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von Andreas Ludwig » 16.06.2019, 12:02
Bonsaifann – die Sache mit der Vorderseite ist eine Konvention. Sie ergibt sich daraus, wie Bonsai in Japan ausgestellt werden – in der Tokonoma. Es hat den Vorteil, dass man den Baum nur für eine Ansicht gestalten muss. Wie Arthur Dent richtig feststellt, sind dann u.U. kleine «Schwächen» lässlich. Bei einigen Gestaltungsformen ergibt sich die Vorderseite ziemlich zwingend, etwa bei Flossformen, Kaskaden oder auch bei Saikei. Streng und frei aufrechte Bäume oder Besen, auch die Fici mit dicken Stämmen und Luftwurzeln, die etwa auf Bali gestaltet werden, sind eher «Rundum-Bäume», nach denen du fragst.
Zwei Dinge sind wichtig, wenn man mit der Konvention der Vorderseite brechen will, nämlich die Darstellung und die Ausführung. Bezüglich der Darstellung, also des visuellen Gestaltungsziels, muss man sich andere Vorbilder suchen als klassische japanische Bonsai, etwa die grossen Solitäre in europäischen Parks oder die Friedenslinden, Eichen und Buchen, die auf Anhöhen stehen. Was nicht falsch ist, die getreuliche Übernahme japanischer Konventionen birgt ja auch das Risiko einer kulturellen Aneignung.
Bei der Ausführung wird es kniffliger. Manfred Jochum findet, die Suche nach dem optimalen Baum sei mit Sicherheit nicht der richtige Weg. Das wird davon abhängen, wie man optimal definiert. Natürlich wird es schwierig bis unmöglich, das «Ziel» der Vorderseitenpräsentation nicht zu übernehmen, die Schritte dazu aber schon (erster Ast, zweiter Ast, keine Überkrezung, geneigte Spitze etc.). Die muss man neu formulieren. Statt einer «Hierarchie der Äste» hat man «gleichberechtigte Teilvolumen», statt des statischen zweidimensionalen Bildes eine sich bei Drehung verändernde Skulptur.
Nichts daran ist aber falsch oder unmöglich, es scheint mir sogar erstrebenswert. Das führt konsequenterweise zu Präsentationen, die ungewohnt sind und auch viel mehr Platz beanspruchen. Ein Solitär im Park wirkt nur durch den umgebenden Raum, umgerechnet auf einen Bonsai von vielleicht 70 bis 100 cm sind das dann schnell zehn Quadratmeter für einen Baum. Die einzelnen Bäume werden im Detail nicht mehr den überwiegend verbreiteten japanischen Gestaltungskonventionen, mithin etablierten Sehgewohnheiten entsprechen. Das kann Befremden beim Publikum auslösen. Man darf nicht vergessen, dass ein grosser Teil der Szene «Bonsai» nicht als sich entwickelnde Kunstform sieht, sondern als formal abgeschlossenes Kunsthandwerk. Als Pragmatiker denke ich, dass man durchaus aus Anspruch und Ehrgeiz ein paar solche Bäume entwickeln sollte – sei es nur, um zu erkennen, wie schwierig das ist.
It is not enough to be busy. So are the ants. The question is: What are we busy about?
(Thoreau)