European Bonsai San Show 2019

Ausstellungen, Workshops, Arbeitskreise, Events u. -Organisationen, Reisen, Besuchen in Bonsai-Gärten und Töpferstuben.
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Odoridori
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Re: European Bonsai San Show 2019

Beitrag von Odoridori »

abardo

Warum spricht eigentlich niemand über den Baum in Darrieux's Display ?
Ganz einfach, weil der Baum die meisten Betrachter gar nicht anspricht.

Gruss
Holger
Nichts kann den Menschen mehr stärken,
als das Vertrauen, das man ihm entgegenbringt.
Paul Claudel
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Dirk K. aus L.
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Re: European Bonsai San Show 2019

Beitrag von Dirk K. aus L. »

Odoridori hat geschrieben: 03.11.2019, 13:19
abardo

Warum spricht eigentlich niemand über den Baum in Darrieux's Display ?
Ganz einfach, weil der Baum die meisten Betrachter gar nicht anspricht.
Und hier eher wie Beiwerk anmutet.
Der wahre Weg geht über ein Seil, das nicht in der Höhe gespannt ist, sondern knapp über dem Boden. Es scheint mehr bestimmt stolpern zu machen, als begangen zu werden. (Franz Kafka)
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Andreas Ludwig
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Re: European Bonsai San Show 2019

Beitrag von Andreas Ludwig »

Dirk K. aus L. hat geschrieben: 03.11.2019, 07:58Ist das dann noch das, was ihr euch unter "Bonsai" vorstellt und wünscht? Oder Bonsais mit Baumhäusern, in denen Klima-Aktivisten ihre Transparente schwingen? Vielleicht untermalt mit passenden Lautsprecher-Durchsagen ...
Na gut – du bist also schlicht kunstfeindlich und drückst das aus, indem du jeden noch so gutgemeinten Hinweis pro Kunst ins Lächerliche ziehst und durchwegs absurde Extrembeispiele anführst. Kann man so machen, findet sich in jeder Online-Kommentarspalte unter Artikeln zu moderner Kunst so oder ähnlich.«Das könnte ja mein Kind besser» etc., man kennt es.

Ändert nichts daran, dass es gerade eine Nick Lenz-Retrospektive in Washington gibt, zu der aus vielen Sammlungen, öffentlichen wie privaten, Baumgestaltungen herangekarrt wurden, die er initiiert und auf den Weg gebracht hat. Dinge, die mal als Skandal, als Untergang des Abendlandes etc. bezeichnet wurden, siehe oben. Lenz selber war nicht da, er kommentierte die Bilder, die sein Sohn von der Ausstellung gemacht hat, mir gegenüber recht skeptisch (strangely formed apices, branches growing the wrong way). Er hat sein Ding gemacht, es hat sich etabliert, wird anerkannt. Er wollte nicht die Welt verändern und Minderwertigkeitskomplexe kann ich bei ihm keine erkennen. Er hat einfach auf seine Art etwas gemacht. Es war gut, es wurde durchaus arg umkämpft, letztlich aber gutgeheissen und ist heute längst anerkannt. Auch ohne dich.

Das ist diese «Auseinandersetzung», die in der Kunst stattfindet – völlig unabhängig davon, ob du sie gut findest oder nicht, ob du sie verstehst oder nicht. Vielleicht ist das dein Minderwertigkeitskomplex: Da findet etwas statt – und du bist aussen vor. Darum versuchst du, es zu bestreiten, es «abzuschaffen», es als Wahnsinn oder Bedrohung oder beides darzustellen. Da erkenne ich Tendenzen unguter Natur.

