Die Kunst des Zen - Kunst als Weg zum wahren Sein

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Die Kunst des Zen - Kunst als Weg zum wahren Sein

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von Gunter Lind

Zen (Chan) kam im 6.Jh. aus Indien nach China. Seit dem 13. Jh. kann man von einer eigenständigen Zen-Schule in Japan sprechen. Während Zen in China immer eine von mehreren buddhistischen Richtungen war und sein Einfluß außerhalb der Zen-Klöster nicht allzu groß, wurde es in Japan vom 13. bis zum 17. Jh. zu einer breiten Laienbewegung. Vor allem in der neuen Oberschicht der Samurai, die in der Kamakura-Zeit den alten Adel entmachtete, hatte Zen viele begeisterte Anhänger. Die Samurai waren ursprünglich Söldner und behielten ihr militärisches Selbstbewußtsein bei. Dem kam Zen mit der Betonung von Selbstbeherrschung, Disziplin und Strenge entgegen. Außerdem bot es die Möglichkeit, das Kriegshandwerk pseudoreligiös zu überhöhen, Schwertkampf und Bogenschießen zu einer Art Meditationsübungen zu machen. In der chinesischen Oberschicht der Literaten-Beamten hat Zen hingegen nur wenige Anhänger gewinnen können. Es paßte einfach nicht in diesen intellektuellen Kreis. In der Edo-Zeit nahm mit dem politischen Einfluß der Samurai auch der Einfluß des Zen langsam ab. Das aufstrebende Bürgertum setzte sich bewusst von der elitären Samuraikultur ab. Diese zeigte außerdem Elemente von Formalisierung und Stagnation. Erst im 20.Jh. wurde Zen wieder "modern", als ein Gegenpol gegen die Verwestlichung der japanischen Kultur.

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Liang Kai (frühes 13.Jh.): Der sechste Patriarch des Zen beim Zerreißen von Sutras. In Analogie stelle man sich vor, in der christlichen Kunst wäre ein Kirchenvater beim Zerreißen der Bibel dargestellt. Liang Kai war an der kaiserlich-chinesischen Akademie tätig.


Das hervorstechende Kennzeichen von Zen gegenüber andern buddhistischen Richtungen ist seine Anti-Intellektualität. Zen bekämpft die verstandesmäßige Erkenntnis und propagiert den direkten, intuitiven Einblick in die übernatürlichen Wahrheiten. Es gibt keine heiligen Schriften, keine Dogmen, keine Mythen. Lao-tse soll gesagt haben: Wer weiß, spricht nicht. Wer spricht, weiß nicht. Erkenntnis oder gar Erleuchtung geschieht im Erlebnis, situativ und unplanbar. Man kann sich nur darauf vorbereiten, und diese Vorbereitung ist keine intellektuelle, auch keine moralische, sondern viel eher eine ästhetische. Man umgibt sich mit Dingen, die jenes Gefühl tiefer Einsamkeit und Leere ausstrahlen, das der Erleuchtung vorausgeht.

Zen meidet demnach analytische Betrachtungen und bevorzugt den poetischen und bildlichen Ausdruck. Oft ist beides ineinander verwoben, wie in der Landschaft von Hakuin Ekaku (1685-1768), die ein typisches Beispiel der Zen-Malerei darstellt. Hakuin bemühte sich um eine Erneuerung des Zen, um der bürgerlichen Gesellschaft gerecht zu werden. Er gilt als der Begründer des neuzeitlichen Zen.

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Das Bild zeigt eine reetgedeckte Hütte neben einer Kiefer und einem Bambusbusch, in der Ferne der Mond über Bergen. Mitten in das Bild hineingeschrieben ist ein Gedicht:
Im Häuslein hinter dem Kiefernbaum
brüht den Tee des Meisters Chao-chou.
Dem Mond über den Bergen
angehängt der Bohnenkuchen des Meisters Yün-men.

Der Vers nimmt Bezug auf zwei alte Zen-Dialoge, die beide genauso paradox sind wie das Gedicht selbst.
1. Meister Chao-chou fragt einen ihn besuchenden Mönch, ob er schon einmal hier gewesen sei. Als dieser verneint, sagt er: Trink eine Schale Tee! Einem zweiten Gast stellt er die gleiche Frage und als dieser bejaht, sagt er: Trink eine Schale Tee! Darauf fragt ihn der Klostervorsteher, warum er beiden das gleiche geantwortet habe. Darauf der Meister: Trink eine Schale Tee!
2. Ein Mönch fragte Meister Yün-men: Was ist die Erklärung dafür, über Buddha und Patriarchen erhaben zu sein? Die Antwort des Meisters: Es ist ein mit Mohn bestreuter Bohnenkuchen.
Solche Fragen mit nicht dazu passenden Antworten sind typisch für die Zen-Dialoge. Etwas, das wir als Antwort bezeichnen würden, erhält der fragende Mönch nie. Er muß schon froh sein, wenn der Meister überhaupt etwas sagt und ihm nicht anstatt dessen eine Tracht Prügel verabreicht. Tee trinken, Kuchen essen oder Schläge führen anscheinend eher zur Erleuchtung als rationale Argumente.

