Bonsan, Penshan - Alte Bilder von Miniaturlandschaften

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Bonsan, Penshan - Alte Bilder von Miniaturlandschaften

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von Gunter Lind

Im Jahre 1603 erschien im Verlag der portugiesischen Jesuitenmission in Nagasaki ein Wörterbuch der japanischen Sprache: "Vocabulario da Lingoa de Iapam". Das umfangreiche Werk verzeichnet etwa 30000 Stichworte, die alle kurz in portugiesischer Sprache erklärt werden. Es ist deshalb nicht nur für die japanische Sprache, sondern auch für die Kultur und das Alltagsleben jener Zeit eine hervorragende Quelle.

Das Wörterbuch verzeichnet das Stichwort Boncao (Bonsan) und erklärt dies als eine Miniaturlandschaft, die einen Fels im Wasser darstellen soll. Als Elemente einer solchen Landschaft werden erwähnt: ein Stein, kleine Bäume und grünes Moos.

Dies scheint der einzige Begriff aus dem Bereich der Miniaturlandschaften in dem Wörterbuch zu sein. Insbesondere kommt der damals wohl schon gebräuchliche Begriff Hachi-no-ki für einen Baum in der Schale nicht vor. Daraus wird man wohl schließen dürfen, dass die Miniaturlandschaften damals wesentlich häufiger waren als Einzelbäume. Vielleicht ist der Begriff Bonsan auch als Oberbegriff verwendet worden, der auch Einzelbäume umfaßte. Das japanische "Bonsan" ist ein Lehnwort aus dem Chinesischen. Dort heißt es Pen-shan, Berg in der Schale. Das Wort Berg darf man dabei nicht wörtlich nehmen. Zwar gehört ein Stein normalerweise dazu, aber die Größenverhältnisse von Stein und Baum variieren. Der Stein kann manchmal einen Berg, manchmal aber auch nur einen Felsen oder einen Findling darstellen. In China wurde vielleicht deswegen um diese Zeit der Begriff Penshan durch Penjing (Landschaft in der Schale) ersetzt.

Der Eindruck, dass die Landschaften gegenüber den Einzelbäumen dominieren, wird auch durch das vorhandene Bildmaterial gestützt. Das älteste Bild eines Einzelbaumes stammt in China aus dem 12. Jh., in Japan aus der Mitte des 14. Jhs. Aber noch bis ins 18. Jh. hinein scheinen in beiden Ländern die Landschaften beliebter gewesen zu sein.

Über das Aussehen der Miniaturlandschaften vor dem 18. Jh. lassen sich keine sehr detaillierten Aussagen machen. Zahl und Qualität der bekannten Bilder reichen für stilistische Vergleiche nicht aus. Jedoch gibt es keine Anzeichen für stilistische Unterschiede zwischen China und Japan. Man wird annehmen können, dass eigenständige japanische Gestaltungselemente erst gegen Ende des 18.Jhs. signifikant wurden. Im folgenden wird deshalb auch nicht zwischen beiden Ländern unterschieden. Es sollen einige alte Bilder vorgestellt werden, in denen Miniaturlandschaften als Accessoires in Genreszenen auftauchen.

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1. Wang Zhenpeng (etwa 1280-1329): Frühlingsfest

Die Feier des wichtigsten chinesischen Jahresfestes in einem vornehmen chinesischen Haus: Fünf Damen mit Pelzmützen und pelzbesetzten Kleidern (es gab keine Öfen!) tafeln an einem Tisch im Hintergrund, eine Gruppe von Frauen links macht Musik und im Vordergrund spielen die Kinder mit Knallkörpern neben dem Kohlebecken, auf dem eine Dienerin die Kannen wärmt. Ganz vorn auf einem Tisch aus Wurzelholzschnitzerei steht eine Miniaturlandschaft mit zwei blühenden Pflaumenbäumchen, den vielgeliebten Boten des Frühlings, und einem Taihu-Stein in einer rechteckigen, dunkelblauen Schale. Das Wandbild im Hintergrund ist in der stark verkleinerten Abbildung (das Original ist 2,14m hoch) kaum zu erkennen. Es handelt sich um eine Darstellung einer der Inseln der Seligen: Felsen und Tempel im Meer, in den Wolken ein fliegender Kranich.

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2. Anonym (15. Jh.): Teezusammenkunft. Ausschnitt aus der Handrolle Sairei Zoshi (Rolle mit Bildern von Festen).

Vor der Reform Rikyus war das Teetrinken ein Anlaß zum Feiern. Die Gesellschaft sitzt in der zentralen Halle des herrschaftlichen Anwesens, mit Blick auf den Garten. Ein Diener bringt ein Tablett mit dem Teegefäßen. Unmittelbar vor der Veranda stehen auf einem Tisch zwei Miniaturlandschaften, beide mit einem Stein und Bäumen. Die Schalen sind relativ groß und es gibt viel leere Fläche, so dass man einen Sanduntergrund vermuten kann. Die Landschaft orientiert sich also an den Trockenlandschaftsgärten der Zeit. Der besonders bei der linken Landschaft interessant geformte Stein, an den die Bepflanzung sich eng anlehnt, wird also eine Insel darstellen, die im Meer liegt, das durch die Sandfläche symbolisiert wird. Auch hier liegt die Assoziation zu den Inseln der Seligen nahe. Die Schalen sind aus Holz und die größere ist von einem Typ, der auch aus andern Abbildungen jener Zeit bekannt ist. Die beiden Bretter, die die Längsseiten bilden, haben ornamental ausgearbeitete Griffe, so dass die relativ große Landschaft von zwei Personen getragen werden kann.

