Gegenständig oder wechselständig - was wäre warum richtig ?

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abardo
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Gegenständig oder wechselständig - was wäre warum richtig ?

Beitrag von abardo »

Hi,

(kommt aus dem Thread viewtopic.php?f=4&t=35905)
Bonsai-Fips hat geschrieben: 09.11.2018, 14:53 Mein Blick bleibt (auch bei anderen Bäumen) immer bei Ästen auf gleicher Höhe hängen - mir gefällt das deshalb einfach nicht.
Ich frage mich wirklich: warum eigentlich ?

In der Natur haben Ahorne nunmal Äste auf gleicher Höhe. Will man naturalistisch arbeiten, sollten Äste auf gleicher Höhe bei einem Ahorn am ganzen Baum zu finden sein. Wechselstand müsste dann doch die Ausnahme sein (ich seh beim Austrieb eines Ahorns eher selten, dass das eine Internodium länger als sein Partner ist).

Daraus resultierende Knubbel ? Gleiches Thema. Beim Ahorn normal.

Einen Ahorn von mir habe ich absichtlich betont gegenständig gelassen -> viewtopic.php?f=9&t=47902#p536641
Wenn die Gegenständigkeit über den ganzen Baum zu finden ist, finde ich es sogar optisch ansprechend (nur die Mischung finde ich auch irgendwie merkwürdig).

Entweder schreibt es uns irgendeine "Regel" vor oder wir sind es einfach nur seit Jahren gewohnt oder wir arbeiten nicht naturalistisch und empfinden die Gegenständigkeit aus ganz anderen, optischen Gründen unpassend.

Die letzteren Gründe würde ich gerne genauer beleuchten (gut oder schlecht interressiert mich wenig. Ich will nicht bewerten. Ich will aber gerne wissen, warum das so ist).

Meinungen ? Fakten ?
Grüße, Frank
___________
Ich will nur noch hupen !
Markus_56
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Re: Gegenständig oder wechselständig - was wäre warum richtig ?

Beitrag von Markus_56 »

Am verkleinerten Baum sehen die meisten Knubbel überproportional aus, weshalb man Gleichständigkeit vermeiden sollte. Und daß der menschliche Blick bei Gleichständigkeit "hängen bleibt" liegt an der Funktionsweise des menschlichen Gehirns, welches Fixirpunkte zur Orientierung sucht. Dieses "hängenbleiben" verhindert einen positiven Gesammteindruck, der Baum ist also weniger interessant als einer mit wechselständigen Ästen. Naturalistisch als Stichwort für die Emanzipation ausserjapanischer Bonsaikunst (welche ich als wichtig erachte, da Baumformen vielfältiger sind als die traditionell japanischen) setzt einige Grundsätze der Gestaltung nicht ausser Kraft. Für den Gestalter gilt aber immer "erlaubt ist, was gefällt". Gibt man die Gestaltung für Betrachter frei gelten jedoch andere Regeln. Man unterwirft sich einer Beurteilung, welche nicht selten eine andere ist als die eigene.

Gruß
Markus
majoka
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Re: Gegenständig oder wechselständig - was wäre warum richtig ?

Beitrag von majoka »