Die Zen-Kunst ist nicht zum Schmuck der Klöster oder Paläste gedacht gewesen, sondern sie dient dem Verständnis des Zen, insbesondere dem Nachsinnen über die überlieferten Aussprüche der Meister, das eine Grundlage zur Erreichung der Erleuchtung sein soll. Das Bild ist letztlich ein Aufruf zur Überwindung der Welt durch die Schau ins eigene Innere. Das Malen eines Bildes kann als eine Art der religiösen Übung aufgefaßt werden. Dazu paßt auch, dass ein Motiv gern in vielen Varianten wiederholt wird. Als Beispiel mehrere Fassungen einer Topflandschaft von Hakuin Ekaku.

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Die bevorzugten Kunstformen der chinesischen Zen-Mönche waren Kalligraphie und Malerei, genau wie bei den Literaten. Und es gibt auch eine Reihe von Parallelen zur Literatenmalerei. Allerdings ist die Zen-Malerei wilder, schneller, spontaner. Das Bild wird oft in einem Zug hingeworfen, die Gegenstände werden nicht genau dargestellt, es gibt kaum elaborierte Kompositionen. Wilde, dicke Linien, in denen manche Einzelheiten verschwinden, werden bevorzugt. In China lag der Höhepunkt dieser Kunst im 13.Jh.

Charakteristisch für Japan ist, dass eine ganze Reihe von Kunstformen hinzutreten, die es in China nicht gibt: das No-Spiel, die Haiku-Dichtung, der Teekult, der Schwertkult, der Zen-Garten. Zen wird hier zu einer Art Lebensanschauung, die alle Lebensbereiche zu einem Zen-Gesamtkunstwerk macht.

Hoseki Shinichi Hisamatsu (Zen and the Fine Arts, übers. von Gishin Tokiwa. Tokyo 1971) hat versucht, das Charakteristische der Zen-Kunst durch sieben Eigenschaften zu beschreiben, die heute wohl als die treffendste Kennzeichnung gelten. Er betont, dass es nicht im Sinn des Zen sei, diese Charakteristika analytisch zu trennen, dass sie vielmehr ein untrennbares Ganzes bilden. Ein Kunstwerk muß also alle diese Charakteristika besitzen, wenn es der Zen-Kunst genügen will.

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Mu Chi (spätes 13. /frühes 14.Jh.): Kakipflaumen. Mu Chi gilt als der größte monochrome Tuschmaler der Zen-Tradition. Er war Priester und baute am Ufer des berühmten Westsees in Hangzhou ein verfallenes Kloster wieder auf, wo er wirkte.


1. Asymmetrie. Für den Buddhisten ist eine perfekte Form unmöglich. Es muß deshalb auch abgelehnt werden, sie anzustreben. Jedes Ding ist irgendwo irregulär, nicht ausbalanciert, informell. Das soll sich im Kunstwerk widerspiegeln.
2. Einfachheit, Schlichtheit, Vermeidung von Komplexität. Ein Bonsai soll nicht mehr enthalten, als notwendig ist.
3. Schmucklose Erhabenheit. Zen-Kunst ist nicht jugendlich, sinnenfreudig und üppig. Sie paßt zu vorgerücktem Alter und zeigt eine gewisse Strenge und Essentialität. Die Entfernung alles äußeren Glanzes soll auf den Kern der Aussage hinleiten. Die wettergegerbten Äste einer alten Kiefer, die in Sturm und Schnee knochig und ausgemergelt geworden sind, zeigen diese Erhabenheit.
4. Natürlichkeit. Der Begriff bedarf einer Interpretation. Gemeint ist nicht die Kiefer, die zufällig in der Natur vorkommt, sondern die Kiefer, die so aussieht, wie eine Kiefer eigentlich ist, die originale Kiefer. Sie soll nicht künstlich aussehen, auch nicht kunstfertig, sondern ungezwungen, so als sei sie immer schon so gewesen und könne nicht anders sein, so als habe sie nie eine Menschenhand gestaltet.
5. Tiefgründigkeit oder schweigsame Tiefe. Das Kunstwerk soll mehr ausdrücken als der gezeigte Gegenstand. Die Kiefer ist nicht nur eine Kiefer. Sie kann Altehrwürdigkeit, Durchhaltewillen, Winter, Todesnähe oder männliche Kraft symbolisieren. Intendiert sind Implikationsreichtum, Assoziationsvielfalt, Gedankenschwere, Andeutungen, die manches zulassen, durchaus auch eine gewisse Unklarheit. Der Baum soll nicht leicht zu durchschauen sein. Sein Wesen mag zunächst verdeckt sein und sich erst schrittweise erschließen.
6. Freiheit von allem Irdischen, von Gewohnheiten, Konventionen, Sitten, Regeln. Zen akzeptiert keine Zwänge im Denken und Handeln. Das Überschreiten konventioneller Sicht- und Denkweisen ist für Zen konstitutiv. Die Kiefer, der man ansieht, dass sie gemäß den klassischen Regeln eines streng aufrechten Baumes gestaltet wurde, erfüllt den Anspruch der Zen-Ästhetik nicht.
7. Stille, Einsamkeit, Seelenruhe. Dies ist das Gefühl, das ein Baum vermitteln soll. Zen-Kunst ist nach Innen orientiert. Alles, was diese Ruhe stört, ist zu eliminieren.

