Trockenlandschaftsgärten und Bonseki - Landschaften aus Stein

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Trockenlandschaftsgärten und Bonseki - Landschaften aus Stein

Beitrag von gunter »

von Gunter Lind

Wie in vielen Sparten der japanischen Kunst ist auch in der Gartenkunst China in vielem das große Vorbild. Das gilt jedoch nicht für den Trockenlandschaftsgarten (Karesansui). Er ist eine genuin japanische Erfindung und hat auf dem Festland keine Parallelen. Die Entwicklung des Trockenlandschaftsgartens hatte zunächst einmal ganz pragmatische Gründe:

1. Wassermangel. Durch Raubbau an den umliegenden Wäldern und das Wachstum der Stadt wurde in Kyoto das Wasser knapp. Viele Quellen und Brunnen versiegten und es konnte sich nicht mehr jeder Adlige einen Teichgarten anlegen.
2. Platzmangel. Die neue Oberschicht der Samurai war viel größer als der alte Adel, den sie verdrängt hatten. In Kyoto mußte die Grundstücksgröße beschränkt werden. Ein adliges Grundstück war nicht mehr wie in der Heian-Zeit mehr als 1 ha groß, sondern im Durchschnitt nur noch etwa 1800 m². Das erforderte kleine Gärten. Auch bei den Tempelgärten mußte man Platz sparen. Um den Haupttempel mit seinem Teichgarten gruppierten sich jetzt oft eine ganze Anzahl von Nebentempeln, für deren Gärten nicht viel Platz da war.
3. Geldmangel. Die Samurai waren nicht reich. Sie hatten keinen eigenen Grundbesitz, sondern ein Lehen. Einen großen Teichgarten mit einem Teich, auf dem man mit dem Boot herumfahren konnte, konnten sie sich nicht leisten. Es mußte alles deutlich reduziert werden.

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daisen-in_tempel__budismiinstituut.ee.jpg (85.59 KiB) 669 mal betrachtet
Steinsetzung im Garten des Daisen-in, Kyoto. Sie stellt die Insel Horai dar.

Da war der Trockenlandschaftsgarten eine geniale Erfindung. Auf den ersten Blick mag es so scheinen als sei das gegenüber den bis dahin üblichen Teichgärten etwas radikal neues gewesen. Tatsächlich bewahrt der Trockenlandschaftsgarten aber zunächst alle traditionellen Elemente, den gesamten Formenkanon. Der einzige Unterschied ist, dass die Wasserfläche durch eine Sandfläche/Kiesfläche ersetzt und alles andere verkleinert wird. Im Grundriß sind die beiden Gartentypen nicht voneinander zu unterscheiden.

Das änderte sich allerdings bald, und zwar unter dem Einfluß der Zen-Ästhetik. Es waren fast durchweg Tempelgärten, in denen ein neuer Gartentyp entwickelt wurde, der die Charakteristika der Zen-Kunst widerspiegelte. Diese Gärten wurden von Zen-Priestern entworfen und angelegt. Sie sind natürlich nicht als Orte des Vergnügens gedacht gewesen, sondern als Mittel der Welterfahrung und als Hilfen auf dem Weg der Erleuchtung. Der Vorgang des Gestaltens wurde als Zen-Übung gewertet und das gleiche galt für die Gartenpflege, insbesondere für das regelmäßige Abrechen der Sandfläche.

Praktisch alle Trockenlandschaftsgärten sind Betrachtungsgärten. Sie sind nicht zum Begehen gedacht, insbesondere wird die Sandfläche nicht betreten. Meist entfaltet das Landschaftsbild des Gartens seinen größten Reiz, wenn man es von einer bestimmten Stelle aus betrachtet. Bei adligen Gärten ist das der Ehrenplatz in der Halle, auf dem der Herr oder der ranghöchste Gast Platz nahm. Bei Tempelgärten ist es oft auch ein Sitzplatz auf der Veranda.