Ich habe kein Motiv, nur Motivation. Ich glaube, dass die Motivation das Eigentliche, Naturgemäße ist, dass das Motiv altmodisch, ja reaktionär ist (dumm wie die Frage nach dem Sinn des Lebens). Gerhard Richter, 1985

Und was Darrieux betrifft, schliesse ich mich Odoridori an, dieses Gewächs ist einfach eines, mehr nicht. Ich unterstelle, dass er darum das Brimborium darum gemacht hat. Hat mit Kunst nichts zu tun, tut nur so, als wäre es welche. So einfach ist es dann aber nicht.
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zopf
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Re: European Bonsai San Show 2019

Beitrag von zopf »

Hallo
Kunst ist nicht absolut, eher relativ
und abhängig vom "Bewusstsein" des Kunstempfindenden (Sinnerfahrenden).
Es ist eine große Gefahr der Omnipotenz, sein "Bewusstsein" als maßgebend zu erachten,
ohne in Betracht zu ziehen das es verschiedene Formen und Stufen des "Bewusstseins" gibt.
Jeder sollte für sich das Maß seiner Dinge sein, wobei hier die Betonung auf seiner liegt.
Allgemeingültiges postulieren seiner Sicht als einzig Gültiges ist ….
mfG Dieter
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abardo
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Re: European Bonsai San Show 2019

Beitrag von abardo »

zopf hat geschrieben: 03.11.2019, 17:09 Kunst ist nicht absolut, eher relativ und abhängig vom "Bewusstsein" des Kunstempfindenden (Sinnerfahrenden).
Jein. Das Ergebniss bei der Sinnempfinden eines Kunstwerkes ist irrelevant, nur, dass es zu einer Empfindung kommt, zählt. Somit ist Kunst eher absolut.
Andreas Ludwig hat geschrieben: 03.11.2019, 14:13 Und was Darrieux betrifft, schliesse ich mich Odoridori an, dieses Gewächs ist einfach eines, mehr nicht. Ich unterstelle, dass er darum das Brimborium darum gemacht hat. Hat mit Kunst nichts zu tun, tut nur so, als wäre es welche. So einfach ist es dann aber nicht.
Erklär doch bitte genauer, warum der Baum ein "einfaches Gewächs" sein soll.

Den Baum finde ich nämlich gar nicht "einfach". Eine Ulme wächst nicht so, dass ist jahrelang geplant und entsprechend gestaltet und hat somit gezielt diesen Dornröschen-Hecken-Look (ich weiss, was das heisst, weil ich seit Jahren an so einem Gewusel arbeite). Märchenstil, ziemlich perfekt gemacht.

Ob Kunst als "schön" oder "hässlich" empfunden wird, ist dabei völlig irrelevant. Das ist eine Etikettierung durch Leute, die von Kunst nunmal gar keine Ahnung haben. Ob es (nach ganz anderen Kriterien) dann gute, schlechte, reisserische oder banale Kunst oder Brimborium ist, ist auch irrelevant.

DAS es als Kunst empfunden wird, ist ausschlaggebend.

Und wenn du, Andreas, Gründe siehst, warum es gar keine Kunst sein kann, nenne auch die noch bitte genauer. Das es etwas empathielos, platt und aufmerksamskeitsheischend ist, lasse ich dir als Grund nicht durchgehen. Das sind genügend andere Kunstwerke auch.
Grüße, Frank
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Andreas Ludwig
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Re: European Bonsai San Show 2019

Beitrag von Andreas Ludwig »

abardo – erstens geht es nie um absolute Werte in der Kunst. Wer die sucht, ist in der Buchhaltung wesentlich besser aufgehoben. Richtig und falsch sind, wie hwolf es schön dargelegt hat, völlig sinnlose Kriterien. Kunst ist nie fertig, es ist eine permanente Auseinandersetzung. Scheut man die oder versteht das nicht, sollte man die Finger davon lassen, sonst macht man sich und andere bloss unglücklich. «Irrtum vorbehalten» ist Prinzip, setzt man sich mit Kunst auseinander, erzwingen lässt sich da nichts und berechnen auch nicht. Versuch, Scheitern, Gelingen – alles eines.

