Hachi-no-Ki - Bonsai auf der Bühne

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Hachi-no-Ki - Bonsai auf der Bühne

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von Gunter Lind

Das No-Spiel ist die traditionsreichste Form des japanischen Theaters. Es hat einen festlichen, würdevollen Charakter und ist Ausdruck der weitgehend zeremoniellen Lebensform der japanischen Aristokratie. Es ist ein multimediales Ereignis: Text, Musik, Pantomine, Tanz und prächtige Kostüme wirken zusammen. Dabei dominiert jedoch der Text, der in einer altertümlichen Hochsprache verfaßt ist.

Die Dramaturgie ist bis in jede Einzelheit festgelegt. Es gibt kein Stegreifspiel, jede Mimik hat ihre festgelegte Bedeutung. Das Ganze wirkt dadurch auf Europäer sehr künstlich, in beiden Wortbedeutungen: kunstvoll und unecht. Alle Bewegungen sind langsam, wie in Zeitlupe. Selbst der Tanz ist nicht eigentlich bewegt, sondern eine Abfolge schöner Bilder. Schlüsselbegriffe des No-Spiels sind "Monomane" (auf das Wesentliche abzielende Darstellung) und "Yugen" (Offenlegung verborgener Wahrheiten). Das bedeutet: sparsame Gesten und Aktionen, wenige Grundschritte, Reduktion des Textes auf den Kern der Aussage. Dadurch soll das Theater den naturalistischen Vordergrund durchdringen und die eigentliche Aussage klar hervortreten lassen.

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Rückwand einer No-bühne. Auf die Rückwand ist stets eine alte, knorrige Kiefer gemalt. Sie ist ein Symbol für die Anwesenheit der Götter, denn diese lassen sich bei ihrem Besuch gern in alten Bäumen nieder.

Das hier zum Ausdruck kommende ästhetische Ideal findet man auch in andern Sparten der japanischen Kunst, auch bei Bonsai. Die Gestaltung nach Regeln, die den Zufall möglichst weitgehend ausschließen sollen, die Beschränkung auf bestimmte Idealformen, das prächtige, dabei statische und würdige Gesamtbild des Baumes, die Auffassung des Baumes als Prototyp und nicht als Individuum - all das sind Kennzeichen, die mit der No-Ästhetik korrespondieren.

Viele der klassischen No-Stücke stammen aus dem 15.Jh., so auch das "Hachi-no-Ki" ("Die Bäume in der Schale"). Es wird dem Zeami Motokiyo (1363-1443) zugeschrieben, der als Vollender der No-Kunst gilt. Es soll auf einer historischen Begebenheit aus dem 13.Jh. beruhen, als ein Shogun inkognito das Land bereiste, um sich über die Zustände ein eigenes Bild zu machen.

Die Hauptpersonen sind der verarmte Samurai Tsuneyo Genzayemon, seine Frau und ein wandernder Mönch. Der Mönch klopft im tiefsten Winter an Tsuneyos Tür. Er wird aus Scham über die beschränkten eigenen Möglichkeiten nur zögernd aufgenommen, dann aber doch so gut es geht als Gast bewirtet. Um den Raum zu erwärmen, verbrennt Tsuneyo im Kohlebecken seine Bonsai, eines der wenigen Andenken, das ihm aus seinem früheren Leben als wohlhabender Samurai geblieben war. Am Feuer erzählt er, wie er sein Lehen durch die Intrigen von Verwandten verlor und gibt seiner Hoffnung Ausdruck, wenigstens im Krieg für den Shogun sterben zu dürfen, anstatt in Armut zugrunde zu gehen.

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Das Hachi-no-Ki auf der Bühne der japanischen No-Gesellschaft. Tsuneyos Fächer symbolisiert das Hackmesser, mit dem er die Bonsai abschlagen will. Das No-Spiel kommt fast ohne Requisiten aus. Auch die Bonsai stehen nicht auf der Bühne. Sie werden durch einen Kiefernzweig symbolisiert.

Im 2.Akt (ein halbes Jahr später) verbreitet der Shogun (der sich hinter jenem Wandermönch verbarg) das Gerücht, es drohe Krieg. Tsuneyo begibt sich in die Hauptstadt und steht dort mit seinem alten Klepper, abgetragener Rüstung und verrosteten Waffen zwischen den herausgeputzten Samurai. Der Shogun aber gibt ihm als Lohn für seine Treue sein Lehen zurück und noch einiges dazu. So hat das Gute mal wieder gesiegt.

