War das jetzt sachlich? War das eine wertfreie Frage nach der Entwicklung des Baumes in der Zukunft? Na ja.
Der vorher langweilig gerade Stamm hat durch die Neigung enorm gewonnen und die Neigung wird schön vom tief reichenden ersten Ast ausbalanciert. Die Totholzspitze ist frisch und wird durch spätere Feinbearbeitung und Verwitterung schöner werden und irgendwann sowieso überwiegend in der Laubkrone verborgen sein. Die Äste sind zwar zum Teil auf recht unorthodoxe Weise gebogen und an Stellen verteilt worden, wo sonst keine Verzweigung und kein Laub hingekommen wäre, aber das hat David in meinen Augen so geschickt und gekonnt gelöst, dass die entstandenen Strukturen in ihrer Kuriosität eine erstaunliche Eleganz erlangt haben. Es ist eine vollständige Krone entstanden und ein insgesamt sehr stimmiges Bild. Alle Linien des Baumes werden über die Jahre durch Verdickung, Reifung, Borke weicher werden.
Mir fällt es überhaupt nicht schwer, mir vorzustellen, wie dieser Baum reifen wird, wenn sich die Laubpolster verdichten und vervollständigen. Durch die Neigung wird der Stamm nicht mehr langweilig gerade wirken. Man sieht dann im Wesentlichen den tollen dicken, borkigen unteren Stammbereich, weiter oben wird er durch das Laub zum Teil verborgen und kaschiert. Es ist ja auch kein Laubbaum, der mit kahler Verzweigung eine perfekte Figur machen muss. Diese Kiefer wird mit Davids professioneller Weiterentwicklung mit Sicherheit richtig gut. Wer schon mal die Gelegenheit hatte, viele japanische Nadelbaum-Meisterwerke genau zu betrachten und von unten in die reifen, dichten Kronen geschaut hat, der wird auch viele kreative und seltsame Astführungen gesehen haben. Das ist bei Yamadori oft die einzig machbare Lösung, weil sie eben nicht wie am Reißbrett entworfen alle Äste dort haben, wo sie laut Schema gebraucht werden.
Mir fällt auf, es wird je nach Laune von manchen Leuten kritisiert, wenn ihnen Bäume zu langweilig perfekt und uniform sind und man sich mehr Charakter und Ungewöhnliches wünscht, aber auf der anderen Seite auch beanstandet, wenn man genau das geboten bekommt.
Mich stört es überhaupt nicht, wenn dem einen oder anderen etwas nicht gefällt. Jeder hat seinen eigenen Geschmack und seine persönlichen Vorlieben. Aber ich finde, man sollte seine Ansichten und Fragen auf eine respektvolle Art und Weise kund tun und froh sein, dass es kompetente und engagierte Fachleute gibt, die sich dafür engagieren, tolle Events für die Bonsai-Community zu machen und von denen man lernen kann. Nicht alles, was man nicht auf den ersten Blick versteht oder sich nicht in einigen Jahren vorstellen kann, ist schlecht. Vielleicht fehlt einem selbst noch etwas an Urteilsvermögen, Erfahrung und Vorstellungskraft.
LG, Heike