Zweitens ist grosse Arbeit noch lange nicht Kunst (sondern zum Beispiel bloss Buchhaltung). Mir geht es so mit diesem Gewächs. Ich sehe den investierten Aufwand, ich sehe die Arbeit – aber auch, was Darrieux wohl selber erfasst hat: Bloss Fleiss-Arbeit. Sonst wäre er ja konsequent genug gewesen, den «Baum» für sich selbst sprechen zu lassen. Wird etwas dermassen «aufgepeppt» wie hier (damit meine ich das Brimborium), werde ich sofort sehr skeptisch und schaue mir die Substanz an. Die ist m. E. dürftig. Es geht nicht um schön oder hässlich, da hast du recht – es geht darum, ob es irgendwie anspricht. Ich habe Gerhard Richter erwähnt. Was ich an ihm mag ist schlicht die Tatsache, dass er bloss malt. Im Gegensatz etwa zu Neo Rauch, der endlose Texte zu seiner Malerei verfasst. Wieso tut er das? Traut er seiner Malerei nicht?

Ob andere Kunst schlecht ist, ob sie besser ist oder weniger als andere, ist wieder nur Buchhaltungs-Denken. Darum geht es nicht. Dahinter kann man sich nicht verkriechen. Da bleibt manches rätselhaft, jetzt und fürderhin. Zur Erinnerung: Ich habe mal Beethovens 9. hier erwähnt, die ja nun anerkanntermassen die Sinfonie ist. Nun - Schiller fand sein Gedicht eher mager, Beethoven wollte die Sinfonie nach der Uraufführung bereits wieder überarbeiten. Es kam nicht dazu und so haben wir jetzt «höchste Kunst», die aber von ihren beiden Vätern in beiden wesentlichen Teilen als eher misslungen betrachtet wurde. Weiteres Beispiel: Ein sehr empfehlenswertes Buch, «At Swim-Two-Birds» von Flann O'Brien (deutsch «Auf Schwimmen-zwei-Vögel») blieb zu Lebzeiten des Autors ein Ladenhüter, heute zählt es zu den Klassikern. Umgekehrt erlebe ich im Alltag manchen, der mässig malt, musiziert, auftritt oder schreibt und partout nicht verstehen will, wieso man ihn nicht anerkennt, wo er sich doch so Mühe gibt. Ja nun. Garantie gibt es eben keine.

Vielleicht bin ich ein älterer, weisser Mann, borniert und gefangen in meinem Horizont. Sogar ganz sicher. Jedenfalls lässt mich das Ulmen-Kraut völlig kalt, die Inszenierung ist für mich bloss Kulisse, die das «Produkt» nicht aufzuwerten vermag. Du bist da anders, das weiss ich. Du neigst dazu, «Kunst zu behaupten», verwendest gerne grosse Worte, um uns zu erklären, wieso wir Deppen nicht begreifen, welch Genie da drin steckt, erfindest Begriffe, «styles» – ähnlich wie Darrieux. Tja. Richter malt einfach. Das finde ich richtig gut.

Damit wir aber friedlich blieben können, eine Ergänzung: Einer der wenigen, mit denen ich mich in dieser skurrilen Bonsai-Szene seit vielen Jahren hervorragend verstehe, Nick Lenz, der nun wirklich hervorragende künstlerische Arbeit abgeliefert hat und zu Recht stolz darauf sein könnte, sagte mir rückblickend einmal: «I made Bonsai and I did well.» Dieses gleichermassen sinnende (ich sah sein Gesicht) wie bescheidene, trockene Fazit von ihm – das hat mich weit mehr beeindruckt als Darrieux' Lärm. Das ist vielleicht kein hipper «style», aber sehr viel Stil.
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Andreas Ludwig
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Re: European Bonsai San Show 2019

Beitrag von Andreas Ludwig »

Dirk – noch ein Nachtrag: Kunst ist eine rein menschliche Sache. Nur Menschen machen Kunst. In der Kunst sind nur Menschen. Um dir etwas zu zeigen, wer dir da immer so stur Paroli bietet, eine kleine Skizze:

Gestern Abend ging ich mit meiner Freundin rüber ins alte Industrieareal. Dort habe ich mein Atelier, dort lernte ich einen meiner besten Freunde kennen, den Klavierbauer. Grundsätzlich revidiert, renoviert und stimmt er Klaviere und Flügel. Da ihm das zu wenig ist, macht er dazu Werkstattkonzerte. Gestern war ein Pianist da, der Jazz spielte. Mir war sein Spiel ehrlich gesagt etwas zu monoton, ich vermisste bis in die Zugabe die Dynamik.

