Kunstgeschwafel

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Walter Pall
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Kunstgeschwafel

Beitrag von Walter Pall »

Da dieses Thema wahrscheinlich nur nach entsprechender Bedenkzeit weitergesponnen werden kann, will ich diesen Beitrag eine Zeit lang davor bewahren aus den Augen zu entschwinden

Anja


Achtung: nur für ganz Ernsthafte. Für andere ungenießbar.


Gesellschaft, Kultur und Bonsai sehen


Kunstwerk ist zunächst Werk . Es ist die Verbindung von Inhalt und Form. Darüber hinaus ist es Kunst und wird zur Kunst erst durch den Menschen. Die Hand des Künstlers lässt es entstehen, die Augen derjenigen, die es betrachten, lassen es bestehen, der Verstand, der seinen Sinn er- und bedenkt, macht es verstehbar. Doch wie das Kunstwerk entsteht, wie es als Phänomen besteht und als Sinneinheit dem Verstand aufgeschlossen werden kann, in all dem entzieht es sich der Eindeutigkeit des stets und immer Festgelegten. Eine bestimmte Gesellschaft legt fest, was für sie Kunst ist. In dieser Gesellschaft tut dies wiederum eine bestimmte Schicht. In der Bonsaiszene also diejenigen, die publizieren, die Ausstellungsmacher, die Bonsaipolitiker, die anerkannten Gurus. Dabei ist bemerkenswert, dass die Gesellschaft der Künstler mit der Gesellschaft der Kunstkritiker identisch ist. Damit kann man sich ja noch abfinden, weil der Kunstbegriff wenigstens unter Fachleuten festgelegt wird. Gefährlich sind bloß die Halbgebildeten, die ein Buch gelesen haben oder einen Kurs besucht haben und dann z.B. feststellen, das „an diesem Baum die klassischen Merkmale des Literatenstils nicht kongruent herausgearbeitet wurden“, anstatt zu erkennen, dass der Literatenstil bloß eine Erfindung, eine Theorie ist, eine Konvention um hochgewachsene Bäume im naturalistischen Stil in eine Landschaft einordnen zu können, die nur den klassischen Stil kennt.
Viele von uns sind nicht in der Lage festzulegen, was ihnen wirklich gefällt und warum es ihnen gefällt. Sie sind darauf angewiesen, dass es ihnen die Kritiker sagen. Sie müssen den Namen des Künstlers hören um zu wissen, ob ein Bonsai gut ist. Am besten ist es, wenn ein Baum aus Japan kommt, dann muss er natürlich gut sein. Sie sind unsicher und fürchten Kritik und Meinungsverschiedenheit, sie suchen nach Harmonie. Aber sie sind nicht ganz blind, sie haben ihre geheimen Zweifel Wie erfrischend ist es dann, wenn man jemanden trifft, der sich nicht beeindrucken lässt und sagt: „ Der Kaiser hat keine Kleider!“ wenn er vor einem Bonsai mit großem Namen steht. Oder „Das ist eine außerordentlich guter Baum“, auch wenn der Künstler unbekannt ist. Auch ist es immer wieder erheiternd zu hören: „Dieser Baum bricht ja einige Regeln, aber merkwürdigerweise ist er trotzdem schön“.
Der Name des Gestalters spielt eine Rolle in der realen Qualität. Auch wenn das viele nicht wahrhaben wollen, ist es in der Regel so, dass einer seinen großen Namen daher hat, dass er nachhaltig gut arbeitet. Die Qualität wird aber nicht von allen gleich gesehen. Es kommt aber darauf an, was "der innere Kreis" davon meint.
Der "innere Kreis" besteht aus den Leuten, die Meinungsbildner sind. Es kommt überhaupt nicht darauf an, was das breite Volk davon hält. Das ärgert natürlich viele, die sich auf Ausstellungen oder besonders im Internet über managende Qualität auslassen und irgendwie spüren, dass ihre Meinung nichts gilt und als spießig abgetan wird. Noch schlimmer ist es, wenn jemand meint, dem inneren Kreis zuzugehören oder wenigstens ein Anrecht darauf zu haben, aber die, auf die es ankommt das anders sehen. Am schlimmsten ist es wohl, wenn jemand ein ganzes Bonsaileben damit verbracht hat, sich Wissen und Geschmack anzueignen, gar eine (einst!) weltberühmte Sammlung sein Eigen nennt und vielfach publiziert hat - und dann eines Tages ignoriert wird. Weil die Zeit über ihn hinweggegangen ist. Dass man da zum Querulanten wird, der dauern ungefragt ätzend seine altmodische Meinung kundtut ist irgendwie nachvollziehbar, aber trotzdem unangenehm und überflüssig.
Der Name des Gestalters führt früher oder später dazu, dass eine virtuelle Qualität entsteht. Einfach, weil der Gestalter XY heißt, muss es gut sein und wird auch als gut angesehen, auch wenn es nur durchschnittlich ist. Bei unbekannten Gestaltern kommt es oft darauf an, ob sie Asiaten sind oder nicht. Was ein Asiate macht, muss besser sein. Das empfinden viele als ungerecht, was es wohl auch ist. Aber warum sollte se in der Bonsaikunst anders sein als in der „großen“ Kunst?
Bemerkenswert ist wohl auch die Tatsache, dass viele bekannte Bonsaischaffende ihre Werke auch veräußern wollen. Dann ist es im Einzelfall wohl angebracht, dem Zeitgeschmack zu entsprechen, anstatt gegen den Strom zu schwimmen. Im Westen kann man mit Bonsai kaum Geld verdienen. Da ist es einfacher, das zu machen was einem selbst gefällt, weil man es ohnehin nicht verkaufen kann. Bei den Werken großer japanischer Gestalter muss man bedenken, dass dahinter viel Geld steckt. Wer etwas verkaufen will muss das machen, was seinen Kunden gefällt. Das ist wohl der größte Hemmschuh in der Entwicklung der japanischen Bonsaikunst. In Japan wird die Bonsaikunst als altehrwürdige eigene Tradition gesehen, obwohl das gar nicht stimmt. Aber die Käufer von wertvollen Bonsai sind in der Regel tief in der Tradition verhaftete, eher sehr konservative Menschen. Denen kann man natürlich kaum große Neuerungen verkaufen. Deshalb gibt es sie auch nur spärlich. Man kann dann ev. spekulieren, dass wirkliche Neuerungen in der Bonsaikunst von außerhalb Japans kommen werden. Kimura hat sich öfter dahingehend geäußert.
Zuletzt geändert von Walter Pall am 26.12.2004, 17:36, insgesamt 2-mal geändert.
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Beitrag von Walter Pall »

