Pflanzenvergewaltigung - Lebenshilfe

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Anja M.
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Pflanzenvergewaltigung - Lebenshilfe

Beitrag von Anja M. »

oder wie begegne ich Vorurteilen



Hi Leute!

Immer wieder kommt es im Bekanntenkreis vor, wenn bekannt wird, daß man als Hobby Bonsai zieht, daß es zu Aussagen kommt, die mir die Luft zum Atmen nehmen!

Wie erklärt ihr jemanden der absolut nix davon versteht, daß das kein:
:arrow: sadistisches Quälen von Pflanzen
:arrow: aushungern
:arrow: Machtdemonstrationen wie schneiden etc.

ist.
Ich bin sonst nicht auf den Mund gefallen, lass mich aber schon gar nicht mehr gerne auf Debatten ein, da ich meistens nichts davon rüberbringen kann, was es für mich bedeutet, weil ich bei der überwiegenden Mehrheit auf pures Unverständnis stoße!

Wie geht es euch damit?

L.G.Uschi


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Uschi, mal so ein paar Gedanken:

b) Warum Bonsai?

Diese Frage kann nur jemand stellen, der auch fragt: Warum Haustiere? Warum Zimmerpflanzen? Warum Ziersträucher? Warum Rasen?
Nähe zum Lebewesen Baum
Selbsterfahrung des Menschen
Sinnvolle Freizeitbeschäftigung
Ruhe und Entspannung
künstlerische Tätigkeit
Gärtnern auf kleinstem Raum
Verantwortung für ein Lebewesen
Zwiesprache ohne Worte
Beschäftigung mit der Natur
Befriedigung des Sammlertriebes
Einen Bonsai über viel Jahre zu gestalten und zu erhalten, bringt eine ähnliche Befriedigung, wie sie die Mutter hat, die ihr Kind großzieht. Es hängt mit Hingabe zusammen. Hingabe ist befriedigend für das Kind und die Mutter.

c) Warum nicht Bonsai?

Diese Frage macht schon eher Sinn.
Nicht um einen Baum zu verkrüppeln
nicht um eine Karikatur eines Baumes zu schaffen
nicht um einen Baum am Rande des Existenzminimums zu halten
nicht um auf Kosten des Baumes sein Ego zu pflegen

Von Laien wird immer wieder die Frage nach der Ethik der Bonsaigestaltung gestellt. Darf man das überhaupt? Leidet der Baum? Ein Bonsai drückt mehr aus als eigentlich da ist. Jeder sieht etwas, daß ihn an etwas erinnert. Diese Symbolik wird von guten Gestaltern genutzt um die Bäume viel aussagekräftiger zu machen. Es gibt auch eine negative Symbolik. Dabei sieht der Betrachter im Bonsai eben ein verkrüppeltes Wesen, das ihm leid tut. Er sieht sich selbst, als Mensch, dem die Gliedmaßen abgeschnitten wurden, mit großen Löchern, der Rest wurde mit Draht umwickelt und unnatürlich verbogen. Er weiß, wie er leiden würde und überträgt dieses auf den Bonsai. Sein Zorn richtet sich gegen denjenigen, der das getan hat und die, die das zulassen. Freilich handelt es sich dabei um weinerliche Romantik. Man kann das aber nicht so einfach abtun, denn die Reaktion liegt im Zeitgeist und man erlebt sie oft. Der Baum wird vermenschlicht, er ist aber kein Mensch und reagiert ganz anders.

Werner Busch hat darauf folgendermaßen geantwortet: Es ist ziemlich sicher, dass Bäume gestalterische Maßnahmen wahrnehmen, da sie sehr deutlich darauf reagieren. Leiden werden sie aber nur, wenn die Pflege nicht ihren Bedürfnissen entspricht. Hierin unterscheiden sich Bonsai aber nicht von anderen Pflanzen oder auch Tieren, die sich in menschlicher Obhut befinden.

Pflanzen sind, im Gegensatz zu den meisten Tieren, darauf eingerichtet, kleine oder große Teile ihres Körpers zu verlieren ohne dass sie groß Aufhebens davon machen. In der Natur geschieht dies am häufigsten durch Verbiss. Bäume bilden die Nahrungsgrundlage vieler Insekten und anderer Kleintiere bis hin zu den Wirbeltieren.

