Die klassische Kiefer - Die Vorbilder des klassischen Kiefer

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Die klassische Kiefer - Die Vorbilder des klassischen Kiefer

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von Gunter Lind

Die Kiefer wird auf den Landschaftsbildern des fernen Ostens von allen Bäumen am häufigsten abgebildet. Sie gehört mit Pflaume und Bambus zu den "drei Freunden in der kalten Jahreszeit", die den Unbilden des Lebens trotzen und ihre Schönheit auch unter widrigen Umständen entfalten. Sie ist ein Symbol für Langlebigkeit und zähe Lebenskraft. Mit Schnee bedeckt drückt sie jugendliche Frische im Alter aus. So ist es fast selbstverständlich, dass sie auch seit Alters her als Penjing bzw. Bonsai geschätzt wird. Auf den ältesten Abbildungen von Baum-Penjing sind auch Kiefern zu sehen.

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Idealbild einer Kiefer

In einem älteren Bonsai-Buch fand ich das abgebildete "Idealbild" einer Kiefer. Die meisten Kiefern in Japans Wäldern kommen diesem Idealbild nicht nahe, eher schon manche Kiefern aus Gärten. Auch als Vorbild für den klassischen Kiefern-Bonsai wird man dies Idealbild nicht völlig akzeptieren: die Stammverjüngung ist schlecht, die Spitze der Krone könnte etwas schmaler sein und eine Stammwindung weniger hätte es auch getan. Aber das Bild zeigt doch den prinzipiellen Aufbau sehr plastisch und es zeigt die beiden Eigenschaften, die für den Charakter einer klassischen Bonsai-Kiefer unumgänglich sind: den Eindruck von Alter, der dem Symbolgehalt der Kiefer entspricht und den Eindruck männlicher Kraft. Und außerdem zeigt es, dass die klassische Bonsai- Kiefer kein moderner Baum ist. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich das Erscheinungsbild deutlich geändert, wobei die beiden zentralen Eigenschaften, Alter und Männlichkeit eher noch stärker herausgearbeitet wurden. Der gezeigte Baum von Kimura ist wesentlich kompakter als die klassische Kiefer. Trotz der Kompaktheit bleiben Bewegung des Stammes, Sichtbarkeit der Stammlinie, Etagenaufbau und Trennung von Nadelpolstern und Leerräumen erhalten.

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Kiefer von Masahiko Kimura, 1994

Im folgenden soll nach den Vorbildern des klassischen Kiefern-Bonsai in der bildenden Kunst Japans gefragt werden. Das Idealbild der Kiefer hat sich in der bildenden Kunst herausgebildet und dann natürlich auch die Gestaltung von Bonsai beeinflußt. Eine besondere Rolle hat dabei die dekorative Kunst gespielt.

Die Momoyama- und die beginnende Edo-Zeit sind durch große Prachtentfaltung in den Palästen der Herrschenden gekennzeichnet. Dies führte zu einer Blüte der dekorativen Kunst. Besonders charakteristisch war die großflächige Bemalung von Wänden, Stellschirmen und Schiebetüren. Das Selbstbewußtsein der Herrschenden drängte außerdem dazu, der Kunst etwas spezifisch japanisches zu verleihen, das sie vom chinesischen Import abhob. Das war noch keineswegs als Ablehnung der chinesischen Kultur gemeint, sondern konnte auch eine für Japan typische Weiterentwicklung meinen.

Ein großer Teil dieser dekorativen Kunst wurde von zwei Malerschulen geliefert, der Tosa- und der Kano-Schule, die beide über 300 Jahre die japanische Kunst prägten. Beides waren handwerkliche Familienbetriebe der Familien Tosa und Kano und ihrer Verwandten und beide wachten eifersüchtig über ihr Insiderwissen.