Ein typische Bonsaienthusiast hat sich schon mit Kunst beschäftigt, mit Gartenbau und mit der Bonsaitradition. Dies hat ihn in Berührung gebracht mit der chinesischen und japanischen Kultur. Dadurch wird er, ob er will oder nicht, sich mit kulturübergreifender Kommunikation beschäftigen.
Eine fremde Kultur zu verstehen, heißt wie in einem fremden Land leben. man muss die herrschende Sprache lernen. Bonsai hat eine „Sprache“ und man muss sie erlernen um in der Bonsaiwelt kommunizieren zu können. Je weiter man vorankommt, um so reichhaltiger wird das Vokabular. Anfänger verstehen Jins und Shari nicht, es ist ihnen fremd. Sehr Fortgeschrittene gehen selbstverständlich damit um, es gehört für sie oft sogar unbedingt zu einem Nadelbaum. Es signalisiert ehrwürdiges Alter, bestandenen Lebenskampf. Das gleiche Signal an Laubbäumen ist man nicht gewohnt (noch nicht ?) und findet es eher abstoßend. Ein Mensch, der noch nie einen Bonsai gesehen hat, wird sich wohl fragen, warum diese Bonsaileute sich nicht die Zeit nehmen um das hässliche dürre Holz zu entfernen. Er versteht das Vokabular noch nicht, er kennt die Metapher für ehrwürdiges Alter, das das Leben gesehen hat, nicht.
Man kann ruhig davon ausgehen, dass es verschieden „Dialekte“ in der Bonsaisprache gibt. Bekannt sind die Unterschiede in der chinesischen und japanischen Auffassung. Es bildet sich auch ein europäischer und amerikanischer „Dialekt“ heraus. je nachdem, welchen „Dialekt“ man zuerst gelernt hat, kommt einem ein anderer fremd und irgendwie falsch vor. Die Sprache ändert sich im Laufe der Zeit. Wenn man sich japanische Kataloge ansieht, die nur wenige Jahrzehnte alt sind, wird man staunen, wie anders die Bäume, für unsere Augen schlechter (wirklich?) sie waren. Vielleicht muss man das „historische Vokabular“ lernen um wirklich zu verstehen, was heute mit Bonsai ausgesagt wird.
Bonsai wurde in Japan in einer Kulltur weiterentwickelt, die das Alter ehrt und die Kunst stark als nachahmend versteht. Der Mensch hat sich immer schon selbst in Bäumen gesehen. Bonsai bedeutet mehr als einfach schöne Bäume, die die Verehrung vor dem Altern im Menschen und in allen Dingen zeigt. Es ist eine Metapher für das Altern. Jede Kunst in Ostasien ist in viele Regeln eingebunden, natürlich auch die Bonsaikunst. Der Künstler der sich an die Regeln hält, ist ein guter Künstler. Das was er macht ist gut, wenn es den Regeln entspricht, denn es entspricht der Metapher von der Verehrung des Alterns. Ein traditioneller ostasiatischer Künstler denkt nicht im Traum daran, dies als Gefängnis, als Hindernis zu sehen. Er unterwirft sich aus seinem Kulturverständnis heraus gerne und freiwillig. Die heutige Generation in Japan hat damit aber sicherlich ein Problem, weil die Voraussetzungen sich geändert haben. Im Zuge der Veramerikanisierung der Gesellschaft ist plötzlich Jugend angesagt und das Altern ist nicht mehr heilig, sondern muss verborgen werden. Man kann vorhersagen, dass die Bonsaikunst in Ostasien in eine große Krise kommen wird. Kann die Erneuerung in Asien selbst stattfinden, oder ist es denkbar, dass sie dort stattfindet, wo jeder stolz darauf ist, die Regeln zu missachten, weil sie für ihn persönlich nicht gelten?
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Beitrag von Walter Pall »