Der eindrucksvollste Teil des Stückes ist die Szene, in der Tsuneyo das Opfer seiner Bäume vollzieht:
Du, Pflaumenbaum, an kahlen Ästen blühend, dicht am Fenster, schneebedeckt an der Nordseite, doch der erste, der die kalte Luft mit Blütenduft erfüllt, Vorbote des Frühlings: Du sollst zuerst fallen...
Du, Kirsche, weil in jedem Frühjahr deine Blüte nach allen andern kommt, hielt ich dich für einen Einsamen und hegte dich zärtlich; nun aber werde ich, ich allein einsam zurückgelassen und du, umgehauen, sollst mit der Flamme blühen.
Nun du, o Kiefer, deren Zweige ich noch einst, wenn sie alt geworden, zu beschneiden und zu stutzen dachte,..., Baum, den die Winde stets bekränzt mit Nebelschwaden, nun sollst du schimmernd in der Flamme brennen und brennen.

Eine englische Übersetzung des gesamten Textes findet man in
http://www.bonsai-fachforum.de/viewforum?f=43

Das Hachi-no-Ki ist ein eher untypisches No-Stück. Zum Beispiel enthält es als einziges klassisches Werk keine Tanzszene. In den meisten Stücken ist der Einbruch des Übernatürlichen in die Alltagswelt ein zentrales Motiv. In der dramatischen Konzeption spielen Götter, Teufel, Gespenster, Wiedergänger, Magie und Zauberei eine große Rolle. Gerade das Fehlen solcher Momente führt dazu, dass das Hachi-no-Ki auch heute noch seine Wirkung ausüben kann. Das Motiv, dass ein Mensch etwas ihm sehr ans Herz gewachsenes opfert, um den aus Überzeugung bejahten Pflichten nachzukommen, die die Sitte ihm auferlegt, lag wohl nicht nur dem Samurai-Publikum nahe.

Dem Bonsailiebhaber zeigt das Stück, dass die japanische Aristokratie bereits im 15.Jh. Bonsai kultivierte, und dass Kiefer, Kirsche und Pflaume beliebte Arten waren. Darüber, wie diese Bäume gestaltet waren, erfährt man aus dem Stück nichts.

Das No-Theater war aristokratisch. Das gemeine Volk war zu den Aufführungen nicht zugelassen und die steife Würde des No-Spiels entsprach wohl auch nicht seinem Geschmack. Das aufstrebende Bürgertum der großen Städte, das finanziell oft sehr gut gestellt war, schuf sich deshalb sein eigenes Theater, das Kabuki. Es entstand im 17.Jh. und hatte seinen Höhepunkt im 18. und 19. Jh. Das Bürgertum war allem Neuen gegenüber sehr aufgeschlossen und so gingen auch Elemente des europäischen Barocktheaters, die durch die Jesuitenmissionare in Japan bekannt wurden, in das Kabuki ein. Das Kabuki war immer Unterhaltung und stellte nicht den Anspruch, Kunst zu sein wie das No-Theater.

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Okumura Masanobu (1686-1764):Kabuki-Theater in Edo um die Mitte des 18. Jhs. Gespielt wird das historische Drama "Die Rache der Soga-Brüder". Die Laternen unter der Decke sind mit den Emblemen der Hauptdarsteller versehen. Der Laufsteg im Zuschauerraum diente als Zweitbühne. Die europäische Zentralperspekive ist Masanobu noch nicht so ganz gelungen.

Das Kabuki-Theater hat beliebte Stücke des No-Theaters übernommen und volkstümlich umgeschrieben, so auch das Hachi-no-Ki. Sie sahen hier allerdings wesentlich anders aus. Sprache, Kostüme und Ausstattung entsprachen der neuesten Mode, auch wenn die Handlung weit zurück lag. Alles war bunter, lebendiger und schneller als im No-Spiel. Auf die Ausstattung wurde viel Wert gelegt und der Text spielte nicht mehr eine so große Rolle. Auf die Logik der Handlung kam es nicht so an, wichtiger war es, die Stars zur Geltung zu bringen. Die Bedeutung des Übernatürlichen als dramatisches Motiv war eher noch größer als im No. Hinzu kam eine Freude an allem Absuden und Irrealen in der Handlung. Verwicklungen durch unwahrscheinliche Zufälle spielen eine große Rolle und bringen die Handlung oft ziemlich durcheinander. Das Spiel ist voll von Räubern, Grausamkeiten und Leuten mit schlechten Manieren, von Lastern und Verbrechen, oft gibt es eine unverhohlene Sympathie zur Halb- und Unterwelt. Man muss darin wohl ein Ventil sehen, den geheimen Wunsch des Publikums aus dem durch biedere Sitten und obrigkeitliche Verbote bis ins Kleinste reglementierten Alltag einmal auszubrechen. Kabuki war ausgeflippt.

