Abwehrsytem eines Baumes nach Shigo (Zusammenfassung) - Überblick über die Abwehr des Holzes

"Was kann so'n Baum gegen Feinde tun und warum?"
Antworten
Benutzeravatar
holgerb
BFF-Autor
Beiträge: 5215
Registriert: 22.09.2004, 17:24
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Abwehrsytem eines Baumes nach Shigo (Zusammenfassung) - Überblick über die Abwehr des Holzes

Beitrag von holgerb »

Die Abwehrprozesse eines Baumes verstärken die bereits vorhandenen anatomischen Merkmale und Prozesse. Dadurch wird ein höhere Schutzfunktion erreicht. Die Effektivität dieser Prozesse ist abhängig vom genetischen Programm (DNS) des Wirts und des Pathogens (Krankheitserreger), von den Energiereserven des Wirts und den Umweltbedingungen.

Aufschnitt einer Höhlung an der Stammbasis
Aufschnitt einer Höhlung an der Stammbasis
stmbsauf.jpg (19.86 KiB) 1346 mal betrachtet

Bäume sind hochkompartimentierte, verholzte, mehrjährige Pflanzen. Sie können ihr Verhältnis von Masse zu Energie durch Abwurf von Teilen und durch das Versetzen alternden Holzes in einen höheren Schutzzustand regulieren. In jeder Wachstumsperiode werden an neuen Orten neue Teile gebildet. Diese Teile wachsen über einem sich vergrößerndem verholztem Gerüst oder Kern. Wird ein Baum verwundet und infiziert, so verstärken sich die normalen Prozesse der Kompartimentierung und der Schutzholzbildung. Kompartimentierung ist der Prozess, der in einen Zustand höherer Schutzbereitschaft führt.
Diese Abwehrprozesse können zwar die Ausbreitung des Pathogens nicht stoppen, aber sie können ihm widerstehen. Sie schützen Transport-, Speicher- und Stützsysteme des Baumes.

Verschiedene Arten des Schutzholzes:
1.durch genetische Kontrolle unterliegender Alterungsprozeß - Kernholz (Einlagerung von Gummi, Harz u. ä. (?Einbalsamierung?)
2.Durch Austrocknung des Holzes
3.Durch Vernässung des Holzes, Erhöhung der Konzentration von Mikroelementen und Wasser, Anstieg des pH-Wertes ? Naßkern
4.Durch Verbrauch aller Nährstoffreserven ? Falschkern
5.Durch die Bildung antimikrobieller Substanzen ? frühe Stadien verfärbten Holzes

Wird ?echtes? Kernholz verletzt, so bilden sich Grenzzonen aus verfärbten Holz. Dies deutet auf Energiereserven hin, bzw. das Vorhandensein von Enzymen, die bei Sauerstoffzutritt noch reagieren können, obwohl die Holzzellen eigentlich tot sind.

Wird falsches Kernholz verwundet oder bereits verfärbtes Holz ein zweites Mal verwundet, entstehen keine neuen Grenzzonen. Beide besitzen weder Energiereserven noch Enzyme -das Ergebnis eines Abwehrprozesses, diese Gewebe können sich nicht weiter verändern.

Der Prozeß der Abwehr ist dynamisch, es wird ständig aktiv gehandelt.
Vergleiche: Hochwasserbarriere aus Sandsäcken. Durchgeweichte stellen müssen ausgebessert, eindringendes Wasser zurückgedrängt werden.

letzter Jahresring abgestorben, aber Bildung einer Grenze
letzter Jahresring abgestorben, aber Bildung einer Grenze
toterjahrring.jpg (56.01 KiB) 1341 mal betrachtet


Wie Kernholz auf Verwundungen reagiert wird noch nicht verstanden, aber daß es reagiert ist eine Tatsache. Möglicherweise spielen Substanzen der Pathogene bei der Ausbildung der Grenzzonen eine Rolle.

Sehr trockenes oder sehr nasses Holz wird nur selten von holzzerstörenden Pilzen besiedelt. Trockenes muss feuchter und zu nasses muß trockener werden, um angegriffen werden zu können. Sehr trockenes oder sehr nasses Holz kann also einen höheren Schutz aufweisen.
Sehr feuchtes Holz widersteht der Fäule. Der Naßkern ist zwar eine Erkrankung des Holzes. Er wird meistens von Bakterien hervorgerufen, die unter Sauerstoffarmut leben können. Dennoch, aufgrund der großen Menge an Wasser, der Luftarmut und des hohen pH-Wertes wachsen holzzerstörende Pilze nur selten in dieser Zone.
Vergleich: besser einen Fuchs im Hof der täglich ein Huhn frißt, als hundert Füchse draussen, mit der Gefahr alle Hühner zu verlieren.