Die verschiedenen Stilarten sagen jedem etwas anderes. Es ist schon bemerkenswert, dass die meisten Bonsaienthusiasten einige Jahre brauchen, bis sie den Literatenstil akzeptieren, ihn verstehen. Je mehr man weiß um so mehr versteht man und ist bass erstaunt, wenn ein Anfänger das total falsche tut, z.B. eine Konifere in eine hell glasierte Schale stellt. Dies entspricht nicht der Kultur, die wir gelernt haben. Das ist ja gleichbedeutend mit der Todsünde, Spargel mit dem Messer zu essen! Man fällt danach auch gleich tot um, oder? Ein Mensch, der die Kommunikationsmittel einer Kultur nicht erlernt hat, wird das meiste nicht verstehen. Man kann es ihm aber auch nicht vorwerfen - es entspricht seinem „natürlichen, nicht verbildetem Kunstgefühl“. Dieses ist nicht besser als unser fortgeschrittenes, sondern schlicht nicht ausgebildet.
Ähnliche Erfahrungen kann man mit allen Kunstgattungen machen. Wenn man die moderne Kunst in der Malerei hernimmt, kann man deutlich die immer noch herrschenden Kulturunterschiede erkennen.
Ein asiatisches Gemälde unterscheidet sich von einem westlichen oft durch die Sparsamkeit der Mittel. Der europäische Künstler tendiert dazu, möglichst viel Detail auf das Bild zu bringen, während auf asiatischen Gemälden hauptsächlich leerer Raum beeindruckt. Die Gegenstände werden mit ganz wenigen Pinselstrichen angedeutet, die Kunst besteht im Weglassen, im Understatement. Die Farbe wird im Westen reichlich eingesetzt, während der Asiate sie sehr sparsam benutzt. Der Asiate wird immer Symmetrie und saubere Ordnung vermeiden, während der westliche Künstler gerne damit arbeitet.
Bonsai hat eine visuelle Aussage, auf die wir ästhetisch reagieren . Die Reaktion ist Teil unserer Kultur, die beeinflusst, wie wir auf die Außenwelt reagieren und sie beeinflussen. Unsere Kultur, Erziehung, unsere Herkunft machen unsere Reaktion auf ein Kunstobjekt einmalig und individuell. Kunst - „hohe Kunst“ im Gegensatz zur Volkskunst, benötigt zu ihrem Verständnis Erziehung und Training. Die Entwicklung zu einem Kunstkenner bedeutet den Erwerb der Fähigkeit, ein eigenständiges Urteil über ein Kunstobjekt abgeben zu können. Für den Laien, der keinen Bezug zu Bonsai hat, ist es einfach ein Baum in einer Schale. Der Baum in der Schale wird erst zum Bonsai, wenn der Betrachter ein Kunstkenner ist, der bereits viele Beispiele dieser Kunstgattung gesehen hat und der Qualität erkennen kann.
Wie jede Kunstform hat auch Bonsai drei Stufen des Verstehens. Die erst Stufe ist einfach: Ein Baum in der Schale. Die zweite Stufe beinhaltet Wiedergabe und Symbolismus. Der Bonsai gibt einen großen Baum wieder, so wie er in der Natur steht, nur viel kleiner. Aber es ist kein großer Baum in Miniatur, sondern die Idee eines großen Baumes, also ein abstrakter Baum. Auf der dritten Stufe stellen wir fest, dass ein Bonsai verstanden werden kann als das Universum in Miniatur, ein Zusammenspiel der Kräfte von Mensch und Natur, von Ying und Yang, von Raum und Materie. Sogar soziologische und kulturelle Bezüge kann ein Bonsai darstellen, er kann für manche Betrachter den „geheimnisvollen Orient“ bedeuten.
Ein Baum in der Schale ist also nichts weiter als das - ein Baum in der Schale. Er wird zum Bonsai erhoben, wenn die Mehrheit der Betrachter mit Ausbildung sagen. „das ist ein Bonsai“.
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Beitrag von Walter Pall »