Der Unterschied zum Rückschnitt bei der Bonsaigestaltung besteht darin, dass kein willkürlicher Verbiss mehr zugelassen wird, aber dafür gezielt mit der Schere Äste und andere Pflanzenteile entfernt werden. Ob der Baum hierbei Schmerzen verspürt, kann niemand sagen. Es ist aber wohl unwahrscheinlich, weil sich in der Natur nur Fähigkeiten entwickeln können, die einen Vorteil im Überlebenskampf bilden. Bei Tieren macht es Sinn, wenn sie durch Schmerzen lernen ungünstigen Bedingungen lieber aus dem Weg zu gehen. Eine Pflanze ist aber nicht in der Lage sich von den Schmerzen zu entfernen. Deshalb wäre es auch Unsinn, wenn sie Schmerzen empfinden könnte.

Bäume haben im Kampf ums Überleben neben der Fähigkeit, Licht als Energiequelle zu nutzen, andere, sehr vielfältige Fähigkeiten entwickelt, wie das Regenerationsvermögen, verschiedene Methoden Schädlinge abzuwehren oder mit ihnen zu leben, Frostresistenz, das Erschließen auch schwieriger Nahrungsquellen, das Speichern von Nahrungsvorräten und vieles mehr, was ihnen das Überleben unter sehr unterschiedlichen Lebensbedingungen ermöglicht. Welche dieser Fähigkeiten in Anspruch genommen werden, hängt häufig vom Standort der Pflanze ab, der in er Natur sehr stark dem Zufall überlasen ist. Manche Bäume landen im Hochgebirge und sind hier kurzen Vegetationszeiten, starker Sonneneinstrahlung oder völliger Dunkelheit (im Winter unter der Schneedecke) auch häufig auch extremem Nahrungsmangel ausgesetzt. Andere landen auf einer fetten Wiese und sind hier dem Konkurrenzdruck durch andere Pflanzen oder starkem Verbiss ausgesetzt. Wieder andere landen bei einem Bonsaifreund. Auch hierauf sind sie eingestellt. Hier können sie oft die ganze Palette ihre Fähigkeiten aufblühen lassen und dass sie hierbei nicht leiden erkennt man leicht an der strotzenden Gesundheit bei gleichzeitiger schneller Entwicklung in die vorbestimmte Richtung. Voraussetzung hierfür ist nur ein Mindestangebot an Wasser, Nahrung und Licht.

Es ist nicht schwierig mit Bonsai zu beginnen - schwierig bis unmöglich ist es, damit aufzuhören. Das gilt allgemein für viele Hobbys. Bei den meisten hat es aber keine großen Folgeerscheinungen, wenn man einfach aufhört. Viele Hobbys kann man zeitweise aufhören und später wieder beginnen. - Bonsai nicht. Es bleiben immer die Bäume, Lebewesen, die weitergepflegt werden müssen, ob der Besitzer Lust hat oder nicht.

Ein Bonsai ist nie ?fertig? - nur ein toter Bonsai ist fertig. So mancher ist der Bonsaiphilosophien müde und erklärt, dass er sich von Bonsai abwendet und bloß mehr mit kleinen Bäumen in Schalen arbeiten will.

Walter Pall


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Indem man sie bittet, in Zukunft ihre Liebe zu Pflanzen dadurch zu dokumentieren, dass sie sie weder schlachten noch fressen.

Reiner G.


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Moin Ihr Lieben!
Selbst wenn es manche nicht mehr hören mögen, ich genieße solche leicht philosphisch angehauchten Diskussionen. Es macht mir einfach Spaß meinen Verstand zu schärfen und auch mal was abwegiges/gegensätzliches in Erwägung zuziehen.

Uschi, es gibt auch eine sehr schöne (soziologische?) Diplomarbeit zu genau diesem Thema: "Wie oder was sehen die Menschen in Bonsai?". Das ist jetzt nicht genau der Titel, den habe ich wieder vergessen. Wenn dies Dich tiefer interessiert, frage bitte Harald Möhler danach, der kann Dir Titel und Autor nennen.

Es gibt aber auch Tage an denen ich keine Lust zum Diskutieren habe (Ja, gibt es auch! ) oder Leute mit denen ich (zumindest zu dem Zeitpunkt über das Thema) nicht reden mag. Da zücke ich dann nur gelangweilt meine Totschlaggegenfrage: "Häh? Was hast´te gegen Topfblumen?!" -> Dann habe ich Ruhe. "Kleine Bäume in Schalen" trifft den Kern genauso, lädt aber wieder zum Reden ein....

Mit lieben und heute gesprächigen Grüßen an Euch
Claudia D


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Und hier noch ein wenig mehr Tipps um den Anderen so richtig "mundtod" zu kriegen: Stimme tief lassen, das "Hä?" mit leichtem "Gossenslang" und die Mimink (Augenbrauen heben, ...) zwischen genervt und gelangweilt einstellen.
Vielleicht hätte ich doch zum Theater gehen sollen?

Mit in Wirklichkeit völlig friedlichen Grüßen!!!
Claudia
73 Anja
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