Wabi-Sabi - Die Ästhetik des einfachen Lebens

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Wabi-Sabi - Die Ästhetik des einfachen Lebens

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von Gunter Lind

Wabi und Sabi gehören zu den ästhetischen Kernbegriffen Japans. Häufig werden sie zusammen verwendet und als eine Einheit verstanden. Dieser Doppelbegriff geht auf Sen no Rikyu (1521-1591) zurück, der als der bedeutendste Teemeister Japans gilt, und der maßgeblichen Anteil daran hatte, das Teetrinken zu einem der Wege des Zen zu machen.

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Sen no Rikyu

Wabi-Sabi wurde also im Zusammenhang mit der Teekunst eingeführt, gewann dann aber beträchtlichen Einfluß auch auf andere Kunstsparten, insbesondere auf solche, die in engem Zusammenhang mit Zen stehen: Teegarten, Karesansuigarten, Haikudichtung, Zen-Malerei, Kalligraphie, Keramik, aber auch auf Bonsai. Ob Rikyu selbst sich mit Bonsai beschäftigt hat, weiß man nicht. Er verwendete jedoch gern Suiseki in der sandgefüllten Keramikschale. In der Sammlung seiner Aussprüche, die allerdings erst 100 Jahre nach seinem Tod erschien und vielleicht eine gute Fälschung ist, wird auf einer Abbildung auch ein Bonsan in einer Schmucknische gezeigt

Ich greife im Folgenden vor allem auf die ausführlichen Darlegungen des Religionsphilosophen und Zen-Mönchs Daisetz Teitaro Suzuki zurück ( Zen und die Kultur Japans, übers. von Otto Fischer, Stuttgart 1941 ).

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Wabi: Ursprünglich bezeichnet das Wort ein ärmliches, elendes Leben, allein in der Natur, fern der feinen Gesellschaft, in Einsamkeit und trauriger Verlorenheit. Dies ist die Erfahrung des Eremitendaseins und mit der religiösen Verklärung des Eremiten begann man auch, dem Wort Wabi eine positive Bedeutung zu geben. Nun meinte es die Unabhängigkeit von den Dingen der Welt, von Reichtum, Macht und Ansehen. Die freiwillig gewählte Einsamkeit soll ein Leben in schlichter Einfachheit, nahe den natürlichen Lebensumständen des Menschen bringen, unverdorben, still.
Auch auf das geistige Leben wird das Wort bezogen: Wabi strebt nicht nach Reichtum und Glanz der Gedanken, sondern nach mystischer Anschauung der Natur. Die Unabhängigkeit von der materiellen Welt ist nach buddhistischer Auffassung Voraussetzung für die Beendigung der Leiden des Lebens. Sie ist der Weg zu spirituellem Reichtum und einem erfüllten Leben in Harmonie mit der Natur.

Sabi: Auch dieses Wort scheint ursprünglich eine eher negative Bedeutung gehabt zu haben: gebeugt, niedergedrückt, fröstelnd, verwelkt. Auch Sabi wurde wohl im religiösen Gebrauch positiv umgedeutet. Das chinesische Schriftzeichen, mit dem das Wort geschrieben wird, wurde in buddhistischen Schriften auch für das Nirwana verwendet. Im übertragenen Sinn meinte es dann Einsamkeit, Alleinsein, Stille.
Heute schreibt man Sabi Dingen zu, die eine ländliche Anspruchslosigkeit zeigen, die ursprünglich, altertümlich, auch ungehobelt sind. Der Schlichtheit in der Ausführung korrespondiert die Reife des Alters. Dinge, die alt sind und Patina haben, besitzen Sabi.

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Wasserbecken aus dem Teegarten eines Tempels, ein typisches Wabi-Sabi-Objekt.

Ursprünglich hatten die beiden Wörter Wabi und Sabi deutlich unterschiedliche Bedeutungen. Inzwischen haben sich diese jedoch so weit angenähert und überdecken sich teilweise, dass eine Trennung eher zu Mißverständnissen führt. Beide haben etwas mit Armut, Einfachheit, Einsamkeit und Stille zu tun. In der ästhetischen Literatur werden beide deshalb auch oft zusammen verwendet. Suzuki meint, dass innerhalb des Wabi-Sabi-Zusammenhanges Wabi eher das damit verbundene Lebensgefühl und Sabi eher die Eigenschaften von Dingen bezeichne. So wie heute diese Ausdrücke gebraucht werden, kann man sagen, Sabi beziehe sich mehr auf die einzelnen Gegenstände und die Umgebung als Ganzes, Wabi auf den Lebenszustand, der in der Regel mit Armut oder Mangel oder Unzulänglichkeit verbunden ist.

Dabei sollte man jedoch stets beachten, dass Wabi-Sabi ein ästhetischer Begriff ist und kein sozialer. Es steckt ein ästhetisches Prinzip darin, wo dieses fehlt, wird Armut zu Armseligkeit und Einsamkeit zur Verbannung oder zu unmenschlicher Ungeselligkeit. Wabi oder Sabi kann man daher als eine ästhetische Wertschätzung der Armut definieren.