Wenn wir von Bonsai sprechen, meinen wir fast immer den Baum. Jedoch gehört die Schale unbedingt dazu. Der ausgebildete Betrachter sieht sehr wohl auch die Schale als Teil der Gesamtkomposition und kann sich ein Urteil bilden, ob sie zum Baum passt oder nicht.
Die Bonsaikunst ist wie alle Künste Modeströmungen und sprunghaften Stiländerungen unterworfen. Das ist, genau so wie in andern Künsten den meisten, die damit leben, gar nicht bewusst. Man nimmt einfach an, dass das was man für gut findet, eben gut ist und immer gut war uns sein wird. Das ist ein Irrtum. Der Zeitgeschmack ändert sich dauernd, auch der Geschmack des einzelnen.
Ein Beispiel ist der rasant zunehmende Gebrauch von totem Holz bei der Gestaltung von Koniferen. Dies ist seit ca. 1990 zu beobachten und irritiert viele, die eher (immer noch!) dem traditionellen Bonsaibild anzuhängen. Warum ist das so irritierend? Kann man doch einfach die, die das tote Holz so lieben, im Frieden lassen und seiner eigenen Wege gehen. Es ist so irritierend, weil die offensichtliche Avantgarde, die Spitzengestalter zunehmend mit wehenden Fahnen überlaufen. Es ist auch so irritierend, weil es für den herkömmlichen Geschmack so übertrieben wirkt, wie eine Verirrung gar. Es irritiert, weil so viele die zur Verwendung von totem Holz bei der Gestaltung übergewechselt sind, das noch gar nicht richtig können und schreckliche Gebilde gestalten. Diese können dann gut als abschreckendes Beispiel für diese Verirrungen herangezogen werden. Selbst die Gestaltungen von Könnern sind erst nach vielen Jahren der Reifung wirklich gut und können bis dahin ruhigen Herzens angezweifelt werden. Das alle ist so irritierend, weil es die Bonsaiwelt verändert. Was wir alle gelernt haben, ist plötzlich nicht mehr richtig, oder nicht mehr ganz richtig. Es ist eine mächtige Paradigmenänderung, eine Revolution.
Warum das? Was ist es, das plötzlich nicht mehr stimmen soll? Wie jeder bisher gelernt hat, dass das wichtigste bei einem Bonsai der Baum ist. Der Baum besteht aus einer Krone, die von einem schönen Stamm gehalten wird. Diese Krone wird aus einigen Hauptästen gebildet, die in der richtigen Position sein sollen, die wohl definiert ist. Der Bonsai kann etwas totes Holz aufweisen, sofern es sich um einen Nadelbaum handelt. Das tote Holz ist immer eine Zugabe, ein Schmuck und darf nicht übertrieben werden, damit das wichtigste, der Baum zur Geltung kommt. Die ideale Proportion eines Bonsai ist 1:6 (Stammdurchmesser zu Höhe). Eine Zahl kleiner als 6 bedeutet, dass der Bonsai ins Groteske abrutscht.
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Beitrag von Walter Pall »

