Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

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MerschelMarco
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Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

Beitrag von MerschelMarco »

Da hat nun ein eigenartiger Wettkampf stattgefunden mit zwei Parteien, die sich nicht kennen, und unterschiedlicher Intention.

Die Steinweichsel kenne ich seit längerem, jeder der mit Bonsai zu tun hat müßte die toll finden. Die steht mitten in einem Felsabbruch eines ehemaligen Steinbruchs mit freistehenden Wurzeln, wobei ich mich schon immer gefragt habe, weshalb der Fels da so massiv freierodiert und dadurch die Steinweichsel früher oder später zwangsweise runterfallen muß. Sammelbar war der Baum so nicht, weil die Wurzeln alle mitten in den Fels reinwachsen.

Im Frühjahr diesen Jahres hat sich die Situation weiter zugespitzt und da wollte ich einen Versuch wagen den Baum vor Ort abzumoosen. Dazu muß man wissen, man sieht es auch auf den Bildern, dass die insgesamt vier Hauptwurzeln zwischen 5 und 10 cm stark sind. Die Saison mit den Wetterkapriolen war für eine solche Abmoosaktion sicher suboptimal, entsprechend tief waren die Erwartungen angesetzt. Beim Nachschauen vor etwa drei Wochen zeigten sich zu meiner Freude einige Wurzelspitzen. Zum Abtrennen der Pflanze war es noch zu früh, andererseits wurde es langsam dramatisch. Die vermeintliche Erosion wird vermutlich von Fossiliensammlern verursacht, die dort Kalkplatten abbauen und die machen sich genau dort zu schaffen.
Gestern dann wollte ich den Baum holen und der Schock war groß. Der Baum fing schon an vorneüberzu kippen, alles war mit Kalkplatten zugestellt. Nur ein paar Tage später wäre er sicher hinüber gewesen.

Zuhause zeigte der Baum eine schier unglaubliche Wurzelbildung, sodass man vorsichtig optimistisch sein darf.

Der Baum ist mit dem Jin 85 cm hoch und sollte er anwachsen wird man sicher weiter davon hören.

Viele Grüße,
Marco
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entfernen der Rinde bis zum Holz
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fertig verpackt!
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nach dem Entfernen der Folie.
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Totholzdetail
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Herbert A
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Re: Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

Beitrag von Herbert A »

Hi Marco,

ein sehr aufschlussreicher Bericht. Ich wusste nicht dass Laubbäume im Herbst auch noch einmal ein starkes Wurzelwachstum haben. Bisher kannte ich das nur von Kiefern.

Hast Du vor dem einsetzen in die Holzkiste das Sphagnummoos entfernt?

lg
Herbert
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MerschelMarco
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Re: Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

Beitrag von MerschelMarco »

Herbert,

als ich vor drei Wochen wegen der Wurzeln nachschaute, ging das über ein kleines Loch auf der Oberseite der abzumoosenden Wurzeln. Das Moos war da ziemlich trocken und nur vereinzelte Wurzeln zeigten sich. Letztendlich waren dann aber fast alle Wurzeln an der Unterseite enstanden, was irgendwie auch logisch ist, wegen der Temperaturschwankungen und der Feuchtigkeitsverhältnisse innerhalb so eines Abmoospaketes. Also ist davon auszugehen, dass die Wurzeln vor 3 Wochen so auch schon da waren.

Das verwendete Moos ist nicht mal Spagnum (habe da keine Quelle dafür), sondern welches, das direkt vor Ort war. Auch wurde kein Hormon verwendet.
Der Baum ist mit dem Mooos eingepflanzt. Die Wurzeln sind zum einen ziemlich brüchig, zum anderen ist das so ein Block, der nicht ohne erheblichen Schaden auseinandergefieselt werden kann.
Siehst du da einen Nachteil?

Grüße,
Marco
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Herbert A
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Re: Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

Beitrag von Herbert A »

Servus Marco,
MerschelMarco hat geschrieben:Siehst du da einen Nachteil?
Wenn man einen Baum ausgräbt und noch mit der Muttererde (weil nicht gefahrlos zu entfernen)
einsetzt, dann habe ich oftmals nach 2 Jahren beim neuerlichen umtopfen gesehen dass folgendes passiert. In den Bereichen, in denen wenig Mutterboden, jedoch offenes Substat ist, sind die Wurzeln gut gewachsen. In den Bereichen mit viel Muttererde schaut das meistens anders aus. Da befinden sich oft viele abgestorbene Wurzeln.

In diesen Bereichen kann der Baum in der Schale oder Kiste nicht richtig abtrocknen.

Das selbe passiert wenn das Moos zu lange dran bleibt. Eine abgemooste Kiefer wäre mir fast nach 3 Jahren eingegangen. Nach der Entfernung des Mooses gab es keine Probleme mehr.

Ich würde das jetzt so lassen wie es ist und einfach sorgfältig gießen. In 1-2 Jahren würde ich das Moos herausarbeiten. Bis dahin sie die Wurzeln ohnehin schon stabiler.

lg
Herbert
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Norbert_S
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Re: Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

Beitrag von Norbert_S »

Toller Rohling, Marco.

