Castiglione, Giuseppe (1688-1766) - Ein europäischer Maler in China

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Castiglione, Giuseppe (1688-1766) - Ein europäischer Maler in China

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von Gunter Lind

Unter Kaiser Kang Xi (reg. 1662-1720) gab es rege kulturelle Beziehungen zwischen China und Europa. Ein beträchtlicher Teil dieser Kontakte wurde durch Jesuiten vermittelt, die auch relativ frei ihrer missionarischen Tätigkeit nachgehen konnten. In einer Ecke der verbotenen Stadt gab es einen Werkstattbereich, in dem chinesische und jesuitische Künstler und Techniker zusammenarbeiteten. Auch als unter Kang Xis Nachfolgern Christenverfolgungen einsetzten, wurden die Dienste der Jesuiten bei Hof weiterhin geschätzt.

Giuseppe Castiglione wurde in Mailand geboren und erhielt in seiner Jugend eine gute Kunstausbildung. Nachdem er Jesuit geworden war, ging er 1715 als Missionar nach China und blieb dort bis zu seinem Tod. Er wurde bald Hofmaler und war bei Hofe sehr beliebt. Besonders zu Kaiser Qianlong (reg. 1735-1796), der ein großer Kunstliebhaber war, hatte er ein vertrauensvolles Verhältnis. Er versuchte, seine Stellung auszunutzen, um Verfolgungen von Ordensbrüdern zu verhindern, mit wechselndem Erfolg. Er signierte seine Werke mit seinem chinesischen Namen Lang Shi-ning. Er beherrschte auch die chinesischen Maltechniken und schuf einen eklektischen Stil, in dem er chinesische Tuschmalerei und westlichen Naturalismus in dekorativer Weise miteinander verband. Er hatte viele Schüler und hat die Hofmalerei stark beeinflusst. Es waren vor allem zwei Dinge, die die chinesischen Kollegen von ihm lernten, die Perspektive und die Hell-Dunkel-Schattierung zur Erreichung von Räumlichkeit. Sein Einfluß beschränkte sich jedoch weitgehend auf die Malerei bei Hofe. Die chinesische Malerei insgesamt hat westliche Techniken wesentlich zögernder aufgenommen. Auch die chinesischen Künstler in Kanton und Hongkong, die für den Export nach Europa malten und europäischem Geschmack Rechnung trugen, haben die chinesische Malerei kaum beeinflusst.

Interessant ist das Urteil eines chinesischen Malerkollegen von Castiglione über die europäische Malerei. Er lobt vor allem die Perspektive und den Naturalismus. "Wenn sie einen Palast oder ein Haus an die Wand malen, fühlt man sich fast eingeladen, einzutreten". Hingegen tadelt er die Pinseltechnik. "Aber ihre Pinseltechnik ist nicht der Rede wert. Selbst wenn sie Perfektion erreichen, ist es nur Handwerkerarbeit. Deshalb kann man die ausländische Malerei nicht Kunst nennen". Die durch jahrelange kalligraphische Übungen erreichte persönliche Handschrift der Pinselführung, die nach fernöstlichem Urteil das originelle, individuelle eines Künstlers wesentlich ausmachte, war nicht so leicht zu erlernen.

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In dem Bild "100 Pferde", von dem hier ein Ausschnitt gezeigt ist, verbindet Castiglione die beiden Traditionen. Die Einzelheiten, besonders Bäume und Pferde sind europäisch gemalt. Die Auffassung der Landschaft nimmt aber trotz perspektivischer Tiefe auch chinesische Elemente auf: Nebelschwaden, Felsberge im Stil der Nordschule, das Verschwimmen in der Ferne. Vor allem das Format ist ganz chinesisch, eine Querrolle mit den enormen Ausmaßen von 95cm x 776cm. Castiglione hat oft Pferde malen müssen, denn die Kaiser liebten Pferde, allen voran Qianlong. Unterworfene Völker entrichteten einen symbolischen Tribut in Form von Pferden, die dann oft im Bild festgehalten wurden.

Bildquelle:www.people.cornell.edu/pages/anc6/image ... horses.jpg
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