Wabi-Sabi meint dann die ästhetische Wertschätzung ursprünglicher Einfachheit, die Kunst in der scheinbaren Kunstlosigkeit, die Schönheit des nicht-perfekten, unvollendeten, unvollständigen, anspruchslosen. Einem Kunstwerk, das diesem ästhetischen Ideal entspricht, darf man die Kunstfertigkeit nicht ansehen. Es sollte so aussehen, als sei es unvermeidlich so und nicht anders.

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Kono Bairei (1844-1895). Herbstlandschaft mit fliegenden Vögeln über einer Hütte

Wabi-Sabi war von Rikyu als eine Anwendung der Zen-Ästhetik auf die Teezeremonie konzipiert worden. Das Teetrinken erschien ihm, entsprechend gestaltet, als ein möglicher Weg zu einem Leben im Sinne des Zen. Wabi-Sabi kann dann als ein Spezialfall der Zen-Ästhetik begriffen werden und entspricht durchaus den Kriterien, die Hisamatsu für die Zen-Ästhetik allgemein aufgestellt hat.

Allerdings erscheint es durchaus möglich, Wabi-Sabi auch unabhängig von Zen zu schätzen und zu praktizieren. Rikyu nimmt als Modell des Teeweges das Leben in ländlicher Einfachheit, sozusagen eine Projektion des vermuteten Urzustandes des Menschengeschlechts, in dem Natur und Kultur noch eine Einheit gebildet haben sollen. Modell der Teehütte ist die Bauernhütte mit rohen Lehmwänden und Reetdach. Modelle des Teegeschirrs findet er in der von anonymen Handwerkern geschaffenen Gebrauchskeramik. Eine solche Idealisierung und Ästhetisierung des einfachen Lebens ist ja keineswegs spezifisch für den fernen Osten. Dann mag man den guten Geschmack der Gesellschaft gering achten und ihm ein Ideal der Bescheidenheit entgegensetzen. Man mag die kleinen, stillen, Geborgenheit vermittelnden Dinge dem Prachtvollen, Großartigen vorziehen. Man mag den Spuren des Gebrauchs, den Kerben, Schrammen, dem Rost die Dignität der Altehrwürdigkeit verleihen. Auch wenn man Wabi-Sabi vom religiösen Hintergrund des Zen löst, das grundlegende Lebensgefühl des Zen wird man wohl kaum eliminieren können: das Gefühl von Einsamkeit und zarter Trauer, das aus dem Wissen von der Vergänglichkeit und Unvollkommenheit der Dinge und dem Nachdenken über die eigene Sterblichkeit kommt.

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Pinus parviflora von Uhaku Sudoo. An diesem Baum demonstriert er die Prinzipien von Wabi-Sabi

Was bedeutet das für Bonsai? Uhaku Sudoo ( BONSAI-art 64/2004, 22ff und 65/2004, 28ff ) sieht das ästhetische Ideal von Wabi-Sabi besonders im Literatenstil verwirklicht, den er als Bunjin-Baum bezeichnet (und den er von einer rein formalen Kennzeichnung einer Literatenform abhebt ). In der Tat gibt es eine recht große Übereinstimmung und sie wird noch deutlicher, wenn man die Charakteristika der Zen-Kunst nach Hisamatsu mit den Kennzeichen des Literatenstils vergleicht. Beide beschreiben ein recht ähnliches ästhetisches Ideal, vielleicht mit einer charakteristischen Akzentverschiebung: der Literatenstil strebt mehr nach einem eleganten, geschmackvollen Baum, auch nach Individualität und Unverwechselbarkeit, Wabi-Sabi eher nach ländlicher Einfachheit. Bei den Literaten war das daoistische Ideal der Einheit mit der Natur keineswegs mit einer Verklärung des Landlebens verbunden. Für sie paßte der verfeinerte Geschmack durchaus zur Eremitenhütte.

Allerdings wird man nicht sagen können, Wabi-Sabi sei an den Literatenstil gebunden. Auch naturalistisch gestaltete Bäume können gut zu diesem ästhetischen Ideal passen. Andererseits ist eindeutig, dass manche Gestaltungsideale mit Wabi-Sabi nicht gut vereinbar sind und dass es deshalb auch falsch wäre, Wabi-sabi zu einer generellen Bonsai-Philosophie hochzustilisieren. Zum Beispiel folgen die skulpturalen Gestaltungen Kimuras und seiner Nachfolger ganz eindeutig einem anderen Ideal. Auch bei den traditionellen japanischen Bonsai gibt es Sparten, in denen Wabi-Sabi kaum zum Tragen kommt, etwa Azaleenbonsai.

Wabi-Sabi kennzeichnet die Ästhetik des Zen und diejenige der weitgehend von Zen beeinflußten traditionellen japanischen Oberschicht. Die bürgerliche japanische Kunst war davon wenig beeinflußt. Das Spektrum der japanischen Kunst reicht von der Zen-Malerei bis zum Farbholzschnitt und genau so groß ist auch das Spektrum der Bonsaigestaltung.

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Bildquellen

1.http://www.bonsai-fachforum.de/viewforum?f=43
2.www.elasunto.com/mo.wabi.sabi.htm
3. Irmtraud Schaarschmidt-Richter: Gartenkunst in Japan, München (Hirmer) 1999
4. John R. Hillier: Japanische Zeichnungen, vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, Hamburg (Hoffmann und Campe) 1966
5. Uhaku Sudoo: Die Schale eines Bunjin, BONSAI-art 65, 2004
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