Im Prinzip waren die Elemente des Trockenlandschaftsgartens in Japan schon sehr lange bekannt. Bereits im Sakuteiki, dem ältesten fernöstlichen Gartenbuch aus dem 11.Jh., werden Elemente von Trockengärten beschrieben. Allerdings stellten diese keine eigenständigen Gärten dar, sondern bereicherten den großen Teichgarten. Dort gab es vielleicht ein trockenes Bachbett oder einen trockenen Wasserfall. Ab etwa 1350 nehmen solche Elemente einen selbständigeren Charakter an und etwa um 1450 kann man von einem selbständigen Gartentyp sprechen.

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Bonseki aus der Washu-Enzan-Schule. Dies Bonseki aus einer der alten Schulen zeigt sehr schön die Nähe zu den Steinsetzungen der Trockenlandschaftsgärten.


Die wichtigsten Elemente dieser Gärten sind Steine, die auf einer Kiesfläche liegen. Vegetation wird typischerweise nur sparsam verwendet oder kann sogar ganz fehlen. Gängig sind Moos, Gräser und halbkugelig geschnittene, immergrüne Büsche. Aber auch ein einzelner Baum kann vorhanden sein. Die Miniaturisierung einer Landschaft auf kleinstem Raum erforderte notwendig eine gewisse Abstraktion und unter dem Einfluß der Zen-Ästhetik wurde diese in manchen Gärten bis an die Grenze der Erkennbarkeit vorangetrieben. Traditionelle Gartenelemente, wie eine Steilklippe, eine Meeresküste, eine Waldinsel, der Weltenberg Shumisen oder die Horai-Insel kommen weiterhin vor, aber ihr Bedeutungsgehalt ist oft nur noch zu erahnen. Jedenfalls dominiert er nicht die Gestaltung. Diese folgt vielmehr den Prinzipien der Zen-Ästhetik und macht den Garten zu einem Ort der Ruhe und der Meditation.

Angesichts der spartanischen Beschränkung der Mittel ist die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten überraschend. Es gibt Gärten, die der Landschaftsmalerei der chinesischen Literaten nachempfunden sind und eine eher dramatische Landschaft mit aufgetürmten Steinen aufführen. Das berühmteste Beispiel ist wohl der um 1510 angelegte Daisen-in. Es gibt Gärten, die in ihrem Minimalismus kaum zu überbieten sind und nur einige wenige Steine auf eine Kiesfläche setzen. Das berühmteste Beispiel ist hier der 1499 angelegte Ryoanji. Auf diese stilistischen Unterschiede möchte ich hier nicht eingehen, denn sie spiegeln sich in den Topflandschaften nicht wider. Im Vergleich zu den Miniaturlandschaften sind auch die kleinen Gärten der Nebentempel und Abtshäuser noch groß und das mag der Grund dafür sein, dass man nicht versucht hat, ganze Gartenlandschaften in der Schale nachzubauen, sondern dass man sich auf einzelne Steingruppen beschränkte. Und die stilistischen Unterschiede der Gärten beziehen sich weniger auf die einzelne Gruppe, deren Gestaltung sich seit dem Sakuteiki nicht allzu sehr gewandelt hatte, als vielmehr auf die Gesamtkonzeption. Bei den einzelnen Steingruppen ist die Nähe zu den Miniaturlandschaften allerdings sehr deutlich.

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Kasuga-Gongen-Kenki-Emaki (Bilderrolle über die Wunder der Götter vom Kasuga-Schrein), Rolle 5

Das älteste erhaltene Bild einer japanischen Miniaturlandschaft findet sich auf der Bilderrolle "Kasuga-Gongen-Kenki-emaki" von 1309, in der es um die Legenden über die vier göttlichen Buddha-Verkörperungen geht, die im Kasuga-Gongen-Schrein verehrt werden. Es zeigt die Gartenansicht eines Palastes der Heian-Zeit mit einem großen Gartenteich, in den der "Quellenpavillon" ein wenig hineinragt. An der Pavillonecke, wo gerade die Enten gefüttert werden, ist im Wasser eine schöne Steinsetzung. Vor der Terasse des Haupthauses steht ein Gestell mit Miniaturlandschaften, deren erste ein kleiner Trockenlandschaftsgarten ist. Er entstammt allerdings sicher nicht der Heian-Zeit, sondern der Entstehungszeit des Gemäldes. Zwei Steine, jeder mit einem Baum, ruhen in einer Sandfläche. Zumindest auf dem einen Stein scheint etwas Moos zu wachsen. Das Ganze ist in eine hölzerne Wanne mit vier Randbrettern gepflanzt, von denen zwei mit Tragegriffen versehen sind.