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3. Lou Schou (1462): Bilder vom Pflügen und Weben (Keng Tschi Tu). Es handelt sich um eine Sammlung von Abbildungen zu Ackerbau und Seidengewinnung mit kurzen Beschreibungen, die um 1145 in China verfaßt wurde. Das Original ist verschollen. Erhalten ist ein japanischer Nachdruck von 1462. Inwieweit die Holzschnitte mit dem Original übereinstimmen, ist unklar. Zumindest bei den Accessoires wird man Anpassungen an die japanische Situation vermuten. Auf mehreren der Blätter sind Penshan/Bonsan abgebildet. Gezeigt ist hier das Blatt "Das Sortieren der Cocons", sowie eine Zusammenstellung der Penshan/Bonsan von den übrigen Blättern.

Die Quelle ist vor allem deshalb bedeutsam, weil sie zeigt, dass Penshan/Bonsan nicht nur bei der Oberschicht beliebt waren, sondern sogar bei der Landbevölkerung. Außerdem zeigt sie die Vielfalt der damals üblichen Topflandschaften: Einzelbäume, Bäume mit Steinen und viele Varianten von Steinen mit Gräsern und Stauden, alles in speziell für diesen Zweck hergestellten, geschmackvollen Schalen.

Diese drei Beispiele mögen genügen. Weitere hinzuzufügen, würde an dem Bild nichts Grundsätzliches ändern. Man erhält den Eindruck, dass die Miniaturlandschaften jener Zeit ein vielfältiges, formenreiches Element der Volkskunst waren, die in allen Ständen beliebt waren. Aber die Gestaltungen lassen eher darauf schließen, dass sie von Laien gemacht wurden, nicht von professionellen Künstlern. Erst aus dem 18.Jh. gibt es nicht nur vereinzelt Bilder von Miniaturlandschaften, deren Gestaltung einen gehobenen Anspruch zeigt und eine professionelle Entstehung vermuten läßt. Hierzu zwei Beispiele:

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4. Anonym: Eine Konkubine von Kaiser Yongzheng (reg.1723-1735), aus einer Serie von 12 Hängerollen. Auch auf anderen dieser Blätter sind Penjing abgebildet

Die Dame tritt durch eine Gartenpforte im Sommerpalast. Die Pforte ist mit fünf Penjing dekoriert, in unterschiedlichen Schalen, teils auf Ständern, teils auf Gartensteinen stehend. Das ist ein typischer Standort für Penjing/Bonsan. Sie bilden oft den Übergang zwischen Haus und Garten, stehen auf der Veranda oder im Garten nahe der Veranda. Bei der Auswahl der Pflanzen wurde hier offenbar besonderer Wert auf die Blüte gelegt. Die beiden Penjing im Vordergrund rechts und links sind typisch für den chinesischen Geschmack der Zeit: Kombination von Baum und Steinen, gewundener, bizarrer Stamm und freiliegender Wurzelansatz, als Zeichen für Alter. Bei dem blühenden Baum links bilden die Altersmerkmale einen reizvollen Kontrast mit der Blüte, die sicher die Jugend und Schönheit der Besitzerin symbolisiert.

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5. Anonym (Guangzhou um 1800): Penjing

Das Blatt aus dem Gothaer Penjing-Album zeigt eine Wasserkiefer (Glyptostrobus pensilis). Durch die Integration von Steinen, Stauden und Gräsern in die Komposition entsteht der Eindruck einer Landschaft. Steine und Bäume sind kontrastierend gegeneinandergestellt und für die Komposition von gleicher Wichtigkeit. Die Steine, vermutlich Kalksteine, sind von der in China so beliebten bizarr-durchbrochenen Form. Durch die an ihnen emporwachsende Staude wird der Eindruck erweckt, daß sie leben, genau wie die Bäume. Die beiden Kiefernstämmchen sind knorrig und vernarbt und vermitteln so trotz ihrer schlanken Form den Eindruck von Alter. Davon hebt sich das sparsame, helle Grün an den jungen Ästen ab. Im Prinzip ist dies noch der gleiche Typ von Penjing wie auf dem Blatt von Wang Zhenpeng, aber die Gestaltung ist wesentlich weiter fortgeschritten.

Eine solche Gestaltung markiert in mancher Hinsicht das Ende einer Entwicklung, die mit der Abbildung im Grab des Prinzen Chang Huai begonnen hatte. Das daoistische Naturgefühl und die ästhetischen Prinzipien der Literatenmalerei sind hier durchaus noch präsent, wenn auch die religiösen Vorstellungen und der Zeitgeschmack sich gewandelt haben. Allerdings begann um diese Zeit in Japan schon eine radikale Veränderung der Miniaturlandschaften unter dem Einfluß der europäischen Kunst.

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Bildquellen

1. Schätze Chinas aus Museen der DDR. Ausstellungskatalog des Roemer- und Pelizaeus-Museums, Hildesheim 1990. Das Blatt befindet sich im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
2.www.sengoku-expo.net/tea/images/M/21-a.jpg
3. Keng Tschi Tu: Ackerbau und Seidengewinnung in China; übers. von O. Franke. Hamburg 1913.
4. Palastmuseum Peking: Schätze aus der verbotenen Stadt (Hrsg: Lothar Ledderose). Ausstellungskatalog zu den Berliner Festspielen, Frankfurt/M. (Insel-Verlag) 1985.
5. Wie1. Das Blatt befindet sich im Besitz der Stiftung Schloß Friedenstein in Gotha.
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