Die Tosa-Schule

Die Tosa-Schule widmete sich schwerpunktmäßig der Pflege des altjapanischen Erbes. Ihre Vorbilder waren die mittelalterlichen Bilderrollen, sowohl was die Sujets als auch was die Darstellungstechnik angeht. Diese wurden an die neuen monumentalen Formate angepaßt. Typisch sind buntes Kolorit, eine realistische Detailverliebtheit beim Erzählen der alten Geschichten und eine starke Abstraktion bei der Darstellung des umgebenden Ambientes. Die Tosa-Schule arbeitete überwiegend für den Kaiserhof und die Hofaristokratie, die besonderen Wert auf die Pflege der Tradition legten und auf die alten Zeiten, in denen sie noch was zu sagen gehabt hatten.

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Drei Kiefern von einem Wandschirm im Stil der Tosa-Schule (Ausschnitte). Der Schirm zeigt Szenen aus dem Roman vom Prinzen Genji, dem vielleicht beliebtesten mittelalterlichen Epos Japans. Mehrere solcher Szenen sind über den Wandschirm (3,8m x 1,7m) verteilt, getrennt durch Elemente von Gartenlandschaften, zu denen die Kiefern gehören.

Der mit Abstand häufigste Baum auf den Malereien ist die Kiefer. Sie wird in einer ganz bestimmten Art und Weise schematisiert, deren Wurzeln bis in die chinesische Malerei der Han-Zeit zurückreichen: Die lineare Struktur des Stammes und der Hauptäste wird detailliert ausgearbeitet und die Belaubung in schematisch-ornamentalen "Wolken" hinzugefügt. Die Zeichnung des Stammes entspricht weitgehend der chinesischen Tradition, knorrig, aber eher schlank und elegant. Die Belaubung ist durchweg üppiger als auf den chinesischen Vorlagen, aber es ist Wert gelegt auf eine klare Struktur, auf voneinander abgesetzte "Wolken" und trennende Leerräume.

Die meisten Schirme der Tosa-Schule sind an den mittelalterlichen Bildrollen orientiert. Es gibt jedoch auch einige, die der "modernen" Wanddekoration der Landschaftsdarstellung folgen. Für uns interessant ist das Hamamatsu-Motiv: Kiefern am Strand. Diese Schirme zeigen den Blick von einem mit Kiefern bestandenen Vordergrund auf das dahinter liegende Meer. Solche Landschaften gehörten zu den besonders bewunderten Naturschönheiten Japans. Auch bei der Kieferngruppe wird der geschilderte Einzelbaumtypus beibehalten, wobei Überschneidungen der Stämme ein zusätzliches dekoratives Element liefern.

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Tosa Mitsushige (1496-1559): Hamamatsu-Schirm

Diese Kiefern der Tosa-Schule haben schon einige Ähnlichkeit mit der klassischen Bonsaikiefer. Aber der Charakter des Baumes ist doch ein anderer. Die Linienführung der Tosa-Bäume ist kalligraphisch-elegant, oft sogar bewegt. Es fehlt die Maskulinität und zeremonielle Würde der Bonsai-Kiefer. Trotz aller Abstraktion haben die Tosa-Bäume etwas vom Charakter der typischen japanischen Schwarzkiefer bewahrt, der durch den schlanken, dabei knorrigen Stamm mit unvorhersehbaren Richtungswechseln gekennzeichnet ist. Was den Tosa-Bäumen noch fehlt, um zur klassischen Bonsai-Kiefer zu werden, finden wir bei den Konkurrenten der Tosa, bei den Kano.

Die Kano-Schule

Die Kano-Schule arbeitete in erster Linie für das Shogunat und den herrschenden Feudaladel. Sie war also eng mit der politischen und finanziellen Macht verbunden und das erklärt wohl auch ihre gegenüber der Tosa-Schule größere künstlerische Bedeutung und Innovationsleistung. Das Shogunat pflegte eine chinesisch-konfuzianische Ideologie, legte aber zugleich Wert darauf, diese mit japanischen Traditionen zu verbinden. Die Leistung der Kano-Schule war eine Synthese von chinesischer Tuschmalerei und traditioneller japanischer Maltechnik in einer Art und Weise, die dem Geschmack der Kriegerkaste entsprach. Der Gründer der Kano-Schule studierte chinesische Tuschmalerei in dem Kreis um Sesshu und entwickelte diese zu kraftvollen Kompositionen auf großen Flächen. Sein Sohn heiratete ein Mädchen aus dem Tosa-Clan und fügte dessen dekorative Farbigkeit hinzu.