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Mu Chi: Sonnenuntergang in einem Fischerdorf (Ausschnitt).

Natürlich muß man eine solche begriffliche Kennzeichnung mit einer gewissen Vorsicht betrachten, denn nach der Überzeugung des Zen sind die Kennzeichen seiner Ästhetik genau so wenig in Begriffe zu fassen, wie Erkenntnis überhaupt. Aber ich denke, dass Hisamatsu der Sache doch recht nahe gekommen ist, auch wenn vielleicht in der künstlerischen Erfahrung noch eine weitere Qualität hinzukommen mag.

Diese künstlerische Erfahrung ist im Prinzip für jeden erreichbar. Nehmen wir als Beispiel Chabana, die für die Teezeremonie geschaffene Form des Ikebana. Im Vergleich zu den künstlichen Ikebana-Kreationen wirkt Chabana schlicht: eine rustikale Vase, ein oder zwei Blüten, einige Blätter oder Ranken. Und während Ikebana die Beherrschung eines komplexen Regelwerks verlangt, gibt es für Chabana keine Regeln. Allerdings wird gerade das in den Ikebana-Schulen als eine Schwierigkeit angesehen. Regeln können gerade dem Anfänger eine Hilfe sein. Hisamatsu meint, Anfänger tendierten dazu, sich beim Chabana selbst Regeln zu geben und kämen so zu uniformen Gestaltungen. Chabana sei nicht einfach eine naiv-regellose Gestaltung, sondern eine Gestaltung jenseits der Regeln. Wer die Regeln internalisiert hat, kann sie auch souverän mißachten, oder neue erfinden, wenn dies den Zen-Charakter seines Werkes erhöht. Primär ist der Zen-Charakter des Werkes. Ob dieser mit Hilfe oder ohne Regeln erreicht wird, ist irrelevant. Regeln sollen ermöglichen, nicht binden.

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Chabana

Peter Chan (Bonsai Masterclass, New York 1988) hat die sieben Charakteristika Hisamatsus auf die Gestaltung von Bonsai übertragen. Er bringt alle sieben in einen Zusammenhang mit Wabi-Sabi (während Hisamatsu dies explizit nur beim dritten und vierten Charakteristikum tut). Vielleicht kann man Wabi-Sabi als eine Exemplifizierung der sieben Charakteristika ansehen, die besonders auf die Dinge des Alltags bezogen ist. Außerdem ist in Wabi-Sabi der ästhetische Gehalt stärker von dem zenbuddhistischen Hintergrund gelöst als bei Hisamatsu. Und das führt dazu, dass Wabi-sabi für den europäischen Gestalter wohl das handhabbarere Konzept ist.

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Bildquellen

1, 4 und 5: Shinichi Hisamatsu: Zen and the Fine Arts, übers. von Gishin Tokiwa, Tokyo (Kodansha) 1971
2. Kurt Brasch: Zenga, Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde, Supplementband 25, Tokyo 1961
3. oben links: Kurt Brasch, a.a.O.; oben Mitte :www.gallery-so.co.jp/jiku.html , inzwischen gelöscht; unten links und rechts :www.zenpaintings.com , in Artikeln von Belinda Sweet; unten Mitte :www.terebess.hu/zen/hakuin/hakuin32.html
4.http://www.bonsai-fachforum.de/viewforum?f=43
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