Physiologie und Anatomie der Äste:
Astkragen bilden sich dort , wo das Astgewebe an der Astbasis seine Wuchsrichtung nach unten verändert. Um diesen Kragen bilden sich Stammkragen, die den Ast fest mit dem Stamm verbinden. Astgewebe und Stammgewebe sind nicht strukturell miteinander verbunden.

Ansicht des Astquerschnittes von der Mitte des Stammes aus. Stammgewebe um Ast herum gewachsen
Ansicht des Astquerschnittes von der Mitte des Stammes aus. Stammgewebe um Ast herum gewachsen
stammgewebe.jpg (46.18 KiB) 1346 mal betrachtet

Stirbt ein Ast ab, so bildet sich eine Schutzzone innerhalb des Kragengewebes an der Astbasis. Diese Zone kann von der Abwehrleistung her stark oder schwach sein. Auch kann der Besiedlungsdruck durch Pathogene so stark sein, daß diese Schutzzone überwunden werden kann.

Stirbt ein Ast, so nehmen die Energiereserven des darum liegenden Stammgewebes ab, das Gewebe stirbt. Bei falschem Kernholz erschöpfen die Holzzellen ihre Reserven, durch Bildung von Schutzholz. Meist ist dieses Holz heller gefärbt als gesundes Splintholz. Bei Birken verfärbt es sich erst heller, mit der Zeit rosa. Solange diese Schutzzone Pathogenen widersteht, ist das Holz gesund und frei von holzzerstörenden Pilzen.

Überwinden erstbesiedelnde Mikroorganismen die Schutzzone, so müssen sie wegen des geringen Nährwertes des Schutzholzes (kaum Energiereserven) Pioniereigenschaften aufweisen, d.h., sie müssen in der Lage sein Zellwandbestandteile zu verwerten und das Holz in einen höheren Feuchtezustand bringen. Das falsche Kernholz verändert sich. Es wird zu Naßkern. Fäulepilze können folgen.
Dringen solche Pilze als Pioniere ein, die keine Fäule verursachen, wird das Holz weiter verfärbt, ohne daß die Feuchtigkeit zunimmt, es können jedoch Fäulepilze folgen.

Wenn Pathogene das Schutzholz (falsches Kernholz) des Stammgewebes besiedeln, so folgen sie der Zone des Falschkerns so, wie diese durch den Tod des Astes vorgegeben wurde. Die Kompartimente waren bereits vor der Besiedlung durch das Pathogen vorhanden. Sie wurden durch den Tod des Astes festgelegt.

Das falsche Kernholz bildet also im Gegensatz zum echten keine inneren Grenzen, sondern widersteht in seiner Gesamtheit den Pathogenen. Die Besiedlung des falschen Kernholzes mit Pathogenen ist möglich, geht aber nur sehr langsam von statten.

Verfärbtes Holz zu erklären ist sehr umfangreich, da es sich um viele Prozesse handelt, die ineinandergreifen.

Eine Wunde verletzt Rinde und Holz. Sofort entsteht eine unspezifische Antwort der noch lebenden Zellen. Diese ist immer gleich, unabhängig von der Art der Verletzung oder des verletzenden Lebewesens.

Als erstes ändert das Gewebe seinen elektrischen Zustand, was sich als Änderung der Spannung messen lässt. Danach aktivieren Enzyme Energiereserven. Es werden antimikrobielle Substanzen gebildet. Diese basieren bei Laubgehölzen meist auf Phenolen, bei Nadelhölzern auf Terpenen. Die betroffenen Zellen sterben, was als Verfärbung sichtbar wird. Jedoch anders als beim Falschkern, bei dem die Zellen aufgrund des Aufzehrens ihrer Energievorräte langsam sterben. Bei echtem Kernholz erfolgt die Verfärbung durch die Inkrustierung mit bestimmten Substanzen (Alterungsprozess) und die Zellen sterben allmählich ab. Verfärbtes Holz entsteht also auf unterschiedlichste Weise.