Nach dem Konzert wurde weggeräumt, Tradition: Tische werden hergebracht, das Publikum setzt sich locker hin, es gibt Suppe, gestern waren es zwei Kürbissuppen, eine mit Ingwer. Man trinkt Weiss- oder Rotwein zusammen, der Ausbilder des Klavierbauers, der jahrzehntelang der offizielle Klavierstimmer im Musiksaal der nahen, grösseren Stadt war, erzählt von Brendel und Schiff. Die Stadt und ihr Saal sind berühmt, da waren alle grossen Pianisten.

Nebenbei sagte ich unserem Pianisten, den ich auch schon mal da traf, dass ich eben die Dynamik etwas vermisst habe – ob das dem Flügel geschuldet sei? Es wurde nämlich erwähnt, der Flügel sei eben erst aus dem Werk von Steinway eingetroffen und vielleicht noch etwas «schwach». Er gab zu, das Instrument geschont zu haben, aber auch, es sei seine Art, sich zu sehr zurückzunehmen, er danke für die Erinnerung. Kein Problem, völlig unverkrampft, wir sind per du. Ich versicherte ihn, seine 4/4(!)-Interpretation einer späten Chopin-Mazurke habe mich völlig entschädigt. Meinte ich auch so – das hatte Humor. Der ist selten genug in der Kunst, was ich nicht verstehe.

Ja, wir sind alle gaga, die wir uns da zwei-, dreimal im Monat treffen. Aber immerhin sind wir dann in der Klavierwerkstatt und nicht auf der Gasse. Wir sind nicht böse. Kunst ist eine ganz gute Klinik; ihr solltet uns das lassen, wenn wir uns da ja freiwillig einliefern. Danke.
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zopf
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Re: European Bonsai San Show 2019

Beitrag von zopf »

Keine Klinik, ein kleines Zimmer in einem abgeschiedenen Flügel eines riesigen Hauses.
Der Lärm Derer die an die an Tür hämmern und Einlass begehren,
noch schlimmer das Getöse der Meute die eine Vorhalle des Zimmers zum Zimmer selbst erklären
stört die Bewohner der elfenbeinernen Dachstuben.
Es ist ein gutes Gefühl durch die Gänge zu schlendern,
einen Blick in andere Zimmer zu werfen
und das Gesehene mit in seine Dachstube zu nehmen.
Leider muss man immer durch die Vorhallen gehen
da ist es so laut...
grüsse an die bewohner von melmac
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mohan
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Re: European Bonsai San Show 2019

Beitrag von mohan »

Jungs, ich LIEBE euer Kunstgeschwafel! 8)
Und wieder schrauben wir uns etwas höher in dieser Gesprächsspirale zu einem höheren bzw, besseren Verständnis über Kunst und Intention. Danke *daumen_new* !
Viele Grüße
monika
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abardo
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Re: European Bonsai San Show 2019

Beitrag von abardo »

@Andreas

über das Ding hast du leider wieder kaum etwas gesagt (bzw. dich nur erneut wiederholt) und interpretierst Werke lieber aus der Person des Künstlers heraus, aber gerade das ist auch völlig irrelevant (Psychoprofile über die Betragsersteller übrigens auch nicht, das dient nur dazu, zu verschleiern, dass keine Argumente mehr kommen). Ob der Künstler sympathisch ist, man mit ihm befreundet ist, was er sagt, schreibt oder nicht sagt ? Irrelevant.