Jetzt werden plötzlich Bäume gestaltet, bei denen das tote Holz offensichtlich das wichtigste ist. Die Krone ist scheinbar nur mehr Beiwerk, Schmuck. Sie ist oft sehr klein, von so einfacher Gestalt, dass sie nicht von der Hauptsache ablenkt – dem toten Holz. Die Krone besteht oft nicht aus einigen gut positionierten Ästen, sonder nur aus einem oder ganz wenigen Ästen, die von irgendwo her irgendwo hin gebogen sind und eine gelungene Krone nur vortäuschen. Die Position der Hauptäste scheint nicht mehr wichtig zu sein; ja man weiß oft gar nicht mehr was der wichtigste Ast ist. Nur mehr der Umriss der Krone ist entscheidend. Das tote Holz wird kulthaft hervorgehoben. Natürliches totes Holz ist das beste, wenn es nicht vorhanden ist, wird es geschnitzt, gefräst, gebohrt, gefeilt. Das ist Bildhauerei. Sogar bei natürlichem toten Holz handelt es sich um Bildhauerei, weil davon meist mehr vorhanden ist als gebraucht wird. Der Gestalter muss wichtige Entscheidungen treffen, was wegkommt und was bleibt, und das bleibende noch leicht korrigieren. Das ist auch Bildhauerei. Es gibt sogar welche, die totes Holz hinzufügen, das ursprünglich gar nicht zum Baum gehört hat. Totes Holz überall, sogar an den Wurzeln, wo es doch dort verboten war. Als ob das nicht genug wäre, werden die Proportionen drastisch verändert. Jetzt sieht man Bäume, die ein Verhältnis von 1:2 oder sogar ein noch stärkeres aufweisen. Der Stamm ist fast so dick, wie der Baum hoch ist. Das alles ist, zugegeben, irritierend. Aber der Gipfelpunkt ist, dass diese Kreationen sogar eindrucksvoll sind, dass man sich richtig daran gewöhnen kann, dass man davon begeistert wird. Wenn man einen herkömmlichen (altmodischen) Bonsai neben einen „Kimura-Baum“ stellt, dann ist der dicke mit dem schwungvollen toten Holz überwältigend neben dem „normalen“ Bonsai. Wenn man sich lange genug darüber ereifert hat, dann muss man zum eigenen Entsetzen erkennen, dass über einen Zeitraum von wenigen Jahren diese Bäume noch gewaltig an Ausstrahlung gewinnen. Die Kronen sind dicht und wirken natürlich, das tote Holz hat Patina angesetzt und sieht so aus, als ob es immer so gewesen wäre. Das alle ist ein Paradigmenwechsel, der keinen kalt lässt.
Die, die noch in den hergebrachten Vorstellungen leben, finden das gar nicht gut und meinen, dass es so scheint, dass das tote Holz jetzt wichtiger als der Baum ist, dass dies eher Skulpturen als Bonsai sind, dass hier die Krone sekundär ist, während sie doch eigentlich den Baum ausmachen sollte. Ja, sie haben’s erkannt. Genau so ist das, aber sie sagen es, als ob damit die Welt unterginge, als ob das alles schlecht wäre. Aber es ist nur nach herkömmlichen Regeln schlecht – die Regeln haben sich geändert, oder zumindestens sind einige neue dazu gekommen. Es ist natürlich bitter, wenn man Jahre- und jahrzehntelang gelernt hat, eine Sammlung aufgebaut hat und jetzt soll das alles altmodisch sein.
Früher war der Beat nicht so wichtig in der Musik. Er war nur da um den Rhythmus zu halten und etwas zu unterstreichen. Dann kam die Rockmusik und der Beat war das wichtigste, die Melodie war plötzlich sekundär. Dann kam Techno, und es gibt nur mehr Beat.
Bonsai ist keine statische Kunst. Es unterliegt Moden, großen und kleinen Trends, genau so wie jede andere Kunst. Zu Beginn des neuen Jahrtausends gibt es einen starken Zug zu den „modernen“ Bäumen, ob es uns gefällt oder nicht. Es wird noch mehr davon geben. Die meisten Profis und auch Amateure werden lernen, wie man künstliches totes Holz gut gestaltet, so dass es gut aussieht, eben natürlich wirkt, auch wenn es künstlich gemacht wurde. Die Proportionen werden sich generell so weit verändern, bis sie wirklich grotesk werden. Am Ende wird jemand einen Bonsai schaffen, der eine Proportion von 0,5:1 hat und fast keine Krone – nur spektakuläres totes Holz. Dann ist das Ende erreicht und plötzlich werden schlanke , gotisch anmutenden Bäume wieder modern sein. Wenn die Röcke nicht mehr kürzer werden können, sind eben plötzlich wieder ganz lange modern.
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Beitrag von Walter Pall »