Jetzt wird eine erste Grenzzone gebildet, die Reaktionszone. Diese umgibt das verletzte, noch nicht infizierte Holz. Eine Infektion des Holzes kann jedoch nicht verhindert werden. Sobald Pionierorganismen diese Reaktionszone durchbrechen, bildet sich tiefer im Holz eine neue.

In diesen ersten Stadien des Abwehrprozesses besteht die Hauptaktion aus der Antwort des Baumes. Bei zunehmender Besiedlung durch Pionierorganismen beginnt das zweite Stadium der Abwehr. Es ist geprägt vom Baum und den Mikroorganismen. Es stellt sich eine geordnete Abfolge der Besiedlung durch Mikroorganismen ein. Nicht imer Organismus A zuerst, aber immer in geordneter Abfolge. Diese Abfolge wird als Sukzession bezeichnet. Jetzt tritt das dritte Stadium ein, die Interaktion der Mikroorganismen in einem Sukzessionsmuster.

In manchen Fällen sind holzzerstörende Pilze die Pioniere, meistena aber geschieht die Erstbesiedlung durch Organismen (Bakterien, Pilze), die keine Fäule auslösen. Grund dafür ist die Fähigkeit dieser, die antimikrobiellen Substanzen der Reaktionszone zu verändern oder zu verwerten.

Treten holzzerstörende Pilze als Pioniere auf, kann dies den Baum zur Bildung einer stärkeren Schutzzone reizen. Die Überlebenschance der Pioniere wird damit reduziert. Im Falle der Sukzession in Bäumen wird jedoch auch hier ein Organismus diese Nische besetzen können und den Baum weiter angreifen.

Das zuerst gebildete Schutzholz bestimmt die Grenzen der ersten Kompartimente innerhalb des Holzes, das zum Zeitpunkt der Verwundung und Infektion vorhanden war. Bei Überschreitung dieser Grenzen durch Pioniere werden neue Grenzen gebildet. Das zwischen den beiden Grenzen liegende Holz wird den Organismen überlassen. Die Holzzellen dort sterben, weil sie verhungern und infiziert werden.


Um die oben beschriebenen Prozesse besser darstellen zu können, wurde ein Modell namens CODIT (Compartimentalization Of Decay In Trees, Kompartimentierung von Fäule in Bäumen) entwickelt. Es ist eine Modellvorstellung und darf nicht mit dem eigentlichen Prozess verwechselt werden.

In diesem Modell wird die Reaktionszone in drei ?Wände? aufgeteilt.
Wand 1 widersteht der Ausbreitung der Pathogene in Längsrichtung
Wand 2 tut dies nach innen zum Mark
Wand 3 widersteht der seitlichen Ausbreitung
Nach einer Verwundung bildet das Kambium eine weitere, vierte Wand, die sog. Sperrzone. Diese Sperrzone trennt das zum Zeitpunkt der Verwundung vorhandene Holz von zeitlich danach gebildetem Holz. Das Foto verdeutlicht die einzelnen ?Wände?.

Schnitt durch eine tief geführte Verwundung
Schnitt durch eine tief geführte Verwundung
beidemitte.jpg (50.37 KiB) 1346 mal betrachtet

Der erste Teil von CODIT (Wände 1,2,3) sind zum Zeitpunkt der Verwundung und Infektion bereits vorhanden. Die CODIT-Wand 4 ist die stärkste Wand, eine Trennwand. Die Bildung der Reaktionszone in Teil 1 steht unter mäßiger bis starker genetischer Kontrolle. Es gibt Individuen einer Baumart die effektiver oder weniger effektiv kompartimentieren als andere.

Suberin ist Bestandteil mancher Schutzgrenzen, besonders der Sperrzone, ein biochemischer Hinweis auf starke Kompartimentierung. Noch wird nicht verstanden, wie ein Baum ?wissen? kann, wie groß Grenzen gesetzt werden müssen. Dabei grenzt er auch Bereiche aus, die normalerweise der Energiespeicherung dienen und gibt diese auf. Er kann sich dabei zu Tode kompartimentieren. Mit dem Verlust dieser Energiereserven läuft er Gefahr, nur noch schwache oder gar keine Grenzen mehr bilden zu können.


(zusammengefasst aus Alex L. Shigo: Moderne Baumpflege)

Fotos + Text: Holger Burgardt
"The mind is like a parachute. It doesn't work unless it's open."
- Frank Zappa -
Antworten