In dieser Welt war das Hachi-no-Ki mit seiner klaren, einfachen Handlung und seiner Herausstellung aristokratischer Werte, wie Vasallentreue und Bewahrung von Würde und guten Sitten auch im Unglück, eigentlich ein Fremdkörper. Seine Beliebtheit kann man sich wohl nur dadurch erklären, dass das zentrale Motiv der Opferung der Bonsai auf dem Altar der Gastfreundschaft und der hier stellvertretend ausgetragene Konflikt zwischen der Liebe zur Natur und der Liebe zu den alten Sitten alle Japaner ansprach. Und man konnte ihn auch schön sentimental darstellen. Gefühlsausbrüche wurden gern ausführlich gezeigt und das Publikum vergoss Tränen. Vielleicht hat auch das Motiv des verarmten Samurai eine Rolle gespielt, denn es war aktuell. Das wohlhabende Bürgertum empfand es als einen Skandal, dass die Samurai weiterhin die Macht im Staat und das gesellschaftliche Ansehen für sich allein beanspruchten, obwohl viele von ihnen sich kaum noch einen standesgemäßen Lebensstil leisten konnten und bei den Bürgern verschuldet waren.

Im Zusammenhang mit Bonsai sind die Kabuki-Versionen des Hachi-no-Ki vor allem deswegen interessant, weil solche Theaterszenen, wie überhaupt das Leben in den Vergnügungsvierteln der Städte, zentrale Motive der Farbholzschnitte des 18. und 19.Jhs. sind. Es gibt eine ganze Reihe von Darstellungen aus dem Hachi-no-Ki und da hier die Bonsai im Mittelpunkt der Handlung stehen, sind sie auch entsprechend zentral dargestellt und stehen nicht nur als Requisit in einer Ecke.

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Utagawa Kunisada: Blatt aus Seicho Nanatsu Iroha, 1856


In dem Holzschnitt von Utagawa Kunisada (Toyokuni III ) ist die Szene der Bonsai-Opferung besonders dramatisch dargestellt. Während Tsuneyo mit großer Geste das Hackmesser schwingt, schaut der Mönch (mit Rosenkranz) im Hintergrund zu. Die drei Bonsai stehen in kostbaren Töpfen (Schalen scheinen damals in Japan vorwiegend für Landschaften üblich gewesen zu sein). Der Pflaumenbaum steht bereits in voller Blüte und auf den Blüten liegt der Schnee.

Das Blatt stammt aus einer Serie von 47 Holzschnitten, in denen jede Silbe des japanischen Alphabets durch eine Szene aus einem Kabuki-Stück illustriert ist. Hier ist es die Silbe Yu, für "Yuki hachi no Ki" (" Die Geschichte von den Bäumen im Topf"). Der obere Teil des Blattes mit den Schriftzeichen ist nicht abgebildet.

Viele Farbholzschnitte zeigen parodistische Elemente. Manchmal stellt das Bild das Gegenteil dessen dar, was sein Titel aussagt. Beliebt war es, Ort, Zeit und Personen zu vertauschen, etwa höfische Szenen aus einem historischen Epos in das Vergnügungsviertel von Edo zu transponieren. Eine solche Parodie stellt das folgende Bild dar. Hier schwingt eine junge, elegante Halbweltdame das Hackmesser und es fällt schwer, zu glauben, dass sie für jeden ihrer Gäste ihre Bonsai ruinierte.

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Das Blatt stammt von Suzuki Harunobu und dürfte gegen 1770 entstanden sein. Harunobu war einer der bedeutendsten Farbholzschnittmeister und war maßgeblich an der Entwicklung des Vielfarbendrucks beteiligt. Es gibt von ihm noch ein zweites, sehr ähnliches Blatt, mit stehender Dame. Er hat besonders gern anmutige junge Mädchen gemalt, nicht nur Kurtisanen, sondern auch Bürgermädchen.

Außer dem Hachi-no-Ki hat es noch einige andere Theaterstücke gegeben, die sich um Bonsai ranken, und zwar sowohl im Kabuki als auch im Kyogen, dem klassischen Lustspiel. Diese Stücke konnten es jedoch an Beliebtheit mit dem Hachi-no-Ki nicht aufnehmen.

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Bildquellen

1.http://www.bonsai-fachforum.de/viewforum?f=43
2.www.noh-umewaka.com/calendar/p0512_hachinoki.jpg
3. Marin Collcutt, Marius Jansen und Isao Kumakura: Cultural Atlas of Japan. Oxford (Phaidon) 1988
4.www.enpaku.waseda.ac.jp/db/enpakunishik , Nr. 293 unter Kunisada. Die Holzschnittkollektion des Tsubouchi Memorial Theatre Museum ist leider nur in japanischer Sprache zugänglich. Der Name muß also in japanisch eingegeben werden.
5. Woldemar von Seidlitz: Geschichte des japanischen Farbholzschnitts. Dresden (Wolfgang Jess) 1921 (3. Aufl.).
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