Kommen wir zu Lenz. Lenz hat m.M.n. zumeist zwei verschiedene Künste vereint und die durch sehr gut strukturierte Räume und Formen verheiratet. Dadurch hat er ein Alleinstellungsmerkmal (ok, mit Schudde und einigen jungen Japanern). Die durch ihn verwendeten Bäume und Schalen (bis auf eine Handvoll speziell gefertigter), aber auch die Präsentation sind in der Mehrzahl strikter traditionelle-japanischer Kanon. Dadurch entwickelt sich die Gestaltung der Bonsai an sich kaum weiter. Die Kombination ist die Kunst, der Baum selber eher nicht.

Das ist dann wie bei der von dir so oft zitierten klassischen oder Jazz-Musik. Der Komponist ist der Künstler, der Pianist nur der Kunsthandwerker. Ein leichte Interpretation eines Werkes rechtfertigt m.M.n. nicht, den Pianisten als Künstler zu betrachten. Bringt auch hier die Kunst nicht weiter. Da ist mir jeder Rapper, der echte, eigene Texte schreibt und neue Sounds kreiert, lieber.

("Styles" sind übrigens sehr gut geeignet, um sich selbst zu strukturieren)
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Re: European Bonsai San Show 2019

Beitrag von Georg »

abardo hat geschrieben: 04.11.2019, 09:52 .....Da ist mir jeder Rapper, der echte, eigene Texte schreibt und neue Sounds kreiert, lieber.
Eine sehr gewagte These!

Gruß
Rüdiger
Ich mag verdammen, was Du sagst, aber ich werde mein Leben geben, daß Du es sagen darfst(Voltaire)
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Andreas Ludwig
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Re: European Bonsai San Show 2019

Beitrag von Andreas Ludwig »

abardo – ich habe sehr wohl gesagt, was mich an der Körbchen-Ulme stört. Vielleicht hast du es überlesen. Sie berührt nicht, der Wirbel darum entstand nicht wegen ihr, sondern wegen des Krempels drumrum. Das ist Provokation, aber die ist an sich noch nicht zwingend Kunst.

Es ist auffällig, wie deine Postulate immer wieder beinhalten, Kunst habe neu zu sein, besser, anders. Offenbar verstehst du Kunst als Sportart, als Wettbewerb: Der Künstler soll der Erste oder der Einzige mit etwas sein. Kunst nur aus dieser Sicht zu betrachten, wird ihr nicht gerecht. Wenn du deswegen beispielsweise der Interpretation von Musikstücken absprichst, eigenständigen Werkcharakter zu haben, für sich Kunst zu sein, hast du vielleicht einfach wenig Bezug zur Musik. Mit der These stehst du jedenfalls alleine da. Eine Komposition ist keineswegs in allen Details ausgeführt, sie lässt immer Interpretationsraum zu und um genau den geht es dann, nicht darum, ob das neu oder einzigartig ist.

Tatsächlich geht es immer um Personen in der Kunst. Nicht nur um die Künstler, sondern auch um das Publikum, das sogar stark wechseln kann: Wenn jemand heute in einem Museum einen ägyptischen Kopf als Kunst bewundert, hat er meist ja nicht die geringste Ahnung, wer den gemacht hat und weshalb. Aber etwas daran spricht ihn an. Das ist so subjektiv, wie es nur geht. Steht der Betrachter nicht da, ist der Kopf eigentlich nicht Kunst, sondern bloss ein archiviertes Objekt. Er wird erst Kunst, wenn jemand darauf zeigt und es als das benennt. Was damit zu tun hat, woran dieser Mensch denkt, wie er denkt. Das lässt sich nicht abtrennen. Kunst ist immer Dialog, auch wenn das Gegenüber nicht da ist, es ist formulierter Gedanke und Mitteilung, bloss eben nicht zwingend in Worten. Sie wird konzipiert, interpretiert und rezipiert und nichts davon lässt sich rational durchargumentieren. Es bleibt subjektiv.