Man wird sich daran gewöhnen müssen, und man wird sich daran gewöhnen. Der Mensch ist so gebaut, dass er eine radikale Neuerung erst einmal sehr skeptisch aufnimmt und bekämpft. Wenn sie aber wirklich um sich greift, gewöhnt er sich rasch daran. Die Irritation lässt nach, sonst wäre es ja unerträglich. Es wird zwei Welten geben, die nebeneinander existieren und das sogar friedlich. Man wird akzeptieren müssen, dass das eine neue Stilart ist, die auch bleiben wird. Es war immer schon so in der Kunstgeschichte. Ein neuer Trend gebiert eine Menge von Übertreibungen und Abweichungen, bis sich schließlich eine gemeinsames Gefühl für das „Richtige“ herausstellt.
Das war alles schon da in der Bonsaikunst. Es muss genau so gewesen sein, als die ersten Bäume im Literatenstil auftauchten. Sie waren ein Schlag ins Gesicht für die „altmodischen“ Bonsaigestalter, und sie waren auch so gemeint. Das alles hat sich gelegt. Ein Literat bringt keine Aggressionen und Irritationen mehr hervor. Der Stil war revolutionär, aber er hat Bonsai nicht umgekrempelt, sondern bloß bereichert. Heut ist der Literatenstil voll anerkannt und regt keinen mehr auf, nur verstanden wird er immer noch nur von einer Minderheit. Mit dem Treibholzstil und dem Naturalistischen Stil wird es wohl ähnlich sein.
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Beitrag von Walter Pall »

Man kann schon gut erkennen, dass es ganz gefährlich wird, wenn jemand aus der Weihnachtsdepression heraus und aus lauter Langweile losschwafelt.
Zuletzt geändert von Walter Pall am 26.12.2004, 17:37, insgesamt 1-mal geändert.
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Ralla
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Beitrag von Ralla »

Frohe Weihnachten Walter!

:D Hoffe Dir tun jetzt nicht die Finger weh :D

Gruß aus NRW
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Delamitri
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Beitrag von Delamitri »

Walter Pall hat geschrieben:Man kann schon gut erkennen, dass es ganz gefährlich wird, wenn jemand aus der Weihnachtsdepression heraus und aus lauter Langweile losschwafelt.


So ist es!!!
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Amadeus
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Beitrag von Amadeus »

Es muss und es kann nicht jedem alles gefallen.

Es gibt sicherlich eine Vielzahl von Menschen, die jedem neuen Trend nachjagen (oft, ohne sich Gedanken darüber zu machen).