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Kano Tanyu: Audienzhalle im Nijo- Schloß in Kyoto (~1635)

Das Ideal feudalen Wohnens war die ganzflächige Dekoration der Wände zumindest in der zentralen Empfangs- und Repräsentationshalle des Palastes. Besonders beliebt waren Jahreszeitenbilder, oft mit einem Baum als zentralem Motiv. Wenn die Gartenwand geöffnet war, ergab sich ein Rundumpanorama paradiesisch-dekorativer Natur. Die Wandbilder oder -schirme hatten oft einen Goldgrund. Auf diesen war mit kräftigen, weittragenden Pinselstrichen das Grundgerüst des Baumes gesetzt, in dem dann Details fein und farbig ausgemalt waren. Steine, Tiere, Andeutungen einer Gartenlandschaft konnten hinzugefügt werden. Die Bilder sind meist ohne Tiefe. Mittel- und Hintergrund, die den Tuschbildern ihre Räumlichkeit geben, fehlen oft ganz. Die dargestellten Gegenstände sind oft überlebensgroß. Eine Kiefer im Nijo-Schloß ist knapp 5m hoch und 14m breit.

Der Charakter der dargestellten Bäume ist stets gleich, einerlei ob Kiefer, Zypresse oder blühender Pflaumen- oder Kirschbaum: ein schwerer, alter Stamm, der sich mit kräftigen Wurzeln in den Boden krallt, wenige, oft bizarr geformte Äste, zu denen die Blütenpracht oder das jugendliche Grün der Blätter in Kontrast steht. Die Bäume sind viel weniger stereotyp als in der Tosa-Schule. Jeder hat seinen Charakter, aber alle sind männlich, kraftvoll, majestätisch, so wie die Samurai sich selbst gern sahen.

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Kano Eitoku (1543-1590): Zwei von 16 Schiebetüren im Jukoin- Tempel, blühender Pflaumenbaum

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Kano Eitoku (1543-1590): Wandschirm mit Kiefer, Farben auf Goldgrund

Diese Bäume vermitteln zwar einen ähnlich maskulin-zeremoniellen Gesamteindruck wie der klassische Kiefern-Bonsai, aber im Detail sind sie davon recht weit entfernt. Man sieht ihnen an, dass sie von der chinesischen Tuschmalerei abstammen und sie haben auch einiges von den Idealen der Literatenbäume bewahrt. Nur wird die elegant-stilvolle Lebensart der Literaten durch die maskuline Strenge der Samurai ersetzt.


Im 18. Jh. war die große Zeit der Kano- und der Tosa-Schule vorbei. Es kam zu gegenseitigen Entlehnungen und dabei entstanden auch Zeichnungen von Bäumen, die dem klassischen Kiefernbonsai schon recht nahe kommen. An anderer Stelle ist ein Fächer von Ogata Korin abgebildet, an dem man diese Entwicklung beobachten kann. Korin war einer der wenigen dekorativen Künstler jener Zeit, der weder zur Kano- noch zur Tosa-Schule gehörte, aber die Techniken beider beherrschte. Korin stand der Zen-Ästhetik nahe, obwohl er kein Anhänger des Zen-Buddhismus war, sondern einer Sekte angehörte. Hier sei noch ein anderer Fächer dieses Typs abgebildet, der von einem unbekannten Meister des 19. Jhs. aus der Schule Ogata Korins stammt. Auch die Kiefern auf den Rückwänden der No-Bühnen zeigen diesen Typus.

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Fächer mit Kiefer im Rimpa-Stil, 19. Jh.