Weshalb sich auch nichts erzwingen lässt – die Messlatten dafür fehlen. Es gibt keine Möglichkeit, etwas zur Kunst zu erheben ohne ein Publikum, das dem zustimmt. Es kann ein sehr kleines Publikum sein oder die breite Masse, aber es ist zwingend. Es ist auch durchaus möglich, dass ich ganz alleine sage, Darrieux' Ulme sei keine Kunst und alle andern schütteln den Kopf. Oder nur du. Es ist aber sinnlos, darüber abzustimmen, dann wissen wir auch bloss, dass wir es verschieden auffassen, subjektiv eben. Genau darum geht es. Kunst als Ganzes ist ein Forum des Denkens und Fühlens. Ein Kunstwerk wird erst eines durch eine Akklamation, was sich «ganz genau» weder begründen und schon gar nicht verordnen lässt. Darrieux' Baum wurde die Akklamation verweigert, also keine Kunst.
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Re: European Bonsai San Show 2019

Beitrag von abardo »

Wir reden aneinander vorbei.

Die vier wichtigen Punkte an Kunst sind für mich:

- der Künstler schafft das Werk, in der Absicht Kunst zu schaffen (eine Cover-Band hat nicht einmal diese Absicht)
- das Werk wird als Kunst so präsentiert, dass es als Kunst wahrgenommen werden kann
- das Werk wird als Kunst wahrgenommen (dabei ist es unerheblich, WAS der Betrachter empfindet, wie soll der Künstler das ganze Spektrum vorher auch abdecken ? Da wären wir ja genau bei deinem Kritikpunkt an dem "Ding". Dass eben versucht wird, eine bestimmte Reaktion zu provozieren und da hast du völlig Recht. Nur eine Interpretation schränkt die Wirkung des Kunstwerkes ein. Es wird ein schlechteres Kunstwerk, aber immer noch Kunst)
- es gibt ein Alleinstellungsmerkmal (wird ein Popmusikstück z.B. als Jazz umkomponiert ergibt das schon deutlich mehr Kreativität, als wenn ein Castingshowteilnehmer einen Song eines anderen Künstler nachsingt)

Keine Kreativität = keine Kunst. Kreativität kann vieles sein. Mit "Sport" hat das nichts zu tun.
Andreas Ludwig hat geschrieben: 04.11.2019, 12:12 Darrieux' Baum wurde die Akklamation verweigert, also keine Kunst.
Wer jetzt ? Wer hat da was verweigert ? Einige nehmen es als Kunst wahr, die anderen Punkte treffen auch zu (teilweise nur knapp, aber schon) also ist es für mich Kunst.

Und der 1.000enste Chokan, mit geringster Kreativität nach Regelwerk geschaffen oder präsentiert auf einer Bonsaiausstellung, die den Baum nicht ansatzweise als Kunst präsentieren will oder geschaffen von einem Gestalter, der sich selbst nicht als Künstler sieht, ist es für mich eben gerade nicht.
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Re: European Bonsai San Show 2019

Beitrag von Kathrin »

Andreas Ludwig hat geschrieben: 04.11.2019, 12:12 Ein Kunstwerk wird erst eines durch eine Akklamation, was sich «ganz genau» weder begründen und schon gar nicht verordnen lässt. Darrieux' Baum wurde die Akklamation verweigert, also keine Kunst.
Hallo Andreas,
Woher weisst du das? Es gibt vielleicht Menschen, denen das Werk gefällt. Ich zum Beispiel finde die Präsentation interessant, lässt viel Spielraum für Interpretationen offen.
Ich finde dieses „Kunstgeschwafel“ recht interessant, nur manchmal befremdlich, wie manche ihre Meinung als die absolute Wahrheit darstellen.

Gruss Kathrin
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Re: European Bonsai San Show 2019

Beitrag von Andreas Ludwig »

Kathrin – für mich keine Kunst, habe ich eigentlich so ausgeführt, zumindest so gemeint. Diese Subjektivität ist immer eingeschlossen. Dass ich hier etwas als absolute Wahrheit darstelle, ist wiederum deine subjektive Wahrnehmung...
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