist nicht die äußere Erscheinung, sondern das Erfassen des Lebensatems. Das erfordert eine Identifikation des Malers mit seinem Gegenstand. Das Bild wird zum Niederschlag der Persönlichkeit des Künstlers, zum Abdruck seines Herzens. Dem Betrachter soll das Gefühl vermittelt werden, das der Künstler empfand. Vor dem Bild soll man den Duft der Kiefer atmen, das Spritzen des Wassers hören.

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Hü Dau-ning ( 11.Jh.): Knorrige Bäume. Hü war ein Zeitgenosse von Su Shih, und diesem als Maler überlegen. Er zeichnet sehr originelle, oft wunderliche, wild zerzauste Baumgestalten mit krausem Formenreichtum.

In der Literatenmalerei gibt es eine enge Verbindung von Schrift und Bild, und zwar in zweifacher Hinsicht:

1. Malerei und Kalligraphie gelten als eng verwandte Künste. Die Malerei ist eine der sechs Schriften. Beide werden mit dem gleichen Werkzeug hergestellt, den vier Schätzen des Literatenzimmers: Pinsel, Tusche, Tuschstein und Papier (wobei Letzteres oft durch Seide ersetzt wurde). Bei beiden ist die Art der Pinselführung die gleiche: angestrebt wird eine kraftvolle, rhythmische Bewegung. Beide verzichten weitgehend auf Farben. Auch in der Malerei werden sie, wenn überhaupt, nur sparsam verwendet.

2. Oft gehört ein geschriebener Text zum Bild, ein Gedicht oder eine Beschreibung der Intention des Bildes oder der Umstände seiner Entstehung. Der Text kann vom Künstler selbst stammen, aber auch von einem Freund. Die Verbindung von Text und Bild ist oft recht locker. Der Text soll die atmosphärische Aussage verstärken, er ist eine Paraphrase des Bildes in einem andern Medium, aber nie eine Bildbeschreibung.

Malerei, Gedicht und Kalligraphie werden oft als drei Aspekte einer Sache behandelt. Die Literatenästhetik ist kalligraphisch. Der individuelle Pinselstrich gilt als Qualitätsmerkmal und als Ausdruck der Persönlichkeit. Er führt ein gewisses gestalterisches Eigenleben und gibt der Malerei oft ein abstraktes Moment.

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Hsia Kuei (etwa 1180-1230): "Am Bach"; Ausschnitt aus einer breiten Rolle. Eine Sommerlandschaft mit dem Baum als Hauptmotiv. Darunter der in heiterer Stimmung über den Bach schauende Gelehrte.

In der Malerei waren die chinesischen Literaten Autodidakten. Malerei war eine typische Feierabendbeschäftigung, ein Hobby. Man lernte sie durch das Kopieren der Werke berühmter Literatenmaler. Zunächst galt es, die Stile der klassischen Meister zu beherrschen. Zunehmende Freiheit im Umgang mit den Themen und mit der Art der Pinselführung führte zum eigenen Stil. Dabei galt nicht, wie in der westlichen Kunst, ein einheitlicher, persönlicher Stil als erstrebenswert. Oft arbeitet ein Künstler in mehreren Stilen gleichzeitig. Bloße Imitation der Alten wird dabei genauso wenig geschätzt, wie bloße Originalität. Kunst besteht zugleich in einer Auseinandersetzung des Künstlers mit seinem Gegenstand und in einer Auseinandersetzung mit der Geschichte der Darstellung dieses Gegenstandes in der Kunst.

Die Literaten haben sehr viel Wert auf ihre künstlerische Freiheit gelegt. Man grenzte sich ab von Malern, die von ihren Werken leben mußten und wollte weder mit den Handwerkermalern noch mit den Malern am kaiserlichen Hof auf eine Stufe gestellt werden. Bilder zu verkaufen, war verpönt und kam höchstens in Notsituationen vor. Auch stilistisch suchte man sich von den kommerziellen Traditionen abzusetzen, indem man etwa deren bevorzugte Sujets vermied. Auch der Verzicht auf starke Farbigkeit und die kalligraphische Orientierung sind hier zu nennen.

Trotzdem gab es bald einen Markt für die Literatenmalerei. Sie war bei Sammlern und auch bei Hofe beliebt. Hofmaler malten recht bald auch im Stile der Literaten und zwar manchmal in hoher Qualität. In die Handwerkermalerei drang die Tradition der Literaten allerdings erst wesentlich später ein. Ein Ausdruck davon sind die seit dem 17. Jh. erscheinenden Musterbücher für Handwerkermaler, in denen die Tuschzeichnung durch Holzschnitte anzunähern versucht wurde. Für Bonsai ist besonders der "Senfkorngarten" (1679) bedeutend geworden.

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Li Kan (1245-1320): Die beiden Kiefern. Ein eher naturalistisch gemaltes Blatt. Li war ein Bewunderer der großen Meister der Song-Zeit, deren atmosphärische Dichte er jedoch kaum erreicht.