Andere verschmähen, ja verteufeln jede Veränderung, weil diese ja auch eine Veränderung der eigenen Person, der eigenen Vorgehensweise bewirken würde.

Die Artikel entspringen sicherlich keiner Winterdepression, sondern der kritischen und toleranten Auseinandersetzung mit aktuellen Trends.

Frohe Weihnachten Walter und viele Grüße aus dem Erzgebirge
Holger
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Delamitri
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Beitrag von Delamitri »

Amadeus hat geschrieben:... sondern der kritischen und toleranten Auseinandersetzung mit aktuellen Trends.
*lach* *lach* *lach*
Michael T.
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Beitrag von Michael T. »

Delamitri,

wahrscheinlich sind Deine Äußerungen hier ja auch nicht als Stänkerei, Spott oder ähnliches gedacht, trotzdem möchte ich Dir mal nahebringen, wie das bei mir rüberkommt:
Dein "So ist es!!!" interpretiere ich als: "Genau, Du gehst mir auf den S..., halt doch besser die Schn....!!!"
Die drei " *lach* " kommen rüber wie: "Mann, bist Du ein Nichtsmerker, das ist ja jetzt total daneben"

Ich fürchte für Dich, daß Du, wenn Du so weiter machst, in kürzester Zeit auf ziehmlich einsamem Posten sitzen wirst. Ich zumindest werde mir bis auf weiteres Reaktionen auf Deine (egal wie gearteten) Postings sparen.
Joerg

Beitrag von Joerg »

Hallo Michael,

nimm es mir nicht übel aber ich finde auch deine Reaktion unangemessen. Mag sein, dass die von delamitri auch nicht das Gelbe vom Ei war aber es ist doch einfach so: Walter postet hier in regelmässigen Abständen Dinge, die, wenn sie denn wirklich so wahr wären, eigentlich nicht der Gesinnung der breiten Masse entsprechen dürften (so Walters eigener Grundtenor). Weil wir nun aber in einem Bonsaiforum sind und Walter innerhalb dieser Gilde einen Namen hat, hauchen hier alle, egal was er schreibt ein bewunderndes ahhhh in den Raum und jeder der das in Frage stellt wird zum Ignoranten erklärt. Ich finde das schon irgendwie eigenartig und nützt keinem, und der Sache schon gar nicht.
Walter hat in seinen jüngsten Ergüssen, m. E. eine Menge wahres geschrieben aber auch eine Menge falsches und auch einiges was stets umstritten bleiben wird. Vieles wiederspricht sich in sich. Das muss man doch benennen dürfen.
Es sollte möglich sein so oder so darüber zu denken, ohne gleich "die Gunst" des einen oder anderen zu verlieren.
Es fällt schon auf, dass einige die sich sonst recht häufig hier melden zu diesem Thema nichts schreiben. Könnte es daran liegen, dass sie darum fürchten müssen bei "angesehenen Persönlichkeiten" in "Ungnade" zu fallen weil sie anders denken?
Ich hoffe mal besser nicht.
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Sebastian
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Beitrag von Sebastian »

Ich denke, welche Meinung du vertrittst, Delamitri, ist völlig egal. Du solltest sie vielleicht aber versuchen besser zu verpacken - um des Forumfriedens wegen.

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Grüße,
Sebastian
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„...da hab ich was in der Hand... und ich habe als Frau das Gefühl, daß ich auf eigenen Füßen stehe... da hab ich was Eigenes... da hab ich mein Jodeldiplom!”
Michael T.
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Beitrag von Michael T. »

Hi Jörg,

zu Walters Ansätzen kann man so oder so stehen, ich glaube nicht, daß Walter sie hier nur einstellt um beweihräuchert zu werden.
Allerdings sind sie durchaus disskussionswürdig!
Delamitri bringt mit seinen Postings aber zum Ausdruck, daß eine Diskussion darüber sich erübrigt, da das was Walter schreibt sowieso alles Müll ist.
Ich unterscheide da schon nach konstruktiver und destruktiver Kritik. Das was er hier betreibt ist eindeutig destruktiv!
Viele Grüße aus dem Sauerland,
Michael
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