Die Mahaleb wird noch bis zum richtigen Frost weiter Wurzeln bilden. Da sind also noch ein paar Wochen Wachstum möglich.
Den Winter würde ich sie gut eingepackt oder im Klathaus lassen. Die Entscheidung nicht zuviel an den brüchigen neuen Wurzeln zu zupfen um das Mos zu entfernen halte ich bei deinem groben Substrat für richtig.
Die Angst vor zögerlichem Wurzelwachstum lese ich immer wieder, dabei ist der Herbst bis in den Winter hinein eine Hauptpflanzzeit im gewerbliche Gärtnerwesen.
Norbert

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Re: Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

Beitrag von Heike_vG »

Sehr spannender und inspirierender Bericht, Marco!
Ich drücke die Daumen, dass der Baum gut anwächst, aber ich bin da sehr zuversichtlich.

Liebe Grüße,

Heike
Ein halber Schritt in die richtige Richtung ist oftmals ein Reinfall...

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bonsaiheiner
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Re: Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

Beitrag von bonsaiheiner »

Hallo,

das scheint wieder so ein "Alle-mal-aufgepasst"-Thread à la Marco zu werden. Dabei steht uns das Spannendste noch bevor, nämlich die oberirdische Bonsaientstehung. Mit Blick auf die weitere Wurzelstabilisierung und mithin Überleben der Mahaleb bin ich doch sehr zuversichtlich.

Beste Grüsse,
Heiner
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MerschelMarco
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Re: Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

Beitrag von MerschelMarco »

So mögen wir das! :-D

Der Baum stand am Boden und ist dort dann auch prompt festgewachsen. Im Frühjahr werden dann einige Triebe rausgeschnitten, die übrigen am Ansatz gedrahtet aber erst mal nicht zurückgeschnitten um möglichst viel Dickenwachstum am Übergang zu erhalten. Mit der Totholzbearbeitung der Stümpfe lasse ich mir noch bis nächstes Jahr Zeit; auch Stümpfe die nicht ausgetrieben haben harzen noch was heißen kann, dass sie vielleicht nächstes Frühjahr noch austreiben.

Grüße,
Marco
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Norbert_S
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Re: Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

Beitrag von Norbert_S »

Nicht wirklich überraschend,Marco, aber jetzt muss die Vorfreude ja nicht mehr gezügelt werden.

Bei meinen Abmoosungen habe ich dann im Folgefrühjahr neu eingetopft und dabei gleich das Moos entfernt und die Wurzeln geordnet.
Wurzelselektion erst beim nächsten umtopfen aber spätestens in zwei Jahren. Denn es werden sich so viele neue Wurzeln gebildet haben, die besser zu selektieren sind im Hinblick auf ein gutes späteres Nebari.
Aber wem schreibe ich das!?!
Norbert

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Re: Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

Beitrag von MerschelMarco »

Norbert,
ich bin etwas hin- und hergerissen. Umtopfen gleich nächstes Frühjahr oder nochmals vollgas durchtreiben lassen und das Jahr darauf umtopfen. Wahrscheinlich hast du recht in deiner Vorgehensweise, v.a. weil auch interessante Partien noch unter der Erde sind und diese ja letzlich auch die Pflanzposition und damit die Kronengestaltung mit beeinflussen. Die Wurzeln sollten auch soweit stabilisiert sein um das Moos rausfieseln zu können.

Grüße,
Marco
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Norbert_S
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Re: Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

Beitrag von Norbert_S »

Marco,
meine Erfahrungen beruhen da vor allem auf Acer und Ulmus. Ich denke aber, die Reaktionen und Entwicklungen der Wurzeln sind bei der Mahaleb nicht wesentlich anders.

Du wirst sehr übrrascht sein, wie die Kiste im Frühjahr durchwurzelt ist.

Die Wurzeln sind auf alle Fälle soweit stabilisiert und vor allem haben sie ihre Brüchigkeit verloren. Die gesamte Abmoosstelle wirst du reinigen können. Darüber hinaus wirst du dann schon unterschiedlich starke Wurzeln sehen, evtl. auch Bereiche, wo noch keine sind. Dort kannst du notfalls den Kallus noch einmal nachschneiden.
Die starken Wurzeln schön orden und die schwachen dazwischen guten Mutes gleich herausreißen. Das ist der erste Schritt zum schönen Nebari.
Die weitere Selektion und vor allen das einkürzen der starken Wurzeln dann im Folgejahr und eins drauf.
Norbert

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Herbert A
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Re: Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

Beitrag von Herbert A »

Servus Marco,

es ist eine Freude zu sehen dass die Mahaleb wieder schön kräftig geworden ist.
Wenn Du keinen extrem starken Wurzelschnitt machst, hindert das die Mahaleb kaum im Wachstum.
Ich freue mich schon die weitere Entwicklung mitverfolgen zu dürfen.

lg
Herbert
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maexart
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Re: Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

Beitrag von maexart »

Wirklich tolles rohmaterial und auch ne super Geschichte :)

Ich mein Mich freuts zwar dass ich zu dem Baum schreiben kann
aber er hätte eigentlich seinen Platz in der Master class verdient :)

Mfg
maex
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MerschelMarco
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Re: Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

Beitrag von MerschelMarco »

Der Baum jetzt umgetopft. Anbei auch eine mögliche Zukunftsvision.

Grüße,
Marco
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Norbert_S
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Re: Steinweichsel -Wettkampf gegen die Zeit-

Beitrag von Norbert_S »

Hallo Marco

Wie sahen denn die Wurzeln aus, so wie vermutet?

Eine Mondschale wäre mir bei dem eindrucksvollen Rohling nicht eingefallen.
Norbert

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