Es gibt noch einige andere alte Bilder mit derartigen Miniaturlandschaften, teils mit, teils ohne Pflanzen. Nicht immer ist klar zu erkennen, ob die Steine in Sand liegen oder in Erde. Aber die Holzwannen sind in der Regel deutlich größer als es für die Steinsetzung nötig gewesen wäre. Die freie Fläche sollte also etwas darstellen, eben das Wasser, in dem die Felseninsel ruht. Ob dann Sand verwendet wurde oder Moos, macht keinen Unterschied. Es gibt auch Trockenlandschaftsgärten, in denen die Sandfläche durch eine Moosfläche ersetzt ist. Auch sie soll Wasser darstellen. Bei den Steinsetzungen wird man sich nach den Vorbildern in den Gärten, beziehungsweise nach dem Sakuteiki gerichtet haben. Die wenigen erhaltenen Bilder vermitteln nicht den Eindruck großer Kunstfertigkeit.

Die weitere Entwicklung wird wesentlich geprägt durch die Erfindung des Lacktabletts als Träger der Landschaft. Durch den Kontrast zwischen der glänzenden, schwarzen Lackfläche und dem weißen Sand ergeben sich interessante Gestaltungsmöglichkeiten. Es entstehen zwei Typen von Miniaturlandschaften:

1. Bonsan, die weiterhin in der bisherigen Art gestaltet werden, aber auf den Sand, und damit auf die Assoziation zum Trockenlandschaftsgarten und seinen Symbolelementen verzichten, und
2. Bonseki, die auf dem Lacktablett gestaltet werden und nur noch mit Steinen und Sand arbeiten. Allerdings werden sie wohl zunächst noch nicht als Bonseki bezeichnet; vielmehr scheint der Begriff Bonsan noch für beide benutzt worden zu sein. Verläßliche Informationen über das erstmalige Auftreten des Begriffs Bonseki in der hier gemeinten Bedeutung habe ich nicht finden können.

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Toyohara Chikanobu (1838-1912): Damen der Gesellschaft beim Bonseki

Die Verwendung von Lacktabletts soll schon im 14. Jh. begonnen haben. Allgemein üblich wurde sie jedoch erst zu Beginn des 17. Jhs. Etwa seit dieser Zeit ähneln die Formen auch den heute noch üblichen. In der Blütezeit des Trockenlandschaftsgartens im 16. und 17.Jh. waren solche Tabletts also schon vorhanden, so dass man von einer Parallelität der Entwicklungen sprechen kann.

Bonseki ist eine japanische Kunstform. Sie hat in China keine Parallele, genau so wenig wie der Trockenlandschaftsgarten. Anscheinend gehörte Bonseki ursprünglich zu den Adelsprivilegien, genau wie die Anlage von Ziergärten, und im Unterschied zu Bonsai und Bonkei. Es war etwas Besseres. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass Bonseki gern in der Tokonoma ausgestellt wurden, was für Bonsai und Bonkei nicht üblich war. Das hatte auch Auswirkungen auf die stilistische Entwicklung. Bonseki war stärker von der Zen-Ästhetik geprägt als die andern beiden Kunstformen und der europäische Einfluß, der sich bei Bonkei stark bemerkbar machte, kommt bei Bonseki erst wesentlich später zum Tragen und ist weniger gravierend. Auch als das Adelsprivileg bereits gefallen war, behielt Bonseki einen gewissen elitären, vornehmen Ruf. Für den Bürger bedeutete es eine Nachahmung des Lifestyles des Adels und nachdem das mit dem Niedergang des Adels immer weniger interessant war, wurde es zu einem Teil der standesgemäßen Erziehung höherer Töchter. Auch zu Familienfesten (Hochzeit, Beerdigung) wurden Bonseki gestaltet.