Abbildungen solcher mächtig-kompakter Kiefern sind auch im 19. Jh noch nicht häufig. Das Ideal der "schönen" Kiefer war wohl noch wesentlich schlanker. Einen Eindruck geben die vielen Kiefern auf den Abbildungen bedeutender japanischer Gärten, die im 18. und 19. Jh. erschienen. Die hier abgebildete Kiefer ist ein Gartensolitär in einem berühmten Garten. Sie war sicher sorgsam beschnitten und in Form gezogen. Sie ist ein wenig kompakter als die Kiefern der Tosa-Schule, ähnelt ihnen aber im übrigen noch stark. Das gleiche gilt für Abbildungen von Kiefernbonsai auf Farbholzschnitten des 18. und 19. Jhs.

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Kiefer von einer Darstellung des Tenryuji aus dem 18. Jh.

Anfang des 19. Jhs. erschienen mehrere Bücher über Pflanzenzucht, in denen auch die Anzucht von Bonsai behandelt wird. In einem derselben (Somoku Kinyoshu 1829) findet sich eine öfters abgebildete, recht erstaunliche Schemazeichnung eines klassischen Kiefernbonsai, erstaunlich wegen des fast karikiernden Schematismus. Ähnlich stereotype Darstellungen von Bäumen gibt es in der japanischen Kunst nicht, einerlei ob Bäume in der Natur, im Garten oder Bonsai dargestellt sind. Aber hier wollte man wohl auch nur einige Gestaltungsprinzipien des Kiefern-Bonsai anschaulich visualisieren, denn im Begleittext wird ausgeführt, der Baum müsse überzeugend den Ausdruck einer alten Kiefer in der Natur zeigen, ohne dass irgendwo die Hand des Gestalters sichtbar bliebe. Es ist also an eine naturalistische Gestaltung gedacht, die gewissen Kennzeichen der Schemazeichnung folgt ( gleichmäßiges Nebari, gleichmäßige Stammverjüngung, Entspringen der Äste an den Stammaußenkurven...). Die Standards sind sehr hoch. So wird gefordert, der Baum dürfe keine Ansichtsseite haben, sondern müsse von allen Seiten ein gleich ausgewogenes Bild bieten. Auch wird verlangt, dass Stamm und Äste keine Unausgeglichenheiten besitzen dürfen, die den ausgewogenen Gesamteindruck stören würden.

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Schema der klassischen Kiefer , 1829

Ob solche Bäume damals schon existierten, wissen wir nicht, aber man kann vermuten, dass dem Autor jedenfalls als Ideal etwas vor Augen stand, das dem klassischen Kiefern-Bonsai recht nahe kam. Aber damit hat er wohl nicht einem allgemein anerkannten Gestaltungsideal Ausdruck verliehen, sondern eher einer Zukunftsvision. Erst zu Anfang des 20. Jhs. als durch den chinesisch-japanischen Krieg die "chinesische" Bonsaigestaltung plötzlich abgelehnt wurde, wurde der klassische Kiefern-Bonsai mit seiner "japanischen Vergangenheit" in der dekorativen Kunst des Schwertadels und des Hofes zu einem allgemeinen Modell.

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Bildquellen

1. Walter Schmidt: Die Kunst des japanischen Bonsai. Stuttgart (Ulmer) 1983 (3.Aufl.)
2. Francois Jeker:Ästhetik und Bonsai, Bd.1. Jeker Communication 2000
3.www.gallery-so.co.jp/byobu_genjimonogatari_saseki.html
4. Doris Croissant: Sotatsu und der Sotatsu-Stil. Wiesbaden (Franz Steiner) 1978
5.http://www.bonsai-fachforum.de/viewforum?f=43 ... L05_02.jpg
6.http://www.bonsai-fachforum.de/viewforum?f=43
7. Otto Kümmel: Die Kunst Ostasiens. Berlin (Bruno Cassirer) 1921
8.www.japankunst.de/faecher/images/400/fa7105.jpg
9. Konrad Wiese: Gartenkunst und Landschaftsgestaltung in Japan.Tübingen (Ernst Wasmuth) 1982
10. Hideo Marushima: The History of Bonsai. In: Nippon Bonsai Association: Classic Bonsai of Japan, übers von John Bester. Tokyo (Kodansha) 1989
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