Das Spektrum der Themen der Literatenmalerei ist relativ beschränkt. Es dominiert die Darstellung der Landschaft. Darin kommt die daoistische Sehnsucht nach vollkommener Harmonie mit der Natur zum Ausdruck, nach einem Leben im Einklang mit ihren Gesetzen. Die dargestellten Landschaften sind meist idealisiert und zeigen, was man als schön empfand, schroffe Felslandschaften, aber auch hüglige Wasserlandschaften. Oft wird der Vordergrund des Bildes von Bäumen dominiert.

Im Zusammenhang mit der Landschaftsmalerei sind zwei andere Themen zu betrachten:

1. Gärten: Jeder Gelehrte hatte einen Garten. Der Garten war das Symbol des kontemplativen Lebens und ein Abglanz der paradiesischen Natur. Im Gartenpavillon traf man sich zu Gespräch und Feier und solche Zusammenkünfte sind ein beliebtes Thema der Malerei.

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Wang Meng (etwa 1310-1385): "Bücher schreiben unter Kiefern". Der Gelehrte sitzt bei der Arbeit in seinem Gartenpavillon. Der Garten ist naturnah gestaltet und liegt in einer schönen Landschaft. So wünschte man zu leben.

2. Bäume: Sie sind innerhalb der Landschaftsdarstellungen ein bevorzugter Träger von Stimmung und Ausdruck, und werden dann auch zu einem eigenständigen Sujet. Eine besondere Rolle spielt dabei die Darstellung der Kiefer, die als Symbol für hohes Alter steht. Das Spektrum reicht dabei von dem alten Baum, der kraftvoll dem Sturm der Jahrhunderte trotzt, bis zu Bildern von Sterblichkeit, Einsamkeit und Kälte. In diesem Beitrag sind mit Ausnahme des ersten Bildes nur Bilder von Bäumen wiedergegeben. Sie umfassen einen Zeitraum von über 600 Jahren.

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Wen Cheng-ming (1470-1556): "Alte Bäume, kalter Bach", datiert 1551.Wen hat als alter Mann häufig ein Gefühl von Einsamkeit und Todesnähe in seine Naturdarstellungen gelegt.

Weitere Themen der Literatenmalerei sind die "vier Edlen", Orchidee, Chrysantheme, Pflaume und Bambus, sowie Blumen und Vögel. Portraits, Historienbilder und Genreszenen, die von den professionellen Malern bevorzugt wurden, sind sehr selten. Szenen aus dem beruflichen Leben der Literaten-Beamten kommen nicht vor. Dargestellt wird vielmehr eine idealisierte Gegenwelt zum beruflichen Alltag. Die Darstellung von Penjing ist in der Literatenmalerei selten. Sie tauchen eher auf Genreszenen auf, die nicht zum typischen Literatenrepertoire gehörten.

Das Themenspektrum der Literatenmalerei bleibt über die Jahrhunderte hinweg relativ unverändert. Stilistische Unterschiede lassen sich kaum an den Themen festmachen.

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Lu We ( um 1700): ohne Titel. Die gewaltsamen, schlingenden Bewegungen und jähen Biegungen der Äste sind originell. Ein schönes Beispiel dafür, daß Treue zu den alten Meistern und künstlerische Originalität sich nicht ausschließen.

Bei der Rezeption der chinesischen Literatenmalerei in Japan sind zwei Perioden hervorzuheben:

1. Im 15. Jh. kam es zu einer Rezeption der Malerei der Song- und frühen Ming-Zeit. Die meisten Künstler hielten sich dabei eng an die chinesischen Vorlagen. Hervorzuheben ist Sesshu, wegen seiner Eigenständigkeit (japanische Landschaften, stärkere Abstraktion als in den chinesischen Vorbildern).

2. Im 18. Jh. wurde die Literatenmalerei von der Gruppe der Bunjin gepflegt. Ihr bekanntester Vertreter war Yosa Buson. Trotz des Verbots kultureller Kontakte zu China gab es stets Verbindungen. Allerdings war es nicht so einfach, an gute Originalarbeiten heranzukommen. Eine beträchtliche Rolle für die Rezeption haben deshalb die Malschulen gespielt, insbesondere der "Senfkorngarten". Das Buch war in Japan relativ bekannt. Die Malerei der Bunjin und die Bilder in den Malschulen haben einen maßgeblichen Einfluß auf die japanische Auffassung von Bonsaigestaltung im chinesischen Stil ausgeübt, die dann später als Literatenstil bezeichnet wurde.

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Bildquellen

1. Lothar Ledderose (Hrsg.): Palastmuseum Peking, Schätze aus der verbotenen Stadt. Frankfurt/M. (Insel) 1985
2, 4. und 7.: Max Loehr: Chinesische Baumbilder. Sinica 14, Frankfurt 1939
3. Otto Fischer: Chinesische Landschaftsmalerei. Berlin (Paul Neff) 1943
5. und 6. Anne de Coursey Clapp: Wen Cheng-ming: The Ming Artist and Antiquity (Diss. Harvard 1971), Ascona (Artibus Asiae) 1975
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