Das Adelsprivileg ist wohl auch der Grund dafür, dass im Farbholzschnitt Bonseki zunächst praktisch keine Rolle spielen. Der Farbholzschnitt war eine bürgerliche Kunst und zeigte das bürgerliche Leben und Vergnügen. Darin kam Bonseki nicht vor. Erst gegen Ende des 19. Jhs. werden Bonseki auch zum Thema des Farbholzschnitts. Die Gestaltungen sind auch zu dieser Zeit noch überwiegend in der Tradition der Zen-Kunst und der Steinsetzungen in den Gärten.

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Modernes Bonseki in traditioneller Art. Sehr schön sind die Wellen dargestellt, die den Felsen im Meer umspielen.


Ende des 19. Jhs. entstanden die ersten Bonseki-Schulen, wie bei Bonkei auch. Und wie dort waren sie auch bestrebt, die Gestaltungsmöglichkeiten zu erweitern und sich in gewissen Gestaltungsmomenten voneinander zu unterscheiden. Jetzt wird Bonseki zum Landschaftsgemälde entwickelt. Dem Vordergrund, der durch die Steinsetzung dreidimensional akzentuiert ist, wird ein Hintergrund hinzugefügt, der aus einer illusionistischen Sandmalerei besteht. Es entstehen eine Vielzahl von Techniken, wie man etwa Berge im Hintergrund, den Mond in Wolken oder einen Wasserfall mit Sand darstellt. Das Ergebnis kann einer Lackmalerei ähnlich sein. In der Tat hat man auch eine Variante entwickelt, die auf die Steine ganz verzichtet und nur noch ein Sand-Landschaftsgemälde darstellt: Bonga. Mit Leim fixiert, konnte man das auch an die Wand hängen.

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Illusionistisches Bonseki; im Vordergrund sind die Felsen durch Steine dargestellt, im Hintergrund durch Sandmalerei.


Viele der traditionellen japanischen Künste waren Laienkünste. Derartige Kunstformen sind stark von einem bestimmten sozialen Umfeld abhängig. Nach dem Aussterben der höheren Töchter war dieses soziale Umfeld für Bonseki wohl nicht mehr vorhanden. Von dem kulturellen Zusammenbruch durch den 2.Weltkrieg hat die Bonseki-Kunst sich nicht wirklich erholt. Heute gibt es noch eine relativ kleine Gemeinde von Bonsekifans und einige Schulen. Den Sprung in die Professionalisierung (und damit auch die Kommerzialisierung), der bei Bonsai gelungen ist, hat Bonseki nicht geschafft.

Ein Grund dafür ist sicher, dass Bonseki eine so kurzlebige Kunst ist. In der Tokonoma hält ein Bonseki einige Tage, aber wenn man aus Unachtsamkeit dagegen stößt, ist das Kunstwerk ruiniert. Für ein Zen-Kunstwerk ist das kein Mangel, sondern vielleicht sogar ein Vorteil. Es ist ein steter Hinweis auf die Vergänglichkeit und Unvollkommenheit der Welt, und die Notwendigkeit der steten Erneuerung der Sandschüttung kann Bonseki zu einer Zen-Übung machen. Aber für ein kommerzielles Kunstobjekt ist das ein Problem.

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Bildquellen

1. http://www.budismiinstituut.ee/pildid/f ... tempel.jpg
2. www5c.biglobe.ne.jp/~bonseki/main/gallery/index.htm
3. Irmtraud Schaarschmidt-Richter: Gartenkunst in Japan. München (Hirmer) 1999
4. Soen Yanagisawa: Tray Landscapes (Bonkei and Bonseki). Tokyo (Japan Travel Bureau) 1962 (3. Aufl.)
5. und 6. http://www.bonseki.gr.jp
Dateianhänge
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