Ein wichtiger Beitrag des vorherigen Kommentars scheint mir die Verwendung von Gleichständigkeit statt Gegenständigkeit zu sein. Der Begriff Gegenständigkeit und Wechselständigkeit wird auch in der Blattstellungslehre der Botanik verwendet. Da in den Achseln der Blätter neue Knospen austreiben ist dies auch die Basis für ein folgendes Sprossnetzwerk. Gegenständigkeit bzw. Dekussation ist ein Merkmal der Acer. Bedeutet also, daß an der Hauptachse ein Blattpaar am Knoten äquidistant ausgebildet wird, also in 180′ Stellung zueinander stehen. Am folden Knoten steht dieses Blattpaar dann um 90′ versetzt zum vorherigen Knoten und so weiter fort.
Um die Wechselständigkeit kurz anzusprechen, beginnt die Geschichte mit einem Blatt pro Knoten und am folgenden Knoten steht das nächste Blatt wieder 180′ versetzt. Das ist die 1/2 Stellung, da das 2. Blatt nach einer Drehung um den Stamm wieder über dem ersten steht. Dies sei erwähnt, da man dies z.B. bei der einheimischen Buche gut beobachten kann. Ab nun würde eine Abhandlung der Blattstellungen entsprechend der Fibonacci-Reihe folgen (1/3, 2/5, 3/8), was wir uns (ich Euch) ersparen.
Jedenfalls ist die Gegenständigkeit ein durchaus natürliches Verhalten der Ahörner. Entwickeln sich damit alle Äste gleich, so entspringen dann einem Knoten 3 Achsen (Hauptachse und 2 Nebenachsen). Was ich bei Baumschulmaterial häufig sehe ist, daß ab einer bestimmten Entwichlungshöhe die Hauptachse abgeschnitten wird (ich nehme mal an durch einen Gärtner). Entwickeln sich dann beide Nebenachsen weiter, so gelangen wir zu einer V-Gabelung. Das ist in der Entwicklung an deinem Baum auch recht gut zu sehen, und weiter, mir scheint, die entwickelst du auch weiter so fort, da an vielen Stellen die mittlere Achse entfernt wurde. Diese V-Gabelung wird ist bei der Bonsai-Gestaltung auch oft propagiert, wenn wir an die Koniferen denken. Oft entwickelt sich aber ein Ast des V stärker als der andere (Schatten, einseitige Belichtung, Folgeschnitt), so daß aus dem V dann doch ein Ast dominiert und zum Hauptast wird; und so geht es auch bei den Ahörnern. Aus der Gleichständigkeit entwickelt sich dann eine Dynamik, die dem Betrachter, wie vorab beschrieben, wohl eher gefällt. Insbesondere wenn sich aus dem V zusehens ein U entwickelt. Dennoch zeigt dein Beispiel und das findet man auch in der Natur, daß ein V-förmiger Hauptstamm durchaus auch gefallen kann.
Das klärt zwar die Frage nicht im binären Sinne. Dennoch weiter so ...

Gruß
Markus
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ania
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Re: Gegenständig oder wechselständig - was wäre warum richtig ?

Beitrag von ania »

Alpbach, auch bekannt als das schönste Dorf Österreichs, ist nichts für schwache Bonsaianer-Nerven. Da steht nämlich beim Teich oberhalb des Forums, von weitem sichtbar, ein großer Ahorn, bei dem die beiden untersten Ästen nicht nur gegenständig sind, sondern auch noch beide ungefähr gleich dick wie der Hauptstamm.
Zum Glück ist der nächste Defibrilator nicht weit.
Achtung, hier kommt das Foto (hab leider kein eigenes): https://scontent.fprg2-1.fna.fbcdn.net/ ... e=5C74CEA1
Hier wurde das Problem erkannt und der Baum wurde getarnt, vielleicht auch aus Rücksicht auf den Japaner im Publikum http://www.itkam.org/wp-content/uploads ... lpbach.jpg
Da noch ein ähnlicher Baum, nur ohne den starken Hauptstamm, am Ahornboden im Karwendel https://www.fotocommunity.de/photo/gros ... p/41501303
(Ist das Verlinken von Fotos ok? Sonst stellt euch einfach ein senkrecht durchgestrichenes U vor.)

Meines Erachtens ist das ästhetische Manko dieser Bäume nicht die Gegenständigkeit an sich, sondern die übermäßige Symmetrie. Asymmetrie ist optisch einfach spannender, dynamischer. Wenn die gegenständigen Äste verschieden dick sind, dazu möglichst dünner als der Hauptstamm und verschieden geneigt, stört es viel weniger bzw. passt es sehr gut, je nach Baum. Zum Beispiel im letzten Bild der Baum rechts, hat auch oben und unten gegenständige Äste, aber die sehen asymetrisch-wild aus und dadurch viel natürlicher.

Und was ist mit Bonsai in ganz klassischer Besenform? Die haben doch rundherum Äste, die auf gleicher Höhe entspringen. Aber da passt es wieder, weil man bei Besenform ja genau auf Symmetrie setzt und diese erwünscht ist.
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